Der Lehrer Wolffgang Nicol Eberhardt in Altenfeld

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Zuerst veröffentlicht in: EKKEHARD, Familien- und regionalgeschichtliche Forschungen, Hallische Familienforscher "EKKEHARD" e. V. , Neue Folge 9 (2002), Heft 3, S. 80

1736 ist Wolffgang Nicol Eberhardt in Breitenbach oder - wie es zum Unterschied zu anderen Breitenbachs im Thüringer Wald genannt wird - Großbreitenbach geboren. Er ist der dritte Sohn seiner Eltern, die 1730 auch in Großbreitenbach geheiratet haben, und wird in seiner Heiratsurkunde "jüngster Sohn" genannt, was bedeuten würde, dass die Kinder nach ihm entweder alle weiblichen Geschlechts waren oder zumindest spätere Söhne nicht überlebt haben. Das weiß ich nicht, weil ich viel zu wenig Zeit für das ergiebige Kirchenbuch hatte.

Sein Vater ist Handelsmann. Das ist im Ort ein sehr verbreiteter Beruf um diese Zeit. Ich stelle mir vor, dass die Olitäten, die in Großbreitenbach aus den Kräutern des Waldes destilliert wurden, die Glaswaren der Glashütten, die Schachteln der Schachtelmacher, die Mulden der Muldenhauer und auch die Instrumente der Geigenbauer in die Ebene hinab verhandelt werden mußten. Und aus der Ebene herauf kamen Getreide, Früchte und Gemüse, aber auch Werkzeuge und Stoffe. Fleisch scheint es in Großbreitenbach ausreichend gegeben zu haben, denn es gibt auffallend viele Metzger. Das Vieh wurde wohl auf Waldwiesen, die Schweine im Wald gehütet.

Manche dieser Handelsleute sind offenbar vermögend, werden "Vornehmer Bürger", "Hofcommissar", "Curfürstlicher Handelsmann" genannt. Viele mögen nur einen kleinen Handel gehabt haben, mit wenig Kapital, vielleicht sogar in Kommission von Glashütten oder Apothekern. Über Wolffgang Nicols Vater, der der erste Handelsmann in der Familie Eberhardt war, nachdem die früheren alle Fenstermacher gewesen sind, kann ich Genaueres nicht sagen. Er könnte mit einem schönen ererbten Kapital angefangen haben - aber er könnte auch als jüngerer Sohn sich haben durchschlagen müssen. In der Heiratsurkunde seines Sohnes von 1762 - da ist Johann Wolffgang schon verstorben - wird der Beruf als Handelsmann gar nicht mehr erwähnt. Da wird er als "adjutant" bezeichnet. Adjutant ist eigentlich nur beim Militär ein Beruf, in einem thüringischen Waldstädtchen eher unwahrscheinlich. Wenn ich dem Hinweis von Frau Helga Brück, Musikgeschichtlerin in Erfurt, folge, ist "Adjuvant" gemeint - das heißt, er gehörte zu den Laienmusikern der Stadt, die eine wichtige gesellschaftliche Funktion ausübten, mit dem Kantor zusammen die Festgottesdienste und sogar Konzerte gestalteten. Sie wirkten auch bei weltlichen Feiern mit. Die gemeinsamen Einnahmen wurden bei prächtigen Festessen verjubelt. Das tägliche Leben mußten die Adjuvanten von ihrem eigenen Verdienst oder Vermögen bestreiten.

Dass der Vater Adjuvant war, schließe ich auch aus dem Selbstverständnis des Sohnes. Denn als Wolffgang Nicol Eberhardt heiratet, läßt er sich als "der Mahler Kunst ergebener" bezeichnen. Auf einen Beruf im eigentlichen Sinne deutet das nicht, eher auf ein Gefühl von Berufung. Ob er es sich leisten konnte, sich der Kunst zu ergeben, oder ob nur ein fester Vorsatz ihn leitete, jedenfalls gab der Metzger Lödel seine Stieftochter dem jungen Eberhardt zur Frau. Offenbar liebte die 19jährige Johanna Elisabeth Kiesewetter den Kunstbeflissenen. Denn nur sechs Monate nach der Hochzeit, die ganz ordentlich unter "Conjugia honesta" aufgeführt ist, kommt das erste Söhnlein des Paares zur Welt. Wolffgang Nicol Eberhardt wird im Taufeintrag "Kunstmahler" genannt.

Ob Johanna Elisabeth eine gute Mitgift hatte? Ihr noch vor ihrer Geburt 1743 jung verstorbener Vater war Metzger, Koch und Gastwirth gewesen. 10 Jahre hatte die Mutter allein den Betrieb geführt, sich erst 1753 mit dem jungen Metzger Michael Lödel aus Langewiesen zum zweiten Mal verheiratet - vielleicht weil sie wußte, daß sie nun keine weiteren Kinder mehr haben werde. So war Johanna Elisabeths väterliches Erbteil ungeschmälert geblieben. Vielleicht konnten Wolffgang Nicol Eberhardt und sie ganz gut davon leben. Dennoch scheint ihre Existenz nicht unkompliziert gewesen zu sein. Das schließe ich aus drei Tatsachen.

Die erste ist die Wahl der Paten für dies zu früh geborene Kind. Ich möchte sagen, es handelt sich um eine Trotzwahl. Zwar stammen alle drei Taufzeugen aus guten Breitenbacher Familien, die letzte Patin sogar aus der vermögenden Eberhardtsippe mit den Vornamen Johann Günther. Aber es sind alles Söhne oder Töchter, und das Mädchen ist sogar eine Stumme, was ich sonst noch nie bei einer Patenschaft im 18. Jahrhundert erlebt habe. Das heißt, die Honoratioren entzogen dem Paar nicht ganz ihre Gunst, aber sie wollten nicht selbst dies Kind aus der Taufe heben. Auch bei unehelichen Kindern sind die Paten oft Söhne und Töchter von angesehenen Leuten, doch nicht die Bürger oder ihre Ehefrauen selbst.

Die zweite Tatsache ist die, dass nach dem Tod dieses Kindes 1764 dem "Mahler Kunst und Music Ergeben." zunächst kein weiteres geboren wird. Wenn das Paar später mit schöner Regelmäßigkeit, außer nach dem Hungerjahr 1772, alle zwei Jahre ein neues Kind begrüßt: zwischen 1763 und 1767 gibt es keine Taufe. Natürlich könnte Johanna Elisabeth krank sein oder sich ihrem Mann verweigert haben. Aber nachher ist sie gesund, er nennt sie zärtlich sein Weibchen, und sie wird sehr alt. Ich vermute eher, dass Wolfgang Nicol Eberhardt zwischen 1764 und 1766 versucht, irgendwo außerhalb von Großbreitenbach eine Existenz zu gründen - vielleicht auch seine Mal- und Musikkünste auszubilden. Wunderbar wäre es, wenn man 1765 in Arnstadt oder Erfurt die Taufe eines seiner Kinder fände - auch Dannheim, wo um diese Zeit ein Lehrer namens Johann Nicol Eberhardt amtiert, käme in Frage. Doch muss ihn ja seine junge Frau nicht unbedingt auf den unsicheren Reisewegen begleitet haben. Vielleicht ist sie bei Bruder oder Mutter in Großbreitenbach geblieben. Über diese Jahre kann ich nur spekulieren. Leicht, kommt mir vor, sind sie für mein junges Vorfahrenpaar nicht gewesen.

Und dann ist Wolfgang Nicol Eberhardt plötzlich wieder da: Im Kirchenbuch von Altenfeld, einem Bergdorf ungefähr 3 Kilometer von Breitenbach entfernt gelegen und seit 1741 mit eigener Kirche selbständig geworden, lese ich voller Freude:

"Da bisher die hiesigen Herrn Pfarrer auch zugleich Schuldiener gewesen, die Zahl aber der Schul-Jugend durch den starcken Anwuchs der Gemeinde sich theils sehr vermehret, theils dieselbe eines beßern und fleißigern Unterrichts und einer genauern Aufsicht bedurffte als das bishero combinirt gewesene Pfarr- und Schul Amt leisten konnte. So wurde auf unterthänigstes Ansuchen der hiesigen Gemeinde derselben ein besonderer Schuldiener gegeben und ich Wolfgang Nicol Eberhardt gebürtig von Breitenbach ohne eintziges Nachsuchen von Ew. Hochfürstl. Durchl. Fürst CHRISTIAN GÜNTHERN zum ersten Schuldiener gnädigst denominiret. - Die Probe geschahe anno 1766 den 3.ten u. 4.ten August in der Kirche und Schulen. Den 28.ten dato aber mein Anzug..."

"Ohne eintziges Nachsuchen" hat man ihm die neuerrichtete Schuldienerstelle angeboten und er hat, unter Verzicht auf seine freie Kunstergebenheit, angenommen - es klingt freudig und selbstbewußt, wie er sich im Kirchenbuch als neuer Lehrer vorstellt. Das ist die dritte Tatsache, aus der ich schließe, dass die Existenz als der "Kunst Ergebener" nicht rosig gewesen ist.

Ein Dorflehrergehalt im 18. Jahrhundert ist keine üppige Pfründe! Aber die Altenfelder bauen ans Pfarrhaus "auf dem Hügel" eine "Lehrerwohnung" an mit eigenem Dach und Eingang, und er kann in das neue Häuschen mit seiner Frau Johanna Elisabeth, geb. Kiesewetter, einziehen. Garten und Feld gehören dazu, Einnahmen fürs Kirchenbuch- und Urkundenschreiben, fürs Orgelspiel, Glockenläuten und das Stellen der Turmuhr. Und nun purzeln die Kinder!

1767, 1769, 1771, 1774, 1776, 1778 schreibt Wolffgang Nicol Eberhardt mit seiner gut leserlichen angenehmen Schrift die Taufen seiner Kinder ins Kirchenbuch von Altenfeld. Irgendwie muß ich ihn liebhaben, wenn er behauptet, daß "mir, Wolffgang Nicol Eberhardten Schuldiener allhier" jedes dieser Kinder geboren wird. Sicher, er fügt ja hinzu "und meinem Weibchen (bzw. meiner Ehe-Frau) Johanna Elisabetha gebohr. Kiesewetterin". Aber irgendwie setzt sich bei mir fest, dass sie in erster Linie ihm geboren werden. Und auf jeden Fall sterben sie in erster Linie ihm! 1771, 1775 und 1777 muß er den Tod eines Kindes beurkunden. Ganz besonders entsetzlich ist der Tod des 7jährigen Johann Nicolaus für seinen Vater. Im Kirchenbuch steht:

1775

Nr. 3 Den 23.ten Februarij in der Nacht 11 Uhr ist mir Wolffgang Nicol Eberhardten dermahligem Schuldiener allhier ein Liebes Söhnlein Johann Nicolaus gestorben und den 26.ten dato mit einer Predigt begraben worden. Sein Alter war 7 Jahr 5 Monath und 3 Wochen. Dabei ein Reichsthaler in die Kirch verehret worden. Der Herr und Gott der das liebe Kind zu sich genommen, erquicke seine Seele mit ewiger Freud und Wonne und laße das abgelebte Cörperlein sanffte ruhen biß zu fröhlicher Auferstehung durch Jesum Christum, seinen einigen und geliebten Sohn, Amen."

Noch nie habe ich wie in diesem Schmerzensgebet die Identifizierung eines leidenden Vaters mit Gott empfunden. Gott, der seinen Sohn am Kreuz verlor, soll sich des Schuldieners Sohn liebevoll annehmen, durch den einigen und geliebten Gottessohn soll auch das Schuldienerkind zur Auferstehung finden. Ja, ich weiß, der Text steht in der Tradition der damaligen Theologie. Er ist kein orginäres Kunstwerk des "der Kunst und Music Ergebenen". Und doch! Wenn man bedenkt, wie ernst Wolffgang Nicol Eberhardt das Kirchenbuch nahm, wie streng er das vorgegebene Formular bei jedem Eintrag beachtete, wie wenig er sich gehen ließ in Schrift und Format: dann bedeuten diese Worte einen wohlbedachten Akt persönlichen Ausdrucks. Er ist in einer Situation, die ihn Grenzen überschreiten läßt. Das zeigt auch die Verehrung an die Kirche. Eine Leichenpredigt für einen Reichsthaler ist eine unglaubliche Ausgabe bei der Beerdigung eines Kindes. 8 Pfennig sind üblich, oft auch weniger, wenn "in der Stille" beerdigt wird.

Große Sorgfalt verwendet Wolffgang Nicol Eberhardt auf die Paten: Vier müssen es sein bei jedem Kind und angesehene, wichtige Leute aus der engeren und weiteren Umgebung. Offenbar hat er nun keine Schwierigkeiten mehr, sowohl unter den Handelsleuten in Großbreitenbach als auch unter den Glasmeistern in Altenfeld und sogar fürstlichen Beamten bis Stützerbach hinauf , z.B. Förstern, titelreiche Taufzeugen zu finden. Nur ergänzend sind Söhne oder Töchter dabei. Der Hauptpate ist immer eine gestandene Person oder seine Frau. Wolffgang Nicol Eberhardt, der Schuldiener, ist arriviert.

Sein Leben ist nur kurz. Mit 44 Jahren schon stirbt er. Ich weiß nicht, woran. Aber mehr Lebenszeugnisse als von den andern, zum Teil sehr alt gewordenen Schuldienern unter meinen Vorfahren sind gerade von ihm bis heute erhalten.

Diese Zeugnisse hat nicht sein Sohn, mein nächster Vorfahr in dieser Reihe, aufbewahrt. Johann Wolffgang Nicolaus Eberhardt, geboren 1774, ist bei des Vaters Tod erst 6 Jahre alt. Er leidet unter dem frühen Verlust des Ernährers. Er muß öfter den Ort wechseln, an Ausbildung scheint es ihm gefehlt zu haben. Später in Arnstadt ist er Gartenarbeiter. Er konnte nichts überliefern. Aber in seinem Wirkungsort Altenfeld hat man des Schuldieners Eberhardt gedacht. Offenbar hat er Aufmerksamkeit, ja Beachtung erregen können.

Das eine dieser Zeugnisse ist eine Zeichnung. Sie stellt eine Jagdkanzel dar, wie es viele gab im Thüringer Wald. Das fürstliche Jagdrecht wurde zwar meist von den Jägern und Förstern ausgeübt, aber ab und zu wollte es auch der Fürst selbst zur Repräsentation seiner Macht und zum Vergnügen hoher Gäste gebrauchen. Dazu wurde eine Jagdkanzel errichtet - es gibt sogar solche aus Stein zu mehrmaliger Benutzung - die Dorfbewohner mussten tagelang nach Anweisung der Forstbeamten das Wild zusammentreiben. Am angesetzten Jagdfest wurde das Wild durch Laufgatter direkt vor die Gewehre der hochadligen Schützen geleitet.

Im Falle meines Vorfahren, des Lehrers von Altenfeld, war dieser angesetzte Tag der 3. September 1776, die Jagdkanzel, als hölzerner Pavillon mit mehreren Pergolen erbaut, stand am Kahlert, der Anhöhe westlich von Altenfeld, und der Jagdherr war Joseph von Sachsen-Meiningen, der die Prinzen der Umgebung zur Jagd einlud. Sicher ist der Lehrer Eberhardt, wie so viele Bewohner der umliegenden Waldsiedlungen, Zuschauer dieses "Prächtigen Abschießens" gewesen, vielleicht aber war er noch mehr. Unter die säuberliche Zeichnung des ausgedehnten zierlichen Gebäudes schreibt er nicht "pictor", sondern "inventor Wolffgang Nicol Eberhardt". Natürlich ist es möglich, dass er die Bedeutung von inventor nicht genau kannte. Aber möglich ist doch auch, dass der der Kunst Ergebene die Kanzel entworfen hat und dass die Fenstermacher sie nach seinen Zeichnungen gebaut haben und dass aus diesem Grunde und nicht nur wegen des außergewöhnlichen Ereignisses, das sich bei dieser fürstlichen Jagd zutrug, diese Zeichnung bis 1954 noch in Altenfeld zu finden war, ja, vielleicht noch zu finden ist, wenn man nach ihr sucht. Denn auf der Rückseite der Zeichnung steht:

Das Bild ist s.Zeit in den Besitz der Familie Bulle in Altenfeld gekommen u. von ihr 1½ Jahrhunderte bewahrt worden. Ich nahm es als Erbe meines Schwiegervaters Jacob B. in Besitz und übergebe es heute seinem Enkel, meinem Neffen Hilmar Sch. in Altenfeld. Sondershausen, im Sommer 1925 G. Luhe

Am 19. Mai 1954 von Frau Rosel Schmidt dem Pfarramt Altenfeld geschenkt.

Fr. Schmitt, Pf.

Das andere Zeugnis von Wolffgang Nicol. Eberhardt befindet sich im Kirchenbuch von Altenfeld, nach den Bestallungen der Pfarrer und Lehrer und vor den Taufeinträgen. Es ist die Schilderung der Hungersnot von 1771/72. Der Lehrer Eberhardt hat nicht selbst die Kühnheit besessen, den Text ins Kirchenbuch zu schreiben, vielmehr hat ein späterer Kirchenbuchschreiber, dessen Namen sich durch Schriftvergleich vielleicht feststellen ließe, eine Niederschrift des Lehrers nach dessen Tod kopiert. Es heißt da: "Denkwürdigkeiten zu Altenfeld von Anno 1771 bis 1772, 1773 und 1774 von einer hinterlaßenen Handschrift des damals lebenden Hn. Schulmeisters Eberhard wörtlich abcopiret."

Um den Text des Lehrers zu würdigen, müsste man die wirtschaftlichen Umstände in den Waldsiedlungen Thüringens in diesen Jahren genauer kennen, auch möglichst andere Beschreibungen der Hungersnot zum Vergleich heranziehen. Eins ist aber sicher: Die Schilderung des Elends in Altenfeld hat den Kopisten so bewegt, dass er den Text einer wörtlichen Abschrift ins Kirchenbuch für wert befand. Und wirklich: auch ich als späte Leserin bin beeindruckt von der Direktheit der Sprache, der Fülle von Details und dem Versuch der theologischen Bewältigung. Wie gesagt, ich möchte den ganzen Text noch genauer studieren. Doch schlägt mich der folgende Ausschnitt auch ohne Erläuterung in seinen Bann:

"... Auch konnte damals mir und dem Herrn Pfarrer Wolfgang Nicol Krannichen die gewöhnliche Besoldung von der Gemeinde nicht gereicht werden, so daß wir also, weil wir in Jahr und Tag wenig oder nichts erhielten, uns auch in sehr kümmerliche Umstände versetzt sahen. Die Tempel und Gottes Häuser sahe man des Sonntags und Montags fast leer von Menschen, weil viele ihre Kleider versetzt oder verhandelt hatten, um davon einige Zeit ihr Leben kümmerlich zu erhalten. Viele auch aus Mattigkeit und Krankheit das Gotteshaus nicht besuchen konnten, Einige aber aus schändlicher Gewohnheit die Kirchen und Predigten göttlichen Wortes liederlich verabsäumten. Bey diesen Gottesverächtern, Huren und Ehebrechern, bey Säuffern und Schlemmern, bey Spöttern und Faulenzern, bey diebischen und ungerechten Menschen sahe man vor andern Christlich armseligen Menschen den wirklichen Untergang vor Augen, daß Gott solche Bösewichter zum merklichen Exempel ausrotten, zerbrechen und verderben wollte, wie denn auch viele davon in ihren Sünden elendiglich in Wäldern und Feldern, in Häusern und vor den Ställen starben. Die Schule sahe ich täglich von Kindern leer, daß von 60 kaum 8 bis 12 dieselbe besuchten. Hiervon war ebenfalls die Ursache, weil viele ihr Brod vor den Thüren suchen mußten, viele auch aus Mattigkeit dieselbe nicht besuchen konnten, einige aber aus böser Gewohnheit für sich allein oder mit ihren gottlosen Eltern der Dieberey nachgegangen."

Hinter der Ausnahmesituation der Hungersnot erscheint der Lehreralltag. Auch zu besseren Zeiten hing das Einkommen des Schuldieners unmittelbar am Verdienst der Dorfbewohner. Auch dann hat es Leute in Altenfeld gegeben, die den Gottesdienst versäumten, Schulkinder, die die Schule "aus böser Gewohnheit" mieden. Und 60 Kinder zu unterrichten, selbst wenn sie gutwillig waren, bedeutete stets Plackerei. Schon normale Zeiten waren schwer. Gut, dass das Verhältnis zu Pfarrer Wolfgang Nicol Krannich ein gutes ist! In schöner Solidarität stehen ihre Namen nebeneinander, als sie "in sehr kümmerliche Umstände versetzt" werden. Beim ersten Kind nach der Hungersnot, bei der Taufe meines Vorfahren Johann Wolffgang Nicol. 1774 bittet der Lehrer extra Pfarrer Neumeister aus dem benachbarten Neustadt um die Taufhandlung, damit sein Chef, "H. Pastor Wolfgang Nicol. Krannich wohlverdienter Pfarr und Seelsorger allhier" erster Pate sein kann.

So ist es wohl nicht Pfarrer Krannich gewesen, der im Kirchenbuch die wohlgemute Äußerung meines Vorfahren, er sei zum Schuldiener gemacht worden, um für "beßern Unterricht" zu sorgen, bezweifelt hat. Aber irgendjemand hat es bezweifelt, indem er "beßern" durchstrich! Das steht fest, ist bis heute zu sehen! War es Joachim Christian Polycarp Brömel, der am 30. Juli 1764 das Pfarr- und Schulamt noch in Personalunion übernommen hatte? Er muß auch jung gewesen sein, denn er schreibt, dass er vorher Substitut war. Er hätte einen Grund gehabt, sich zu ärgern: einen Teil seiner Einkünfte verlor er an den neuen Schuldiener, diesen Luftikus, der womöglich sich bei den Kindern beliebt machte durch seine unkonventionelle Art. Schon 1767, ein Jahr nach Eberhardts "Anzug", wechselt Brömel in eine andere Gemeinde, ist zuletzt in Arnstadt tätig. An seine Stelle in Altenfeld kommt Pfarrer Krannich. Hat er, Eberhardt begütigend, das Wort "beßern" wieder unterstrichen?

Ob Wolffgang Nicol Eberhardt ein guter Lehrer war, das werden wir nicht mehr erfahren. Aber eine seine Mitmenschen beeindruckende Persönlichkeit, das muss dieser der Kunst Ergebene gewesen sein. Vielleicht haben seine Schulkinder noch als alte Leute von den liebenswerten Eigenheiten ihres Lehrers Eberhardt erzählt!