Die Pastorentochter

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Zuerst veröffentlicht in: EKKEHARD, Familien- und regionalgeschichtl. Forschungen, Hallische Familienforscher, Neue Folge 9 (2002), Heft 2, S. 36ff

Meine Vorfahrin Johanna Louise Friederica Ramdohr ist eine echte Pastorentochter. Ihr Vater ist der Pfarrer Friedrich Christian Carl Ramdohr in Polleben, nordöstlich von Eisleben. Als sie geboren wird am 31. Januar 1791, ist ihr Vater schon 5 Jahre dort im Amt. Man kann annehmen, dass er sich eingearbeitet hat. Ihre Mutter, Johanna Erdmuthe Friederica Ramdohr, lebt schon seit ihren Kinderjahren nicht nur in Polleben, sondern auch in diesem Pfarrhaus, das zur St. Stephani-Kirche gehört. Sie ist nämlich auch eine Pastorentochter. Ihr Vater - und damit der Großvater mütterlicherseits der kleinen Johanna - war der Vorgänger Ramdohrs, Andreas Valentin Leberecht Schmidt. Die Großmutter mütterlicherseits, Marie Elisabeth Schmidt, lebt noch, vielleicht sogar im Pfarrhaus. Und ist ihrerseits eine Pastorentochter, nämlich Tochter des Pastors von Nelben Johann Friedrich Eisfeld. Dass Johannas Vater Friedrich Carl Christian ein Pastorensohn ist, wundert dann gar nicht mehr. Und der Ehemann der Schwester des Vaters, Niemeyer, ist Pastor in der Neustadt von Aschersleben.Wohin die kleine Johanna in ihren Kinderjahren blickt: alles Pastoren und Pastorentöchter.

Wahrscheinlich ist ihr das selbstverständlich, denn auch viele der Freunde des Hauses werden wieder Pastoren sein. Typisch die Liste von Johannas Paten: Außer der Schwägerin ihrer Großmutter väterlicherseits, Johanna Louise Specht[1], die die Frau des Pächters eines geistlichen Stifts ist, sind es: zwei junge Theologen, der Onkel Johann Heinrich Ramdohr und ein Freund der Familie, Christian Martin Böttcher, der später als Pastor ihre zweite Patin, ihre Tante Rosamunde Friederica Schmidt, natürlich Pastorentochter, heiraten wird.Ob das eng war? Soviel Theologie rundum? Und wie mag diese Theologie ausgesehen haben? Sicher waren diese Pastoren trotz ihres engen familiären Zusammenhalts keineswegs einer Meinung in Sachen des Wortes Gottes und der Verwaltung der Kirche! Ich kenne das. Auch ich bin eine Pastorentochter. Aber immerhin hatten sie alle in Halle studiert, weil das Pflicht war im Bereich des Magdeburgischen Consistoriums.Denkbar ist, dass Johanna Louise Friederica nicht nur früh zu regelmäßigem Gottesdienstbesuch angehalten wurde und Lesungen und Gebete zeitig auswendig kannte, sondern dass sie schon als Kind Gelegenheit hatte, bei fachlichen Streitgesprächen Zeuge zu sein. Andererseits war ihr wohl kaum erlaubt, durch Fragen die Erwachsenen zu stören. Dass ihr Vater und ihre Onkel die Besetzung der Pfarrstellen durch den Patronatsherrn als unvereinbar mit dem Auftrag ihres Amtes ansahen, ist nicht anzunehmen. Sie gehörten zu einer Familie, die bevorzugt wurde bei der Stellenvergabe, die jungen Theologen waren als Hauslehrer auf den adeligen Gütern der Umgebung wohl gelitten. Sie sind nicht hervorgetreten durch starken Protest, sie waren mittlere Leute und wussten sich zu schicken. Der Hallesche Pietismus war keine umstrittene Neuheit, die  Augustana invariata kein politischer Trennungsstrich mehr zwischen Königshaus und Landständen. Der Großvater Schmidt wird im Nachruf im Kirchenbuch noch ein "treuer Wächter auf den Mauern Zions" genannt, das heißt, er war streng orthodox, fühlte vielleicht noch mansfeldisch. Der Großvater Ramdohr widmete seine Lehrbücher über Bienenzucht preußischen Ministern und erhielt ein königliches "Douceur" in Anerkennung seiner Verdienste auf diesem Gebiet. Der Vater denkt wahrscheinlich liberal. Über ihn heißt es im Nachruf: "Ein überaus freundliches, theilnehmendes Wesen war der Hauptzug seines Herzens,"..... "Seine größte Freude waren seine Kinder, für die er so unermüdet arbeitete... Sein liebster Aufenthalt und Wirkungskreis war sein Haus und seine Gemeinde."Ob das stimmt, können wir an einem Kirchenbucheintrag von seiner eigenen Hand nachprüfen.

Gestorbene 1800[2]21. Caroline, Friderice, Henriette Ramdohr, meine, des jetzigen Predigers F.C.C. Ramdohrs jüngstes Töchterchen, schlummerte den 14ten Octobr. mittags um 11 Uhr sanft und still an einer bösartigen Ruhr, an der sie kaum 5 Tage krank gelegen hatte, in die Ewigkeit hinüber, und wurde den 17ten ejusd. früh in der Stille beerdigt, nachdem sie ihr kurzes Leben gebracht hatte auf 6 Jahr und 14 Tage. Noch waren ihre Gebeine nicht zur Ruh als ein zweyter Schlag uns tiefgebeugte Eltern traf. Denn22. Christian Ludwig August Ramdohr, mein, des jetzigen Predigers F.C.C. Ramdohrs, zweyter Sohn wurde in der Nacht vom 16ten auf den 17ten Octobr. gegen 12 Uhr durch die nemliche bösartige Ruhr der Welt und den Seinen entrißen, und den 20ten ejusd. früh in der Stille beerdigt. Der schöne, hoffnungsvolle, aber kurze Lauf des Lebens dieses gefälligen biedern Knabens hatte nur 7 Jahr 10 Monate und 8 Tage gedauert."Zu Dir, allmächtiger Gebieter über Leben und Tod, hebe ich mein blutendes Herz, und meine ringenden Hände empor. Du hast mir ein Hartes erzeigt, und diese Tage zu den jammervollsten meines Lebens gemacht -- mir nicht nur diese geliebten Pfänder entrißen, sondern auch mein ganzes Haus geschlagen. Alle meine noch übrigen 5 Kinder, und selbst meine Gattin liegen an der gefährlichen Krankheit, der Ruhr. Ich allein stehe noch aufrecht u. bin der einzige, auf dem die ganze furchtbare Last des Kummers und Grauens, der Sorge und Arbeit u. der Wartung und Pflege ruht. Und doch unterwerfe ich mich Deinen Schickungen und bringe Dir meinen, wenn gleich weinenden, doch herzl. Dank dar -- Du hast von mir, wie einst von Deinem Diener Abraham, nicht blos ein Opfer, Du hast 2 gefordert, um meinen Glauben zu prüfen, und auch hierin ein Vorbild der Heerde zu werden, die Du mir anvertrautest, und ich habe nicht gemurrt. Schenke mir nun dafür meine kranke Gattin, meine noch übrigen Kinder wieder, und stelle sie bald wieder her. Hast Du aber ein Anders beschloßen; sollte ich noch härter geprüft werden: Wohl, es geschehe Dein Wille.

Ich hange dennoch fest an Dir -- ob Erd und Himmel unter mir

Ob aller Trost vor mir verschwindt'

Ich hang an Deinem Angesicht, mein Glaube, Vater, läßt Dich nicht,

Der Wunden schlägt und sie verbindt'.

Johanna, ein geliebtes Kind, hat überlebt, auch die Mutter und die vier Geschwister. Ob die Pastorentochter später diese Zeilen im Kirchenbuch gelesen hat, dies Zeugnis einer selbstbezogenen, besitzergreifenden, aber heftigen Liebe? Ob sie diese Liebe ihres Vaters erwidert hat? Ob sie die Frömmigkeit verstand, die aus den Worten sprach? Ob sie sie teilte? Vielleicht hat sie als 15jährige zum 20jährigen Kantorensohn Benjamin Liebscher gesagt: "Wenn du Pastor wirst wie mein Vater, heirate ich dich."

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