Unser evangelischer Pfarrerstamm

Zuerst erschienen in EKKEHARD, Familien- und regionalgeschichtliche Forschungen, Hallische Familienforscher "EKKEHARD" e.V., Neue Folge 15 (2008), Heft 4

Ob es Ihnen ähnlich wie mir ergeht, werte Familienforscher? Wartet auch bei Ihnen Freund und Feind auf „das Buch“? Das Buch mit der ganzen langen Familiengeschichte? Ich fürchte, dieses Buch wird es von meiner Hand nie geben. Vielleicht kann ich den Grund dafür mit diesem Text erklären und zugleich wenigstens einen Teil dieser hochgespannten Erwartungen befriedigen. Deshalb finden Sie hier als Lehrstück der Familiengeschichtsschreibung den Artikel:

Unser evangelischer Pfarrerstamm

Der Pfarrerstamm ist die Überraschung meiner Ahnenforschung. Dass mein Bruder Klaus von Kind an Pfarrer werden wollte, betrachteten wir zwar, neben all seinen persönlichen Motiven, als durchaus traditionsbestimmt: ein Pfarrerssohn, der Pfarrer wird. Und unsere Mutter war es so sehr zufrieden! Niemals, denke ich, ist sein Vorsatz irgendwie in Zweifel gezogen worden. Mein Vater hingegen schien eher auf Umwegen zur Theologie gefunden zu haben. „Es stand eigentlich von Anfang an für mich fest, dass ich Landwirt werden musste. Diesen Gedanken hatte ich bis Obersecunda, Unterprima aufrechterhalten,“ schrieb er noch in seinem Lebenslauf für das 1. theologische Examen. Es schien, als habe erst die Gefährdung der Kirche durch das Dritte Reich ihn zu dem überzeugenden Vertreter des Evangeliums gemacht, als der er später uns Kindern von allen, die ihn kannten, geschildert wurde. Dass er eine Familientradition fortsetzte, war meiner Mutter unbekannt. Unter ihren Vorfahren Liebert und Behn befindet sich kein Theologe.

Aber mein Vater war nicht der erste Geistliche in der Familie! Er war nur nach einer größeren Pause wieder der erste. Und er selbst muss das auch gewusst haben! Die Bilder der beiden Kölner Priesterherren von Mering hingen im Arbeitszimmer seines Vaters, und seine Großmutter mütterlicherseits, die für den Zusammenhalt der Familie eine so große Rolle spielte, war eine Pastorentochter Liebscher aus Sachsen-Anhalt. Der Pfarrberuf kann meinem Vater nicht fremd gewesen sein. Er zählte, möchte ich sagen, zu den Optionen seines Lebens. Trotzdem war natürlich ein eigener Entschluss vonnöten.

Nur zwei meiner acht Urgroßelternstämme haben eine Pfarrertradition: der römisch-katholische Stamm von Mering am Niederrhein und der evangelisch-lutherische Stamm Liebscher in Sachsen-Anhalt. Bei den Merings sind die Geistlichen wegen des Zölibats jeweils Brüder oder Vettern meiner Vorfahren. Seit der französischen Revolution ist kein von Mering mehr katholischer Priester geworden. Der letzte verließ 1798 das geistliche Amt und wurde Mâitre Civil von Niederbreisig am Rhein. Die evangelischen Liebschers haben bis 1880 Pfarrer gestellt. Trotzdem kann die Familienforscherin ihren Vater, einen evangelischen von Mering, in der Tradition des Pfarrberufs sehen.

Siebzehn Pfarrer sind seine direkten Vorfahren. Dazu kommen in früheren Jahrhunderten die Brüder und Schwäger der Ahnen in beiden Konfessionen. In diesem Text will ich aber nur der direkten Vorfahren gedenken.

Der älteste dieser Pfarrervorfahren heißt Jacob Stellwagen. Wahrscheinlich war er schon Geistlicher, zumindest schon Theologiestudent, als die Reformation ihn erfasste. Nach Bierings Forschungen[1] ist er in Hettstedt Diacon gewesen. Von dort sei er 1535 nach Heldrungen versetzt worden. Um 1550 heiratet seine Tochter Barbara unsern nächsten Vorfahren, den Pfarrer Johannes Krause in Ellrich. Dass zur Reformationszeit die Pfarrerstochter einen Pfarrer heiratet, ist begreiflich. Noch hängt ein Hauch von Illegitimität an der Pfarrerehe. Beide müssen mit Vorurteilen in ihrem Umfeld rechnen, ihre eigne Befangenheit überwinden. Aber Graf Hans von Mansfeld stützt die neue Lehre. Nach Biering wird der verheiratete Johann Krause Hofprediger in Rothenburg an der Saale. Zwei Söhne Krauses werden erwachsen: Johannes und Philipp. Sie nennen sich nun Crusius.

Johannes Crusius, unser nächster Vorfahr, wird ab 1576 Pfarrer in Oberrissdorf und von 1587 bis 1616 Diacon an S. Nicolai in Eisleben. Seine Tochter Dorothea heiratet 1616 den Pastor Michael Seiler. Von nun an befinden wir uns auf dem sicheren Grund von Kirchenbüchern!

Michael Seiler führt als Diacon selbst von 1616 bis 1626 das Buch der Kirche St. Annen in der Eisleber Neustadt. Michael Seiler ist, wie seine Frau Dorothea auch, ein „Eisleber Kind“. Als solche sind sie von der Taufe an evangelisch. Michael ist zwar kein Pfarrerssohn, aber ein Pfarrerenkel. Seine Mutter heißt Magdalena Stam. Deren Vater Johannes Stam ist 1529 in Freiberg in Sachsen geboren, soll zuerst Lehrer und dann Pfarrer in Bornstedt gewesen sein, ist mindestens 1569 Diakon an St. Andreas in der Altstadt Eisleben und dann 1570 als Pfarrherr in die Neustadt gewechselt. Als der Sohn von Michael und Magdalena, Johannes Seiler, sich 1650 um das Pfarramt in Klostermansfeld bewirbt, beruft er sich auf eine „pfarrherrliche Abstammung“.[2]

Johannes Seilers Schwiegersohn wird 1680 Johannes Bender aus Leipzig, dessen Tochter wird die Großmutter des Pfarrers Schmidt aus Eisleben, der 1763 seinerseits eine Pfarrerstochter aus Nelben heiratet. Pfarrhäuser bleiben noch eine Weile das bestimmende Element bei unsern Vorfahren in Sachsen-Anhalt: die Pfarrerstochter Schmidt heiratet den Pfarrerssohn Ramdohr, eine Tochter aus dieser Ehe heiratet den späteren Ephorus Liebscher und dessen Sohn, selbst Pastor, heiratet die Pfarrerstochter Nathusius. Danach allerdings geht die Zahl der Theologen in der Familie wieder zurück. Von Franz Liebschers drei Söhnen studiert nur einer Theologie – und der stirbt als Student.

Genealogisch abgelegen von den übrigen Pfarrern ist Johannes Schütz, Pfarrherr in Riestedt. Er ist der Großvater mütterlicherseits von Burghardt Kuntzsch, dem Amtschösser des Grafen Friedrich von Mansfeld.[3] Erst sein Urur-Ururenkel Andreas Valentin Leberecht Schmidt wird wieder Pfarrer, die Zwischengenerationen sind Kaufleute und Juristen. Da lässt sich kaum von Pfarrertradition sprechen.

Genealogisch noch abgelegener, nämlich ein Vorfahr von unsers Vaters Großmutter väterlicherseits, ist der Pfarrer Johann Gänsehals in Ringleben.[4] Er hat mit den Liebschers gar nichts zu tun! Seine Nachfahren sind Gerber, Bäcker und Glaser in Artern, erst als der Nachkomme Karl von Mering die Liebscher-Nachkommin Clara Eberhardt heiratet, wird er unserem Pfarrerstamm hinzugefügt.

Die Pfarrer, die unsere Vorfahren sind, heißen also in historischer Reihe: Stellwagen, Krause, Stam, Schütz, Crusius, Seiler, Gänsehals, Nathusius, Seiler, Bender, Eisfeld, Ramdohr, Schmidt, Ramdohr, Liebscher, Nathusius, Liebscher und zum Schluss von Mering. In meiner Generation sind es zwei: neben meinem Bruder Klaus von Mering noch ein Vetter zweiten Grades, auch er ein Urenkel des Pfarrers Franz Liebscher: Horst Ostermann, Superintendent i.R. in Waldbröl. In der jungen Generation ruht die Tradition auf Christine von Mering, die als Assessorin für Englisch- und Religionsunterricht an einem Gymnasium arbeitet.

Von unseren historisch frühesten Vorfahren im Pfarrberuf sind die Nachrichten spärlich, aber dass wir überhaupt von ihnen wissen, verdanken wir Spangenbergs, Wilischs und Bierings Interesse an den Persönlichkeiten im Pfarramt. Um das Jahr der Reformation 1517 habe ich rechnerisch betrachtet ungefähr 25.800 Vorfahren. Von den weitaus meisten weiß ich gar nichts! Johannes Stam, Johann Schütz und Johann Krause waren Glückskinder: ihre mir unbekannten Eltern schickten sie zur Lateinschule und ließen sie studieren. Ungefähr zur gleichen Zeit entsteht das Kirchenbuch. Immer habe ich empfunden, dass das evangelische Kirchenbuch als familiengeschichtliche Quelle dem katholischen überlegen ist. Der katholische Geistliche legt Wert auf die richtige und getreue Handhabung der Sakramente, der evangelische protokolliert die Lebensführung. Ausbildung und Beruf, Heirat und Aufzucht von Kindern sind für ihn Glaubensbewährung. Durch das Zusammenspiel der persönlichen Beziehungen aller Gläubigen entsteht die Gemeinde: dazu tragen die Verschwägerungen ebenso bei wie die Patenschaften. Natürlich kann man das auch negativ fassen: die Gemeinde ruft den Klatsch und die soziale Kontrolle hervor. Der Clerus Mansfeldicus verknüpft dank der Versetzungen und Verwandtschaften der Amtsträger die einzelnen Gemeinden miteinander zur irdischen Kirche Jesu Christi in der Grafschaft. Er ist der Vorläufer der Pfarrerbücher.

Die Anfänge unseres Pfarrerstamms in der Heimat Luthers sind sicher nicht glänzend gewesen, weder von der Ausbildung der Pfarrer her noch von ihrem Lebensstandard. An Vorbildern für die Führung eines evangelischen Pfarramtes fehlte es zunächst, trotz der Bemühungen der Wittenberger Universität, dem abzuhelfen. Immerhin wählte Graf Hans von Mansfeld Johannes Krause zu seinem Hofprediger. Nach dem frühen Tod des Pfarrers scheint zuerst der Graf und nach ihm seine Witwe, die fromme Gräfin Margarethe von Mansfeld, geb. von Braunschweig-Lüneburg, für die Söhne Johannes und Philipp Crusius gesorgt zu haben. Denn Johannes soll 1572 – 1575 Praeceptor bei den Söhnen der Fürstin Margarethe gewesen sein und Philipp ist in diesen Jahren ihr enger Mitarbeiter an der Kirche St. Annen in der Neustadt von Eisleben.[5]

Von Johannes Stam bezeugt der Freiberger Historiograph Wilisch:[6] Er sei zunächst in patria, also in seiner Geburtsstadt Freiberg zur Schule gegangen – das muss zwischen 1537 und 1548 gewesen sein. Luthers Auslegung der Bibel wird zu dieser Zeit in Freiberg heftig diskutiert, der regierende Fürst, Heinrich von Sachsen, hat selbst auf Wunsch seiner Frau Katharina einen evangelischen Hofprediger aus Wittenberg kommen lassen. Lange schwankt der Fürst, weil sein älterer katholisch gesinnter Bruder Georg ihm droht. Die Bürgerschaft, zu der unseres Vorfahren Eltern gehören, entscheidet sich schneller. Im Sommer 1548 wird Johannes Stam in Leipzig immatrikuliert, im Juli 1549 in Wittenberg. Seine Professoren sind evangelisch. Als er sich um die Schulmeisterstelle in Bornstedt beim Grafen von Mansfeld bewirbt, hat er sich endgültig der neuen Lehre verschrieben.

Einen Johan Schüze findet Biering 1541 als Plebanus in Holdenstedt und dann von 1550 -1555 „auf der Heyde“. Ob das aber unser Vorfahr Johann Schütz ist, der von 1556 - 1581 in Riestedt Pfarrer ist, konnte ich nicht klären. Das Kirchenbuch ist zur Verfilmung eingezogen. Noch Superintendent Emmerling in Eisleben weiß aber rund 100 Jahre später, 1667, zu berichten, dass Schütz gegen die Calvinisten geschrieben habe.

Für Johannes Crusius II. als Pfarrerssohn, für Michael Seiler als Pfarrerenkel war der Weg schon weitgehend vorgezeichnet. Ausbildungs- und Berufsmuster stehen den jungen Leuten vor Augen. Auch Christian Nathusius und Johannes Seiler, 1625 geboren, können sich auf eine Studien-Tradition in der Familie berufen: sie sind in der 3. Generation Theologen. Magister Johannes Seiler begründet 1650 damit geradezu seine Bewerbung um das Pfarramt in Mansfeld. Christian Nathusius ist Sohn und Enkel von theologisch gebildeten Schulmeistern, er ist nur der erste, der ein Pfarramt bekommt.[7]

Drei der Pfarrervorfahren sind nachweislich Kinder von Stadtbürgern: Johannes Benders Vater ist 1636 Bürger und Windenmacher in Leipzig, Johann Friedrich Eisfelds Vater ist 1717 Bürger und Brauer in Könnern, Johann Christian Ramdohrs Vater 1730 Bürger und Brauer in Aschersleben. Man darf vermuten, dass die Eltern wohlhabend waren und es sich zur Ehre anrechneten, den begabten Sohn studieren zu lassen. Die Väter ließen aber keineswegs alle Söhne studieren. Und die zahlreichen Handwerker und Stadtbürger meiner andern Vorfahrenstämme kommen gar nicht auf die Idee, einen Sohn Pastor werden zu lassen! Was also gab den Ausschlag? Ein besonders frommer Pate? Ein beispielhafter Pfarrer in der Stadtgemeinde? Die persönliche Neigung des Jungen? Oder ist es einfach die Erreichbarkeit guter theologischer Fakultäten in Wittenberg, Halle, Jena und Leipzig? Jede Tradition muss einmal begründet werden. Die Familiengeschichte stellt mehr Fragen als sie beantwortet.

Johannes Bender, geboren mitten im 30jährigen Krieg, brauchte sicher mehr Mut zum Pfarrberuf als Johann Friedrich Eisfeld und Johann Christian Ramdohr, die am Anfang des 18. Jahrhunderts das Licht der Welt erblickten. Sie wuchsen in die Zeit des Pietismus hinein. Als barocker Mensch war Johannes Bender auch kämpferischer, vielleicht ehrgeiziger. Er wechselte öfter die Stelle, wurde Beisitzer am Gräflich Mansfeldischen Consistorium in Eisleben. Pfarrer Eisfeld in Nelben macht dagegen in seinen Kirchenbucheintragungen eher den Eindruck eines genügsamen Dorfpfarrers, Johann Christian Ramdohr hat offenbar all seine freie Zeit seiner Bienenzucht gewidmet. Die Betrachtung von Familientraditionen ist ein heikles Geschäft. Der Pfarrerstamm entsteht ja nicht allein durch die natürliche Generationenfolge. Viel häufiger kommt er dadurch zustande, dass ein junger Pfarrer die Tochter seines Amtskollegen heiratet oder dass der Sohn einer Pastorentochter den Beruf des Großvaters mütterlicherseits erstrebt. Schon wenn wir die zeitgenössischen Generationen anschauen, sehen wir manchmal den „qualitativen Sprung“ in der Erziehung. Starke Tendenzen bei den Eltern bewirken oft gerade das Gegenteil. Manchmal aber setzt sich etwas mit einer Gelassenheit fort, als könne es nicht anders sein. Fünfmal werden Pastorensöhne auch Pfarrer: zweimal Krause/Crusius, zweimal Seiler, zweimal Ramdohr, zweimal Liebscher und zweimal von Mering gibt es. Aber der zweite Nathusius in der Reihe ist Ururenkel des ersten!

Von Pfarrern kann man leichter etwas Persönliches erfahren als von anderen Vorfahren: sie konnten schreiben und hatten die Kirchenbücher als überpersönliches Diarium. Manche, wie Christian Nathusius, Johann Friedrich Eisfeld und Friedrich Christian Carl Ramdohr, sind richtig mitteilungsfreudig bei Einträgen, die ihr eigenes Leben betreffen, manche, wie Michael Seiler, Andreas Valentin Leberecht Schmidt und Josef Gotthilf Benjamin Liebscher, sind zurückhaltend. Johannes Bender hat erst nachträglich, bei der Visitation seiner früheren Gemeinde, eine persönliche Notiz ins Kirchenbuch von Mansfeld geschrieben. An St. Nicolai in Eisleben führte sein Kollege, der Diakon Francke, das Kirchenbuch. Manche Kirchenbücher sind verloren.

Viele Pastorenvorfahren wurden alt. Man musste gesund sein, um eine Pfarre zu bekommen. Gegen Infektionskrankheiten sollte ein Pfarrer schon während der Ausbildung immun werden, denn das Berufsrisiko besteht im ständigen nahen Kontakt zu Menschen. Von den Seilers starben viele an der Pest, Michael Seiler sogar mit nur 37 Jahren im Amt. Bei den Ramdohrs und Liebschers starben viele Studenten und Kandidaten an der Tuberkulose. Waren sie erst einmal Pfarrherr, wurden sie oft wohlbetagt: Johannes Bender 70 Jahre, Christian Nathusius 81 Jahre, Johann Friedrich Eisfeld 81 Jahre, Johann Christian Ramdohr 73 Jahre, Friedrich Christian Carl Ramdohr 68 Jahre, Joseph Gotthilf Benjamin Liebscher 76 Jahre, Gotthilf Wilhelm Nathusius 74 Jahre und Friedrich Heinrich Franz Liebscher 66 Jahre. Unser Vater Eberhard von Mering ist der einzige, der schon mit 34 Jahren, und der einzige, der eines gewaltsamen Todes starb, nämlich als Soldat im Zweiten Weltkrieg.

Johann Friedrich Eisfeld, Vater und Sohn Ramdohr sowie Gotthilf Wilhelm Nathusius gehören zu den Pfarrern, die jung in eine Gemeinde kommen und dort bis zur Pensionierung bleiben: bis zu 42 Jahren treue Begleitung einer Dorfgemeinschaft. Ausgesprochen bewegte Biographien gibt es aber auch: Christian Nathusius hat nacheinander vier Pfarrstellen, Bender und Schmidt betreuen je drei sehr verschiedene Posten, Friedrich Heinrich Franz Liebscher kommt in eine Zeit der Pfarrerschwemme hinein, ist bis zum vierzigsten Lebensjahr arbeitslos und erst nach dem Tod des Vaters angemessen versorgt. Zwei Pfarrer werden Superintendenten: Johannes Bender in Mansfeld (diesen Posten gibt er allerdings für die Stelle an St. Nicolai in Eisleben wieder auf) und der ältere Liebscher als Leiter der Ephorie Schraplau. Drei Pfarrer lassen eigene Texte drucken: Der ältere Johann Crusius veröffentlichte 1555 in Großörner „Die Beschreibung der merkwürdigen Schlacht am Welfesholze“, Johann Schütz in Eisleben zwischen 1560 und 1570 „Funffzig erhebliche Ursachen/ Warumb die Lutherischen (wie man sie nennet) das ist alle fromme Christen/ die den Sohn Gottes von Hertzen lieb haben/ zu den Sacramentierern oder Calvinisten nicht treten noch jre falsche Lere billichen können noch sollen“, und Johann Christian Ramdohr ließ in Gotha 1797 und 1799 den „Abriss seines Magazin Bienenstandes nebst dessen Behandlung“ erscheinen.

Mindestens acht Pfarrer von diesen siebzehn heiraten Pfarrerstöchter. Achtmal entsteht so ein besonders traditionsgeprägtes Pfarrhaus, denn die Pfarrerstochter bringt ihre Erfahrungen mit. Genaueres lässt sich dazu schwer sagen. Aber dass diese Frauen lesen und schreiben, vielleicht auch ein Instrument spielen konnten, ist anzunehmen. Das hat mindestens bei der Kindererziehung, vielleicht aber auch in der Ausstrahlung des Hauses in die Gemeinde Folgen gehabt. Manche der Pfarrfrauen, so die von Michael und Johannes Seiler sowie die von Johannes Bender, Friedrich Christian Carl Ramdohr und die Frau von Andreas Valentin Leberecht Schmidt sind sehr kinderreich. Beim jüngeren Ramdohr steht im Nachruf, dass er ganz besonders zärtlich an seiner Frau hing. Bei Johann Friedrich Eisfeld spüren wir es aus seinen Worten, als er mit eigner Hand nach 51-jähriger Ehe den Sterbeeintrag für seine Frau Sophia Elisabeth verfasst. Und Gotthilf Wilhelm Nathusius heiratet nicht wieder, obwohl er nach nur dreijähriger Ehe Witwer wird. Aus der Widmung seines Predigtbändchens an seine Kusine und Verlobte sehen wir, dass es sich um eine Neigungsehe handelte – mehr können wir auch hier nicht feststellen. Dass seine Schwiegermutter seine beiden kleinen Töchter aufzieht, kann ihn natürlich auch an einer zweiten Eheschließung gehindert haben.

Dreimal verheiratet ist nur Johannes Bender. Er bleibt, nachdem seine erste Frau an der Pest starb, mit vielen kleinen Kindern und dem großen komplizierten Haushalt der Barockzeit zurück. Ohne Pfarrfrau ging es gar nicht! Die zweite Frau wurde im Alter passend gewählt. Sie ist Pfarrerstochter, ebenfalls Witwe, und ihre erste Ehe ist fast zur gleichen Zeit geschlossen wie seine. Seine dritte Ehe ist eine Altersehe, wie auch die 1693 und 1792 geschlossenen zweiten Ehen von Christian Nathusius und Johann Christian Ramdohr. Diese Ehen bleiben kinderlos. Dass eine solche Altersehe von den erwachsenen Kindern akzeptiert wurde, sehen wir daran, dass die neue Pfarrfrau Amalie Ramdohr gleich Patin beim nächsten Enkel ihres Mannes wird. Auch sorgt sie nicht nur für den alternden Mann bis zu seinem Tode. Zwei Söhne aus erster Ehe, beide Theologen, kommen todkrank an Tuberkulose ins Vaterhaus zurück und werden die letzten schweren Wochen zumindest unter ihrer Aufsicht, wenn nicht von ihr persönlich gepflegt. Im Sterbeeintrag des Zwanzigjährigen schreibt der Vater: er sei „zum größten Leidwesen seiner Eltern“ verstorben. Die leibliche Mutter kann hier nicht gemeint sein. Die mütterlichen Gefühle der zweiten Ehefrau werden voll anerkannt.

Viele der Frauen sind jünger als ihre Männer und überleben sie deshalb – drei von ihnen sind volle fünfzehn Jahre jünger: die Stadtvogtstochter Magdalen Mörder aus Eisleben, 1652 Frau des Pfarrers Johannes Seiler, die Pfarrerstochter Maria Elisabeth Eisfeld aus Nelben, 1763 Frau des Pfarrers Andreas Valentin Leberecht Schmidt, und die Pfarrerstochter Clara Nathusius aus Kemberg, 1855 Frau des Pfarrers Franz Liebscher. Das deutet jedes Mal auf die finanzielle Lage der Männer hin. Sie erhielten erst spät ein Amt, das ihnen erlaubte, eine Familie zu ernähren. Das Schicksal der Pfarrfrauen nach dem Tod des Partners zu verfolgen ist schwierig, es sei denn, der Sohn bleibe als Pfarrer im Pfarrhaus, wie es bei den Liebschers der Fall ist. Hier kann die alte Frau Pastor neben ihrer Schwiegertochter, der jungen Frau Pastor, bis zu ihrem Ende im Pfarrhaus Oberröblingen bleiben. Sonst muss man den Sterbeeintrag der Pfarrfrau in der Gemeinde desjenigen Sohnes suchen, dessen Haus imstande war, sie aufzunehmen. Das fällt besonders auf bei Johanna Friederike Erdmuthe Ramdohr, geb. Schmidt, die als Pfarrfrau 41 Jahre in dem Pfarrhaus gelebt hat, in dem sie auch als Pfarrerstochter lebte, nämlich in Polleben. Als Witwe musste sie es verlassen. Auch in Teutschenthal, der Pfarre ihres ältesten Sohnes, ist sie nicht gestorben. Oder auch bei Maria Elisabeth Schmidt, geb. Eisfeld: 14 Jahre lang war sie Pfarrfrau in Polleben, und obwohl ihre älteste Tochter den Nachfolger ihres Mannes heiratete, blieb sie nicht im Hause, sondern folgte wohl einem Sohn nach Ahlsdorf.

Die Versorgung der alten Generation war auch damals ein Thema. Es fiel oft sauer, die Kindespflichten zu erfüllen. Es scheint, dass die Söhne vor den Töchtern für die verwitwete Mutter zu sorgen hatten. Für die Väter war meist gesorgt, bis sie starben. Sie blieben im Amt, so lange es eben ging. Ob die Schrift im Kirchenbuch auch immer unleserlicher wird, weil die Augen nachlassen und die Hand zittert, sie bleiben „Pastor huius loci“ oder „zeitiger Prediger“ ihrer Gemeinden. Christian Nathusius und Johann Friedrich Eisfeld werden mit 80 Jahren „emeritus“, ebenso Joseph Gotthilf Benjamin Liebscher mit 72 Jahren. Aber sie bleiben im Pfarrhaus. Der junge Pastor, der den Dienst für sie übernimmt, ist Substitut, er bekommt nur ein kleines Gehalt, ob mit festem Anspruch auf die Stelle, wenn der Alte stirbt, kann ich nicht sagen. Falls die alten Pfarrer nur kurze Zeit vor ihrem Tode bettlägerig werden, fangen die Handschriften im Kirchenbuch an, häufig zu wechseln: Pastoren der Nachbargemeinden versehen die Amtshandlungen. Pech für den Familienforscher, dessen Ahn in dieser Zeit geboren oder getraut wird: verständlicherweise ist der Eintrag so knapp wie möglich. Schließlich muss der Vertreter noch vor Dunkelheit mit Pferd und Wagen zurück ins Nachbardorf!

Wir lesen unsere Erfahrungen in die Texte der Kirchenbücher hinein, wie wir die Daten herauslesen. Wir kennen in groben Zügen die Theologiegeschichte, wir kennen Ina Seidels Lennacker. Jede Zeit hat ihren Pastorentyp. Und jede Landschaft prägt ihre Menschen. Die Pfarrämter unserer Vorfahren liegen fast alle in der Kirchenprovinz Sachsen, nur unsern Vater verschlug es an die Saar, und Johann Gänsehals in Udersleben und Ringleben ist Thüringer gewesen.

Hat auch jede Familie ihren Pfarrertyp? Die Pastoren unseres Pfarrerstamms wirken merkwürdig homogen, trotz des Zeitunterschieds, trotz des Wechsels der Familiennamen. Die uns verwandten Pfarrer sind Bürgerliche: gebildet nach Maßgabe ihrer Zeit, persönlich fromm, staatstreu, familienfreundlich, fleißig im Dienst ihrer Gemeinde, nicht sehr ehrgeizige, oft liebenswürdige, umgängliche Menschen, kaum Sonderlinge oder gar Genies, obwohl der jüngere Nathusius und der ältere Liebscher sehr gute Examina hatten.

Doch vielleicht ist dieser homogene Eindruck nur die Folge davon, dass wir diese Pastoren nicht wirklich kennen? 

Pfarrer unter unseren Vorfahren

Die Pfarrer unter den Vorfahren unseres Vaters heißen:

  1. Jacob Stellwagen, Diacon zu Hettstedt, 1535 nach Heldrungen, 1554 Herrn Sarcerio mit unterschrieben, Tochter Barbara heiratet ca. 1549 Johannes Krause, Pfarrer in Ellrich.

  2. Johann Schütz, Pfarrer in Riestedt 1556 – 1581, Verfasser der Schrift: „Funffzig erhebliche Ursachen/ Warumb die Lutherischen (wie man sie nennet) das ist alle fromme Christen/ die den Sohn Gottes von Hertzen lieb haben/ zu den Sacramentierern oder Calvinisten nicht treten noch jre falsche Lere billichen können noch sollen“ (1560/70), gest. 31.12.1581 in Riestedt. Vater einer Tochter Barbara, die um 1590 Daniel Kuntzsch, Fürstlich- Sächsischen Amtsverwalter des Amtes Oldisleben heiratet und unsere Vorfahrin wird.

  3. Johannes Krause, vor 1525 Schulmeister in Hettstedt, um 1525 Oberpfarrer in Ellrich, bis 1555 Pfarrer in Großörner, um 1555 bis 1558 Hofprediger beim Grafen Hans von Mansfeld in Rothenburg a. d. Saale, gest. 22.02.1558. Verfasser der „Beschreibung der merkwürdigen Schlacht am Welfesholze“ 1555.

  4. Magister Johannes Stam, geboren ca. 1529 in Freiberg/Sachsen, Lateinschule daselbst, 1548 Matrikel Leipzig, 1549 Matrikel Wittenberg, Titel: Magister, Schul-Collega in Eisleben, ca. 1555 Schulmeister und Pfarrer in Bornstedt, 1569 Diakon an St. Andreas, 1570 – 1575 Pfarrherr an St. Annen in der Neustadt Eisleben, gest. 19.04.1575 Eisleben.

  5. Johann Crusius, (Sohn von 2.) geb. Hettstedt 02.12.1550, Pfarrer in Rießdorf ufm Berge seit 23. Dezember 1576 – 1587, Diacon an S. Nicolai, Eisleben 1587 – 1616, gest. 1616

  6. Michael Seiler, (Enkel von 3.) get. 22.12.1589 S. Annen, 1619 - 1626 Diakon an St. Annen, gestorben an der Pest, begr. 25.08.1626 Eisleben

  7. Johann Gänsehals, geb. ca. 1595 in Blankenburg bei Rudolstadt, 1613 Matrikel Jena, 1624 – 1627 Schuldiener in Leutenberg, 1627 – 1642 zuerst in Frankenhausen, dann in Udersleben Pfarrer, 1642 – 1651 Pfarrer in Ringleben, gest. 21.02.1651 in Ringleben.

  8. Magister Johannes Seiler, (Sohn von 6.) get. 08.08.1620 in S. Annen, Eisleben, Magister in Wittenberg, Ordination 27.3.1650 in Mansfeld, 1650-1656 Pastor in Klostermansfeld, 1656-1662 Diakon in Mansfeld, 1662 - 1680 Archidiakon in Mansfeld, gest. 27.01.1680 in Mansfeld.

  9. Johannes Bender, geb. 20.01.1636 in Leipzig, ord. 06.12.1665, 1665 -72 Pastor in Ahlsdorf, 1672 - 1680 Diak. Mansfeld, 1680 -1682 Archidiakon Mansfeld, 1682 -1706 Pastor an S. Nicolai in Eisleben, Assessor am Consistorium, gest. 11.11.1706 in Eisleben.

  10. Christian Nathusius, geb. 24.06.1625, Pfarrer in Gehren 1655 – 1657, Schönewalde 1657 – 1670, Sonnewalde 1670 – 1683, Gossmar 1683 – 1706, gest. 16.06.1707.

  11. Johann Friedrich Eisfeld, geb. 25.05.1717 in Könnern, Pastor in Nelben von 1742 – 1798, gest. 05.07.1798 in Nelben.

  12. Johann Christian Ramdohr, geb. 08.11.1730 in Aschersleben, Erzieher bei Justitiar Martin Köhler in Binsenrode, 1760 Conrector in Aschersleben, seit 1765 Pastor in Groß-Schierstedt, Magazin-Bienenzüchter, Schrift: „Abriss seines Magazin Bienenstandes nebst dessen Behandlung“ 1779, (4. Aufl. Goslar 1812), gest. 26.10.1803 in Groß-Schierstedt.

  13. Andreas Valentin Leberecht Schmidt, geb. am 13.09.1729 in Eisleben, Legatenprediger in Eisleben von 1752 – 1763, Pastor in Ahlsdorf und Ziegelrode 1763 – 1773 und Pfarrer in Polleben von 1773 – 1786, gest. 05.06.1786 in Polleben.

  14. Friedrich Christian Carl Ramdohr, (Sohn von 10.) geb. am 21.11.1760 in Aschersleben, Hauslehrer in Magdeburg, Pastor in Polleben von 1786 – 1828, gest. 05.01.1828 in Polleben.

  15. Joseph Gotthilf Benjamin Liebscher, geb. am 27.09.1786 in Polleben, Lehrer an den Franckeschen Stiftungen in Halle, 1811 – 1821Kantor und Musikdirektor in Brandenburg, 1822 – 1842 Pfarrer in Steuden, 1842 – 1858 Pfarrer in Oberröblingen am See und Ephorus der Ephorie Schraplau, dann emeritus, gest. 04.09.1862 in Oberröblingen

  16. Gotthilf Wilhelm Nathusius, geb. 23.12.1799 in Landsberg, Fürstenschule Grimma 1814 – 1819, Uni Leipzig 1819 – 1821, Uni Halle 1821 – 1822, 1823 Mitgl. d. Predigerseminars Wittenberg, 1825 Herstellung eines handschriftlichen Predigtbandes, 1825 Diakon zu Kemberg und ab 1826 auch Pfarrer zu Gommlo, gest. 14. 5. 1873 in Kemberg.

  17. Friedrich Heinrich Franz Liebscher, (Sohn von 13.) geb. 22.11.1814 in Brandenburg/Havel, getauft am 08.12.1814, 1855 – 1862 Pfarrer in Kobershain, Kreis Torgau, 1863 – 1880 in Oberröblingen, gest.10.05.1880 in Oberröblingen am See.

 

 


[1] Johann Albert Biering, Clerus Mansfeldicus, Eisleben 1742

[2] LHA Magdeburg, Rep. A 12 a I Nr. 2057

[3] Leichenpredigt Burghard Kuntzsch, Sammlung der Grafen Stollberg.

[4] Nach Forschungen eines weiteren Nachkommen Dr. Axel Römer

[5] Kretschmann, Bilder aus der Geschichte der St. Annen-Gemeinde, Eisleben 1927.

[6] M. Christian Gotthold Wilisch, Kirchen-Historie der Stadt Freyberg und der in dasige Superintendur eingepfarrten Städte und Dörffer, Samt den Lebens=Beschreibungen der dasigen allermeisten ehemaligen und jetzigen Superintendenten und Prediger, wie auch einem besonderen Codice Diplomaticc Freybergensi und Zweyfachen Register. Leipzig 1737, S. 236.

[7] Martin Nathusius, Die „Magdeburger Linie“ der Familie Nathusius, Lausanne 1985, S. 42.

 

Please publish modules in offcanvas position.