Die Ehlert–Saga erzählt die Herkunft einer meiner Urgroßmütter, der Kaufmannstochter und Offiziersfrau Martha Ehlert, verheiratete Behn. Es ist die Saga von Leuten ohne Berufstradition, ohne Ortstradition. Die Ehlerts, ihre Verwandten und Nachkommen waren anscheinend Menschen, die eine sich bietende Gelegenheit zu ergreifen wussten – es scheint mir aber auch, dass sie jede sich bietende Gelegenheit ergreifen mussten, weil sie selten eine sichere Ausbildung erhielten. Ehlert soll in Ostpreußen ein sehr häufiger Name sein. Meine Ehlerts sind anscheinend nach der zweiten Polnischen Teilung erst nach Westpreußen eingewandert, möglicherweise als preußische Soldaten oder kleine Händler. Es hat etwas Verwunderliches, dass ausgerechnet Martha Ehlert, die Nachkommin dieser bescheidenen Familien, die reichste meiner vier Urgroßmütter gewesen ist.
Viel weiß ich nicht über diesen Stamm. Der Spitzenahn ist Joseph Ehlert, geboren etwa um 1780, wahrscheinlich in Pommern oder Brandenburg. Nach seinem Beruf, Stadt-Chirurgus in Rastenburg/Ostpreußen von 1808 bis 1819, vermute ich, dass er als junger Mann Feldscher im preußischen Heer gewesen ist. Schon vor 1808 hat er sich an unbekanntem Ort mit Marie Reimann verheiratet. In Rastenburg lässt das junge Paar mehrere Kinder taufen. Nach dem Tod von Marie heiratet Joseph 1813 die junge Dorothea Amalie Eggert, eine Gutsbesitzerstochter. So ist es jedenfalls überliefert, aber ich habe ihre Eltern nicht finden können, weil der Traueintrag im Kirchenbuch fehlt. Von ihr hat er drei lebende Kinder, eins davon ist unser Ururgroßvater Otto Konrad Ehlert, der Getreidekaufmann in Königsberg, geboren am 28. 1. 1819 in Rastenburg, gestorben am 14. 3. 1886 in Königsberg.
Des Getreidekaufmanns Frau wurde Helene Ottilie Guthzeit. Sie ist Ostpreußin von beiden Eltern her, denn ihr Vater, Karl Heinrich Guthzeit, wurde 1791 in Petershagen bei Marienwerder geboren und ihre Mutter, Johanna Krause, 1803 in Mohrungen, der Stadt, in der 1744 Johann Gottfried Herder geboren wurde. Spitzenahn des Ehlert-Stammes ist Karl Guthzeit, der Großvater Karl Heinrichs, der 1765 Pächter der Domäne Uderwangen bei Königsberg war.
Das Ehepaar Guthzeit/Krause besaß das Gut Bialutten, Kreis Neidenburg, dort wuchsen ihre Kinder auf. Später zogen die Eltern nach Königsberg, um die Chancen ihrer Kinder auf Ausbildung und Verheiratung zu verbessern. Dass ihr Schwiegersohn, der Getreidekaufmann Ehlert, 1885 Konkurs anmelden musste und 1886 im Gefängnis starb, hat die ganze Familie schwer getroffen. Ottilie überlebte das Unglück wohl hauptsächlich durch die Treue ihrer älteren Schwester. Diese Schwester Laura Guthzeit hatte, ebenfalls in Königsberg, den jungen Dozenten Ludwig Friedländer geheiratet. Er war Jude. Bis heute ist sein Buch über die Sittengeschichte Roms ein Standardwerk. Friedländer war einer der Mitbegründer der modernen Sozialgeschichte. Sein Schwiegersohn wurde der Kunstgeschichtler Georg Dehio. Ottilie lebte in engem Kontakt zu diesen Akademikerfamilien, sie verließ Königsberg, als Dehios und Friedländers nach Straßburg gingen, und wohnte dann im Breisgau. Sie ist hochbetagt 1915 in Waldkirch bei Freiburg gestorben.
Von den Nachkommen der Ehlerts erzählte meine Großmutter mit Kopfschütteln: in ihren Augen waren die meisten „verkrachte Existenzen“. Wie weit das daran lag, dass Großmutter ihre Mutter nicht leiden konnte, den Vater dagegen liebte, weiß ich nicht. Die schönen alten Haushaltsgegenstände, die ich geerbt habe, stammen jedenfalls sämtlich aus der Mitgift meiner Urgroßmutter Martha Behn. Und diese Mitgift hat schließlich der Getreidekaufmann Otto Ehlert in Königsberg verdient und ihr 1880 mit in die Ehe gegeben.