Ein zünftiger Rechtsstreit aus dem 18. Jahrhundert

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Zuerst veröffentlicht in: Aratora, Zeitschrift des Vereins für Heimatkunde, Geschichte und Schutz von Artern e.V., Bd. 15 (2005), S. 136:

Ein zünftiger Rechtsstreit aus dem 18. Jahrhundert:

Wie der Arterner Bäcker Johann Gottfried Meyer (15. 11. 1740 – 11. 3. 1799) um seine Existenz kämpfte

Brauchen wir noch den Meisterbrief in der Europäischen Union? Die andern europäischen Staaten kennen ihn gar nicht. Von uns Deutschen wird gefordert, unsere Einstellung zum Handwerksrecht zu überdenken. Leicht könnte es scheinen, als werde damit eine 700jährige Tradition zum ersten Mal und dazu noch vom Ausland her in Frage gestellt. Aber so ist es natürlich nicht. Fragen an die Praxis des Meisterrechts hat es immer gegeben. Im Stadtarchiv Artern sucht Frau Loeschmann für mich eine Akte aus dem Jahr 1766[1] heraus. Die heißt: Das von Johann Gottfried Meyern bey der Weißbecker-Innung allhier ohne Beobachtung des MuthJahres gesuchte Meister-Recht betreffend.  Die Akte beschreibt einen Konflikt zwischen einem jungen Mann, meinem Vorfahren Johann Gottfried Meyer, und der Bäcker-Innung von Artern. Johann Gottfried Meyer hatte Mut.

Aber nicht um Mut in diesem Sinne handelt es sich, wenn es heißt:

Das MuthJahr

„Muth“ oder „Mut“ bedeutet Absicht und kommt von dem alten Wort „muten“ – „etwas haben wollen“[2]. Die Innung verlangte vom Gesellen, der sich bei ihr als Meister einschreiben lassen wollte, vor dem Meisterstück die Einmuthung, die in dreimaliger Zahlung des Muthgroschens und einem Jahr unbezahlter Arbeit bei einem zünftigen Meister der Stadt bestand. Denn das Problem, dass es manchmal zu viele und manchmal zu wenige in einem Berufsstand gibt, ist der menschlichen Gesellschaft, seit es Berufe gibt, vertraut. Qualitätsstandards, Preisvergleich, Zulassungsbeschränkungen – wer hier Einfluss nehmen konnte, hatte Macht. Im Artern von 1766 übte diese Macht die Innung aus, sie unterstand dabei dem Kurfürstlich Sächsischen Oberaufseher in Eisleben als Vertreter des Kurfürsten von Sachsen und der Stadtregierung, nämlich Bürgermeister und Rat. Im Jahr 1766 war Johann Gottfried Meyer sechsundzwanzig Jahre alt. Er hatte einen Vetter von der Mutterseite, der Kämmerer der Stadt war. Dieser Vetter namens Johann Georg Gänßehalß schreibt für Gottfried das Gesuch an den Oberaufseher in Eisleben, vermutlich, weil er im Schreiben geübter ist als Gottfried oder weil er beim Rat der Stadt mehr gilt. Denn allein der Rat kann das Gesuch an den Oberaufseher weiterleiten. Die erhaltene Akte stammt deshalb auch vom Ratsschreiber Heinrich Michael Wohlrabe, der den ganzen Vorgang protokolliert hat. In diesem Protokoll finde ich Gottfrieds bisherigen Lebenslauf:

„den 23. Junii 1766 dito brachte H. Cämm. Johann Georg Gänßehalß an, es habe sein Vetter Johann Gottfried Meyer eines hiesigen Bürgers und Beckermeisters Sohn gleichfalls das Beckerhandwerk erlernet, des Endes nach Vorschrift der Innungs Articul bey Mstr. Möricke allhier 3 Jahre in der Lehre gestanden und 5 Jahr gewandert, nun mero aber sey er gesonnen sein Meister Recht zu gewinnen und sich allhier nieder zu setzen, habe auch bereits bey der hiesigen Innung eingemuthet“.

Johann Gottfried Meyer ist nach dem Kirchenbuch der Marienkirche, in das Pfarrer Kernbach mir freundlich Einblick gestattet, am 15. November 1740 als Sohn des Bürgers und Weißbäckers Johann Gottfried Meyer und seiner Ehefrau Ewa Maria Gänsehalß in Artern geboren und am 18. November getauft worden. Sein Großvater väterlicherseits, Johann Jacob Meyer, war ebenfalls Bäcker in Artern, sein Großvater mütterlicherseits, der Lohgerbermeister Johann Adolph Gänsehalß, hat in Artern seine Wasserwerkstatt gehabt. Gottfried ist der einzige Sohn seines schon lange verstorbenen Vaters, dessen Bäckerei nicht mehr besteht. Als Meisterssohn ist er bei der Innung privilegiert. Trotzdem ist es nicht etwa leicht, eine Existenz in Artern zu gründen. Mindestens acht Jahre hat Gottfried schon in seinem Beruf gearbeitet. Etwa mit 18 Jahren ist er in die Lehre bei Meister Andreas Möricke eingetreten, sicher hat er vorher die Schule besucht und zusätzlichen Schreib- und Rechenunterricht erhalten, denn ein Meister musste lesen, schreiben und rechnen können. Nach der Lehre ist er fünf Jahre – Gottfried selbst schreibt später: sechs Jahre! – gewandert. Er hat sich als Geselle bei anderen Meistern nach abweichenden Verfahren und Rezepten umgesehen und Routine erworben. Trotzdem kann er jetzt nicht einfach in Artern sein Meisterstück machen und den Meisterbrief erwerben. Denn es gibt

Die Backordnung

„Der Stadt Arthern aufgerichtete Back-Ordnung von 1715 ….  Art. 81 §1 verordent …, dass derjenige, welcher Meister werden will, bey einem Meister allhier ein Jahr, das Muthjahr genannt, arbeiten soll.[3]“Diese Backordnung von 1715 ist gerade aktualisiert worden. Der Rat der Stadt Artern hat der Bäckerinnung geboten, Wander- und Muthjahre nicht durch Geldzahlungen ablösen zu lassen, „als woraus nur schlechte Handwerker entstehen“[4].  Das ist auf Druck des kurfürstlichen Oberaufsehers vor drei Jahren, am 16. Dezember 1763, geschehen. Johann Gottfried Meyer, der sich als Bäcker selbständig machen will, weht der Wind ins Gesicht. Berufsgenossenschaft, Stadtregierung und Landesregierung haben sich durch eine Verordnung gebunden, das Muthjahr unbedingt einzufordern. Warum eigentlich? Im Text des Protokolls heißt es: „gleichwohl die BackNahrung allhier nicht so beschaffen dass ein Meister einen Back Knecht halten könne….“ Die BackNahrung ist das Gesamteinkommen aller Bäcker. Dies Einkommen nicht zu schmälern und es gerecht zu verteilen, ist Sache der Zunft. Offenbar ist es so knapp, dass kein Bäcker in Artern einen Gesellen, einen „Back Knecht“, halten kann. Wie sollte also ein Bäcker ein Jahr lang den angehenden Meister beschäftigen können? So argumentiert mein kecker Vorfahr. Die Behörden denken genau umgekehrt: Wenn es so schlecht steht, wie kann Artern einen weiteren Bäckermeister ernähren? Deshalb wollen sie die Zulassung mindestens noch ein Jahr, eben das Muthjahr, hinauszögern. Es ist eins der Regulative, um zu verhindern, dass es arbeitslose Bäckermeister gibt. Der gewandte Kämmerer Gänsehalß weiß das wohl. Er bringt jetzt die persönliche Lage Gottfrieds ins Spiel: er habe eine passende Frau und auch Vermögen in Aussicht:

„nicht weniger habe er (Gottfried) sich mit Mr Christian Zeisens hinterlassenen einzigen noch unmündigen Tochter, mithin einer hinterlassenen Wayse, welche ein eigen Hauß, Länderey und Wirtschafft, dabey aber eine schon ziemlich hoch betagte Mutter habe, verlobet und er sähe gerne, das das Ehe Verbündnis des nächsten vollzogen würde und er das Meister Recht bald erhalten könnte, indem sowohl der Braut Ackerbau und die Wirtschaft und auch die nöthige Reparatur des Hauses einen Mann und Haußwirth erfordere, wozu weder Mutter noch Tochter vermögend wären….“

Mit der Verlobung besitzt Gottfried eine wichtige Voraussetzung für die Meisterschaft, denn ein Meister soll verheiratet sein. Dass die in Aussicht genommene Frau eine hiesige ist, ist sicher auch von Belang. Sie ist ihrer Eltern, des Lohgerbermeisters Johann Christian Zeise aus Artern und seiner Frau Anna Maria einzige Tochter. Sie wurde am 23. Oktober 1748 geboren und am 26. desselben Monats auf die Namen Maria Eleonora getauft. Und nicht zuletzt spielt die Erwähnung ihrer Wirtschaft und ihres Hauses sicher eine große Rolle. Gottfried hat Aussicht auf das für die Existenzgründung unumgängliche Vermögen. Der Vetter fährt darum in seiner Argumentation fort: Wenn Gottfried

„… auf das Meister Recht ein ganzes Jahr annoch warten müsse, er unterdes von der Schnur zehren und das, was zu seinem Anfang höchstnöthig habe, consumiren müsse..“

Die Schnur ist die Bezeichnung für die Schwiegermutter. Ihr Vermögen könnte in einem Muthjahr verbraucht werden, anstatt dass es zum Aufbau der Selbständigkeit dient.

„So bäthe er, E.E. Rath möchte doch dem hochlöblichen OberaufseherAmte zu Eißleben deshalb Vorstellung thun und gehorsamst bitten, dass dasselbe ihn von dem Punct dieses Articuls in Ansehung des Muthjahres mildest dispensieren und dem Handwercke, dass sie ihn des Muthjahres unerwartet nach gefertigten Meisterstücken zum Meister auf und annehmen sollten anzubefehlen, gnädig geruhen möchte, so nachrichtlich anhero registriret worden Heinrich Michael Wohlrabe.“

Dr. C.F. Feustel als des Oberaufseheramts Substitutus gibt dem Gesuch unterm 27. Juni 1766 statt. Er weist Bürgermeister und Rat von Artern an, „hiermit mein Begehren, ihr wollet in Betracht derer aufgeführten Umstände, die Weiß-Becker-Innung eures Orts bedeuten, daß sie benannten Meyern ohne die Beobachtung des Muthjahres zu Fertigung des Meister-Stückes zulassen und ihn so dann zum Meister sprechen sollen. Wolte ich melden und diene auch gerne…“

Der Meisterbrief

Am 23. Juli geht das Schreiben des Oberaufsehers beim Rat von Artern ein und wird an die Innung weitergeleitet. Am 27. August erhält Johann Gottfried Meyer, mein Vorfahr, vor offener Zunftlade seinen Meisterbrief. Vorher hat er natürlich die Meisterstücke gefertigt. „Solches bestehet in Abbachung einer Hitz weissen Brods / als Semmeln / Weck / und Laiblein / und muss  solches von ihme selbst mit eigenen Händen gearbeitet / eingeschossen / und gebachen werden. Wann es nun fertig / wird es von denen geschwornen Meistern mit höchstem Fleiß beschauet / und aufgeschnitten; wofern sie es ohne sonderlichen Mangel befinden/ wird er zum Meister gesprochen….[5] Außerdem hat er die Gebühren bezahlt, ein Essen für alle Meister gegeben und sich verpflichtet, der Innung drei zinnerne Teller und zwei Biergläser zu stiften. Gleich danach wird die Hochzeit vorbereitet, das Aufgebot in der Kirche bestellt. Schon im Oktober desselben Jahres schreibt der Pfarrer ins schöne Kirchenbuch:

Nr. 20  Meister Johann Gottfried Meyer Bürger und Weisbecker allhier Meister Johann Gottfried Meyers weil. Bürgers und Weißbeckers allhier hinderlaßener ehel. einziger Sohn erster Ehe mit Jgfr. Maria Eleonora Zeisin Meister Johann Christian Zeisens weyl. Bürgers und Lohgerbers allhier hinderlaßene ehel. einzige Tochter Nach 3. Aufgebot den 7. Oct. getraut.

In das Meisterquartalsbuch[6], in das sich 1723 schon sein Großvater Jacob Meyer eingetragen hat, wird nun eingeschrieben:

„Mstr. Gottfried Meyer hat dem Ehrbaren Hand werg drey zinnerne Teller von sein Schuld gefäßer erlegt anno 1766.“

Er hat es geschafft. Das denken wir. Aber die Akte ist damit noch nicht zu Ende. Sie enthält noch einen zweiten Teil:

Das HeimBackLooß

„Das von dem Becker Mstr. Johann Gottfried Meyern gesuchte von den beiden Altstedter Beckern, den Braunen an sich genommene 3. Heimback Looß betr., Stadt Artern de 1767“

Nun wird das Berufsleben meines Vorfahren nach dem Erhalt des Meisterbriefs weiter erzählt.

„Reg. Stadt Artern am 25. Mai 1767: Acto bringet Mr. (Meister) Johann Gottfried Meyer Bürger und Weißbecker allhier, an, es wären die Einwohner in der Altstadt allhier ehedem in 3 Backhäuser eingetheilt gewesen, weil aber Mr. (Meister) Gottfried Braune, welcher dies dritte Backhaus gehabt, die Profession nicht mehr treibe: So hätten sich Mr. Samuel Braune Sen. und Mr. Johann Samuel Braune jun. in dieses 3. Back Loos getheilt. Seit dem er, Mstr. Meyer, nun bey hiesiger Becker Innung das Meister Recht genommen, und in der Altstadt ein Haus gekauft, habe er den beyden Mr. Braune verschiedentlich angelegen, ihm das dritte Back-Loos abzutreten, sie wollten sich aber, unter dem Vorwande, sie könnten kein Loch in ihren PachtBrief machen, gütlich dazu nicht verstehen.“

Am 2. December 1767 erklärt Johann Gottfried Meyer sein Problem noch einmal in der Ich-Form, beraten von einem Rechtsanwalt[7]:

„erlangte bey hiesiger Weiß-Becker-Innung das Meister-Recht am 27. August des verwichenen Jahres, machte mich in dem folgenden Monathen mit einem Hause in der Altstadt ansässig, um nunmero als Bürger und Meister durch Treibung meiner Profession ein nothdürftiges und ehrliches Auskommen mir zu erwerben. Ich werde aber durch meine Mitmeister hierinnen dadurch gar sehr eingeschränket, dass dieselben mir weiter nichts als das alleinige Weißbacken auf den Kauff verstatten wollen. …  setzen mich in die Verlegenheit, meinen offenbaren Untergange entgegen zu sehen. Mein weniges Vermögen habe ich auf die Erlangung des Meister Rechtes, welches mich auf 43 Th. kostet, auf die Erkaufung meines Hauses für 180 Th worin ich über dieses an die 70 Th verbauet, angewendet, und bleibet mir also nichts übrig, als meine erlernte Profession, um mich und die Meinigen zu ernähren. Die Ausübung derselben verstattet mir zwar hiesige Becker Innung, und spricht mich für einen ansehnlichen Aufwand meines Vermögens zum Meister, verstattet mir jedoch mit Verweigerung des HeimBackRechtes weiter nichts als das WeißBacken auf den Kauff, von dessen Profit, welcher sich unter 8 Meister in hiesigem kleinen stätgen gar sehr eintheilen lässet, ich biß zu Ende des HeimbackContractes mich aufrecht zu erhalten schlechterdings außer Standt gesetzet werde.“

Während wir vom Meisterbrief noch ein Vorverständnis mitbringen, indem uns seine Wichtigkeit zur Existenzgründung einleuchtet, ist uns ein HeimBackRecht und HeimBackLoos vollkommen fremd.Wir müssen uns langsam an Gottfrieds Problem herantasten. Das Backrecht stand ursprünglich dem Landesfürsten zu, es gehörte zu den Lehnsrechten, die er gegen eine Lehns- oder Pachtsumme vergab. Im Artern von 1766 war Lehnsherr der Kurfürst von Sachsen[8], vertreten auch hierin durch den Oberaufseher in Eisleben. Das Recht hing ursprünglich, wie es mittelalterlicher Sitte entsprach, an einem Gebäude, dem Heimbackhaus. Der Kurfürst verpachtete dies Haus jährlich neu an einen Bäcker[9]. Auf Wunsch der Bäckerinnung war der Pachtvertrag 1727 nicht mehr mit einem einzelnen Bäcker, sondern mit der ganzen Innung auf drei Jahre abgeschlossen worden[10]. Das Heimbackhaus gehörte nun der Zunft. Die Zunftoberen teilten das Backrecht in Lose auf und gaben sie an die einzelnen Meister aus[11]. Möglichst über die ganze Stadt verteilt sollten die Bäcker wohnen und dadurch den BackGästen, wie die Kunden genannt wurden, kurze Wege zum Backhaus ermöglichen. Daraus erklärt sich, dass die Altstadt, wie Gottfried Meyer 1767 berichtet, drei Lose oder drei Backhäuser hatte. Das Pachtgeld brachten die Losbäcker gemeinsam auf. 1765 hatte die Bäckerinnung durchgesetzt, dass der Vertrag erstmals auf sechs Jahre abgeschlossen wurde. Das war sicher nicht zufällig. Die geringer werdende BackNahrung legte nahe, die Lose nur einem kleinen Kreis zugänglich zu machen und neue Meister abzuwehren, wenn schon nicht vom Meisterbrief, dann wenigstens vom HeimBackRecht. Und dies Recht war, wie wir dem verzweifelten Ton in meines Vorfahren Gesuch von 1767 entnehmen können, die Haupteinnahme eines Bäckermeisters. War er davon ausgeschlossen, konnte er nämlich nur die risikoreiche Gelegenheitsbäckerei betreiben, für Laufkundschaft. Am Rathaus befanden sich Bretterbuden, die sogenannten Scharren. Dort konnte er seine Backwaren anbieten, natürlich besonders vor Festtagen.

„Auf Hochzeiten, Kindtauffen und anderen Ehren-Gelagen bleibt denen Scharren- oder WeißBäckern Semmeln, Brod, Torten, Gebackenes und dergleichen zu machen, unbenommen. Gleichfalls ist ihnen auch nachgelassen, je und allezeit Kuchen zu backen, Milch- und andere Pfannen zu brathen, Obst zu welcken und zu dürren, auch auf die hohen Feste, als Ostern, Pfingsten und Weynachten allerhand zu brathen.“

Das regelmäßige, einträgliche Geschäft aber war das Heimbacken. Wir Älteren erinnern vielleicht noch aus der Vorkriegszeit, was das ist. Die Teige wurden im Privathaushalt bereitet und dann zum Bäcker gebracht, das Brot morgens, wenn der Backofen volle Hitze hatte, der Kuchen am frühen Nachmittag, wenn die Hitze schon nachließ. Hatte also der Bäckermeister ein HeimBackLoos, so hatte er Teil an diesem Tagesgeschäft, wie es in der Backordnung hieß: „Die Bürger und Adligen der Stadt, weltlich oder geistlich, sollen verpflichtet sein, ihr Brot (ob sie nur in Molden oder gar in Trögen backen) im Heimbackhause abbacken zu lassen, nicht bei Scharren oder Weißbäckern und erst recht nicht in einem Winkel-Back-Ofen! Wann der Heym-Becker aber ein Mitglied von der Artherschen Weiß- und Kuchen-Becker-Innung ist, stehet ihm frey, Semmeln und weiß Brodt im Heymbackofen zu backen und zu verkauffen, hat auch alle andere Innungs-Beneficia mit zu genießen[12].“

Von den Innungs-Beneficien, den Privilegien der Innung, ist mein Vorfahr ohne Heimbacklos ausgeschlossen. Wir verstehen, dass der junge Meister Meyer enttäuscht ist. Er hat das Haus seiner Frau, dass ja ein Lohgerberhaus gewesen ist, verkauft und hat ein Haus in der Altstadt gekauft und zum Backhaus umgebaut. Dann hat er mit den beiden Meistern Braune geredet, dass er das dritte HeimBackLos der Altstadt, das sie von ihrem älteren Verwandten übernommen haben, ihm überlassen sollen. Aber dazu waren sie nicht bereit. Sie sagen ihm nicht geradezu, dass sie seine Konkurrenz fürchten. Sie behaupten, ihr Pachtvertrag erlaube das nicht. Sie drücken sich sehr bildlich aus: sie könnten kein Loch in ihren Pachtvertrag machen. Und nachdem alles Reden nichts nützt, wendet sich mein Vorfahr zuerst an den Stadtrat am 25. Mai 1767 und, als der ihm nicht helfen kann, am 2. Dezember 1767 an die Landesregierung. Protokolliert wird alles getreulich von Heinrich Michael Wohlrabe.

Die Entscheidung

Wieder findet das Oberaufseher-Amt, diesmal ist es der Oberaufseher und Cammer Herr Christoph Gottlob von Burgsdorff,  das Gesuch meines Vorfahren angemessen. Er bittet den Rat, dem jungen Meister das 3. BackLooß der Altstadt zu geben, natürlich gegen Beteiligung an den Kosten der Pacht. Er schreibt schon sechs Tage später:

„Darauf ist, OberAuffseherAmts wegen, hiermit mein Begehren, ihr wollet in Betracht, daß Supplicant kein neues, sondern bloß das zwischen denen beyden Braunen anjetzt getheilte BackLooß überkommen würde, mithin … dem Handwerck diese Veränderung des dritten Back-Looses gleichgültig ist, den Supplicanten mit der Innung zu vergleichen und letztere daß sie ihn in ihren Pacht, gegen den Einsatz derer, auf sein Antheil, kommenden Kosten, mit auf nehmen, und ihm das Heimbacken in der Altstadt nicht difficultiren zu disponiren auch alle Mühe geben, wollte ich melden und diene auch gerne. Dat. Eißleben, den 8ten Dec. 1767 Unterschrift: Christoph Gottlob von Burgsdorff.“

Dass die Landesregierung jedoch nicht allmächtig ist, beweist der Fortgang der Handlung. Der Rat der Stadt tritt am 29. Dezember zusammen und lädt für den 30. Dezember zunächst die betroffenen beiden Meister Samuel Braune jun. und sen. sowie meinen Vorfahren Meyer zu einem Gespräch ein. Wer von den Ratsherren die Vermittlung übernimmt, steht leider nicht im Protokoll.

„Reg. Artern 30 Dec. 1767 S. 24:  Dito erschienen andererseits Mr. Samuel Braune Sen. und Mr. Samuel Braune jun. und erklärten sich, daß sie sich nicht verstehen könnten, Mr. Meyern das 3te HeimBackLooß in der Altstadt abzutreten. Desgleichen erschienen mehrere Meister der Becker Innung nomine der Innung Mr. Andreas Möricke  Mr. Gottfried Bertram  Mr. Christoph Braune jun. u. Mr. George Heynroth und declarirten, es ginge gar nicht an daß so lange ihr jetziger PachtContract bestünde, davon abgegangen und Mr. Meyern ein Looß abgetreten werden könne, denn es wäre der junge Kopff da, der schon Meister wäre und es wäre auch noch einer in Voigtstedt (?) der auch noch Meister werden wollte …“

Dem Handwerk ist die Veränderung des dritten HeimBackLoses eben nicht gleichgültig, wie der Oberaufseher meint. Es soll kein Präzedenzfall entstehen. Acht Meister hat die Arterner Innung, die führenden sind Andreas Möricke, Gottfried Bertram, der in diesem Jahr Handwerksmeister, also Chef der Zunft ist,  Christoph Braune und George Heinroth. Dazu muss man wissen, dass Gottfried Meyer zumindest mit den Braunes und dem Meister Heinroth entfernt verwandt ist, dass Andreas Möricke sein Lehrmeister war – alle diese Bäckermeister stammen wie er selbst aus Artern und kennen sich von Kindesbeinen an. Das macht die Sache nicht leichter. Viele haben Söhne, die ebenfalls ins Bäckerhandwerk drängen. Tatsächlich sind 1772 aus den ehemals acht Meistern schon zwölf geworden! Eine gütliche Einigung, wie der kurfürstliche Oberaufseher sie vorschlägt, kommt nicht zu Stande. Johann Gottfried  Meyer bemerkt bitter, die reichen Meister hätten den Vorteil, dass viele Kunden zu ihnen in die Neustadt abwanderten, da die kleinen Backhäuser der beiden Braunes in der Altstadt völlig überlastet seien. Am 14. Januar 1768 teilt der Rat dem Oberaufseher mit, dass sein Kompromiss gescheitert ist. Am 16. schreibt der Oberaufseher resigniert, dass er das akzeptieren müsse. Er habe es in Güte regeln wollen. Am 9. Febr. 1768 kommen die Akten aus Eisleben zurück. Johann Gottfried  Meyer zahlt 4 rt 6 gr 2pf Gebühren an die Stadt, das ist viel Geld für einen erfolglosen Kampf! Am 19. Juni desselben Jahres lässt er sein erstes Kind, eine Tochter, taufen.

Ein Meisterleben

Mein Vorfahr hat nicht aufgegeben. Er ist nicht untergegangen. Er hat am 16. März 1770 einen Lehrling angenommen, den Sohn der Meisterswitwe Schönau, dessen Lehrvertrag sich unter den Innungsakten befindet[13]. Er nimmt teil an den Meisterquartalen, den vierteljährlichen Treffen aller Bäckermeister der Zunft, er zahlt den Quartalsgroschen und stiftet die zwei Biergläser, die er schuldig ist. Er erhält 1771 das Heimbackrecht und im Jahr 1773 wird er sogar zum Handwerksmeister gewählt, d.h. ein Jahr lang ist er Ältester der Innung. Bei den wichtigen Entscheidungen der nächsten Jahre wie bei der Aufnahme eines Kredits für die Zunft, beim Kampf um den geeichten Scheffel der Amts-Mühle, bei der Abwehr der Bemühungen der königlichen Saline, selbst das Brot für die Salinenarbeiter zu backen, beim Verkauf des alten Heimbackhauses ist mein Vorfahr Johann Gottfried Meyer als zünftiger Meister verantwortlich beteiligt. Vielleicht billigt er nachträglich, dass die Innung ihm die Existenzgründung so schwer gemacht hat, und wacht jetzt selbst sehr genau über die Einhaltung der Backordnung? Dazu würde ich ihn gerne einmal befragen!

[1] Stadt Artern, Akte XVIII, 31

[2] Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 1960

[3] Nachlass Engelhardt, Karton 9, Backordnung

[4] Nachlass Engelhardt, Karton 8, Nr. 24

[5] Bücher, Karl, Die Berufe der Stadt Frankfurt a.M. im Mittelalter, Leipzig 1914

[6] Stadtarchiv Artern, Nachlaß Engelhardt, Karton 8, Einnahme und Ausgabebuch des hochlöblichen WeisbeckerHandwercks von Anno 1716 den 23. November, darunter in Bleistift: Artern

[7] Dabei handelt es sich um eine Abschrift, das Original müsste sich in den Akten des Oberaufseheramtes in Eisleben befinden.

[8] Dass er das auf Grund der Sequestration von den Mansfelder Grafen übernommen hatte, spielt für meinen Vorfahren keine Rolle.

[9] In den Jahren vor 1727 war das Meister Andreas Rauchfuß in Artern, siehe Stadtarchiv Artern, Nachlaß Engelhardt, Karton 8, Nr. 9.

[10] Nachlaß Engelhardt, Karton 8, Nr. 9.

[11] Vielleicht wurden diese Anteile ursprünglich tatsächlich verlost.

[12] Der Text ist von 1715 und setzt noch ein einziges privilegiertes Heimbackhaus voraus, doch ist seine Abschrift und das Siegel von 1771. Eventuelle Anpassungen an die veränderten Umstände sind im Text nicht kenntlich gemacht. Stadtarchiv Artern, Nachlaß Engelhardt, Karton 9: Der Stadt Arthern aufgerichtete Backordnung 1715.

[13] „Nach dem bey E. Ehr bahren Handwerg erschienen Meister Johann Gottfried Stechert und anbracht wie das er seinen unmündigen Johann Andreas Schönau bey Meister Gottfriedt Meyern in die Lehr gethan sei auch auf folgender gestalt einig worden, das nehmlich (er) Meister Meyer Achzehn Thlr Lehr Geldt benebst ein Bette giebet, und zwey Jahr in der Lehre steht, ferner verspricht Meister Meyer den Burschen das Handwerg zu erleren und mit allen guten an die Hend gehen. Der Anfang ist von Reminiscere 1770 biß wieder Reminiscere 1772. Da sie nun hirmit alle beide Barten (Parteien) zufrieden gewesen, so haben sie diese Baar Zeichen Eigenhendig unter schrieben. So geschehen Artern den 16. Mertz 1770Johann Gottfried Stechert alls Vormund

Johann Gottfriedt Meyer als LehrMeister“