Der Stadtschreiber von Eisleben

Drucken

Zuerst veröffentlicht in: EKKEHARD, Familien- und regionalgeschichtl. Forschungen, Hallische Familienforscher "EKKEHARD" e.V., Neue Folge 7 (2000) Heft 2, S. 52ff

Friedrich Leberecht Schmidt, geb. 25. 8. 1695, gest. 31. 10. 1769, Stadtschreiber

Dieser Titel! Der hat mich gleich fasziniert, als ich ihn das erstemal in dem Nekrolog für Pastor Andreas Valentin Leberecht Schmidt in Polleben las: "Sein Vater war der damalige Stadtschreiber in der Altstadt Eisleben, nahmens Friedrich Leberecht Schmidt." Stadtschreiber! Ich wußte, daß manche Städte ein Stipendium für Schriftsteller unter diesem Namen vergeben. Und war nicht Gottfried Keller Stadtschreiber in Zürich gewesen? Dazu Eisleben! Martin Luthers Geburts- und sein Sterbehaus steht dort. Und Altstadt, das klingt vielversprechend historisch.

Aber zunächst ließ die Forschung sich schwer an. Die Altstadtkirchenbücher S. Andreae, S. Nicolai und S. Petri/Pauli enthielten angeblich keinerlei Fingerzeig auf den Vater des Pastors von Polleben, den Stadtschreiber Friedrich Leberecht Schmidt. Die Kustodin aus Eisleben schrieb mir, man habe vergeblich in den Büchern von S. Andreas und Petri/Pauli gesucht und S. Nicolai beginne erst 1752. "Damit fehlt die Grundlage für eine sinnvolle und vom Zeitaufwand her vertretbare weitere Nachforschung." Glücklicherweise fügte sie leicht ironisch hinzu: "Im übrigen sind dem Tatendrang des Antragstellers keine Grenzen gesetzt." Mein Tatendrang erwachte jetzt erst so richtig. Im Mai 1995 fuhr ich nach Eisleben.

Im Geplätscher der Plaudereien der beiden ABM-Kräfte, die mich in Luthers Sterbehaus bewachten, und vor ihren skeptischen, aber auch ein wenig unsicher blickenden Augen fand ich im Kirchenbuch S. Nicolai von 1718 - 1800 den Stadtschreiber, im Kirchenbuch von S. Andreae 1680 - 1718 seine Eltern und in dem von S. Nicolai ab 1618 die Eltern und Großeltern seiner Frau: insgesamt eine Eislebener Bürgerfamilie.

Die Stoßnacks, schon ab 1665, sind für mich zunächst die ältesten Vorfahren: Bürger, Tuchmacher, Gewandschneider, Viertelsmeister und Rathsverwandte: das ist Patriziat einer kleinen, aber durch Luthers Gestalt geadelten Stadt. Die Stadtarchivarin erzählt mir, die Rathsverwandten seien 4 oder 5 Familien gewesen, die das Amt des Bürgermeisters, genannt Stadtvoigt, untereinander wechselnd besetzten. Es erinnert mich daran, was ich über das Königtum bei den Germanen las: der König wurde gewählt, aber wählbar war man nur, wenn man der stirps regia angehörte. So ähnlich wohl hier in Eisleben: der Stadtvoigt kann nur aus den Rathsverwandten gewählt werden.

Rathsverwandter ist auch Martin Schmied, von Beruf Handelsmann. Schon 1695 ist er Ratsherr, 1703 Stadtvoigt. Später erfahre ich: er stammt aus Mansfeld, wie der erste Stoßnack auch. Er hat 1691 eine Apothekerstochter aus Köthen geheiratet mit dem schönen Namen Blandina. Und der Rathsverwandte Rudolph Stoßnack heiratet 1705 die Pfarrerstochter Anna Magdalena Bender aus Eisleben. Als 1726 die Familien Schmied und Stoßnack die Hochzeit ihrer Kinder, des Stadtschreibers Friedrich Leberecht Schmidt und der Anna Magdalena Dorothea Stoßnack feiern, scheint die große Zeit der Rathsverwandten vorbei. Das mag an den Folgen der neuen Stadtverfassung von 1693 liegen. Die Mansfeldischen Grafen sind an ihren Schulden zugrunde gegangen. Eisleben bekommt einen "Churfürstlich sächsischen Oberaufseher" für seine Finanzen, die Familiennamen im Stadtrat ändern sich. Der Titel Rathsverwandter im Kirchenbuch verschwindet allmählich.

Friedrich Leberecht Schmidt ist Stadtschreiber und Actuarius. Am 5. 4. 1723 hat er den Stadtschreiber-Eid geschworen. Da war er 28 Jahre alt. Im Eidbuch von 1706 ff der Stadt Eisleben steht: Den 5. April 1723 hat H. Friedrich Leberecht Schmidt sowohl den fol. 38 befindl. Bürger Eyd, mut: mutand: alsdann vorstehenden Stadtschreiber Eyd actu corporali praestirt und zugleich sub eod. dato ihm ertheilte Bestallung mit beschworen. So anhero registrirt. G. Francke Synd. Der Eid lautet:

Ich N.N. schwöre hiermit zu Gott dem Allerhöchsten einen wahren leibl. Eydt, daß Hohen Rathe und Gerichte alhier ich gehorsamb und getreu seyn, derer und der Stadt Nutzen, soviel möglich befördern und Schaden verhüthen, was mir befohlen wird, treulich und fleißig verrichten, Klagen und was bey gerichtl. Verhören von denen Partheyen vorgebracht wird, auch sonst vorgeht, fleißig registriren, richtige Protocolla und Acta halten, Testamenta, Contracta und andre gerichtliche Handlung in behörige Bücher eintragen, daran nichts verändern, was für dem Rathe oder vor dem Gerichte vorgeht und heimlich gehalten werden soll, niemand offenbahren, und mich überall als einem getreuen Stadtschreiber und Actuario /Gerichtsschreiber/ eignet und gebührt, verhalten will, als wahr mir Gott helffe durch Jesum Christum Amen.

Nun weiß ich ungefähr, was man von dem Stadtschreiber erwartete. Interessant ist das mut: mutand: Das heißt, man hat den 1707 für den Vor-Vorgänger Schmidts formulierten Eid verändern müssen. Und tatsächlich macht eine Randnotiz, die mit dem Datum den 5. April 1723 versehen ist, den Text an einer Stelle schwer lesbar. Das Wort überall ist unterstrichelt und darüber hat man ein Kreuz gemacht, wie um dort einige Wörter, die am Rande stehen, einzufügen. Leider ist die mir zugesandte Kopie so dunkel, daß ich diese Wörter nicht sicher entziffern kann. Es scheint mir aber, als lauteten sie: "Dieser mir ausgehändigten Bestallung wohlgemäß und", so daß der Satz nun lautet: "und mich überall dieser mir ausgehändigten Bestallung wohlgemäß und als einem getreuen Stadtschreiber ... eignet und gebührt, verhalten will ...." Demnach hätte man in der Bestallung noch zusätzliche Dienstvorschriften festgesetzt, die mit beschworen werden, wie es im Eidbuch heißt. Das könnte zum Beispiel die strenge Residenzpflicht des Stadtschreibers betreffen, wie sie in der Dienstanweisung von 1770 zum Ausdruck kommt. Dort heißt es: zu Rathhauße außer denen Sonn- Feyer- und Buß-Tagen täglich vor- und Nachmittagen zu rechter Zeit und zwar Vormittage von 9 - 12 Uhren, Nachmittage aber von 2 bis 4 Uhren auf der Gerichts-Stube oder wenn nothwendig zu thun vorfallen möchte auch länger zu Rathhauße seyn, und niemahle ohne erhebliche Ursache, da er doch jedesmahl bey den Regierenden Stadtvoigte oder Stadtrichter Urlaub zubitten hat, drunten bleiben, noch weniger außer der Stadt verreißen, auf Erfordern sich jederzeit auch wohl des Nachts, da er nöthig willig und gerne erscheinen, die Acta auf unsern oder des Regierenden Stadtvoigts oder Stadt-Richters Angaben und Direction allemal richtig halte, ohne Verzug ...

....die in die Gerichtsstube gehörigen Sporteln bey seiner Pflicht und Verlust seines Dienstes richtig zu berechnen, sich an dem, was ihm gebührt und hierinnen verwilliget, zu begnügen, auch denen Herren Stadtvoigt, Richtern und übrigen Raths Membris ihren von der Richter-Stube schwebenden Processen ohne Entgeldt zu expediren...... Möglich, daß diese Anforderungen in der Bestallung standen.

Gerne erführe ich nun etwas über sein Gehalt. Aber 1770 heißt es nur: Den Rang soll er dem Herkommen nach gleich nach den Raths-Herren nehmen! Nächstdem aber soll er so lange er diese function verwaltet, unter unserer Jurisdiction und Bothmäßigkeit wohnen und sich aus selbiger nicht begeben. Harte Bedingungen für heutige Vorstellungen. Friedrich Leberecht Schmidt hat sie als 28jähriger beschworen und dann 46 Jahre lang erfüllt.

Was mein Vorfahr in diesen Jahren alles erlebt haben mag, in seiner Stadt, mit seiner Stadt, dem Rat, dem Gericht, den ca 5 500 Einwohnern! Zehn Kinder werden ihm geboren, davon werden mindestens 4 auch erwachsen. Der älteste Sohn ist mein nächster Vorfahr, der Pfarrer Schmidt in Polleben, einer ist später Advokat, einer Buchhalter und eine der Töchter heiratet den Chirurgen Johann Gottfried Krebs in Halle.

Das schlimmste Ereignis in seiner Dienstzeit ist sicher der Siebenjährige Krieg von 1756 - 1763. Wegen der Schuldenverwaltung durch Sachsen einerseits und der Lehnsabhängigkeit gegen das inzwischen preußische Magdeburg andrerseits stand das unglückliche Mansfelder Land zwischen den Fronten. In den Stadtakten befinden sich die flehentlichen Gesuche von Eltern und Ehefrauen um Freistellung der Männer vom Soldatendienst. Der kursächsische Oberaufseher vermahnt die Stadt, daß sie zur Stellung von Rekruten an Preußen nicht verpflichtet sei. Friedrich II sieht das offenbar anders. Ein ganzer Packen Papier sind die Edikte des großen Königs zur Bestrafung von sächsischen Deserteuren und denen, die sie verstecken. Es folgen Amnestien, wenn die jungen Männer sofort wieder zum Heer einrücken. Einquartierungen der Preußen wie auch der Sachsen erfordern Fourage für Soldaten und ihre Pferde. Ich grabe mich durch diese Ordner im Stadtarchiv auf dem Dachboden des Rathauses. Ob ich irgendwo eine Spur von der Tätigkeit meines Vorfahren finden kann? Seine Handschrift entdecken? Aber würde ich sie denn überhaupt erkennen?

In diesen wilden Kriegsjahren findet sich nichts. Ich hätte die Handelsbücher durchsehen sollen! Aber es ist schon spät, die Zeit läuft. Und dann, Akte B VII 10 von 1769, doch etwas! Aus dem letzten Lebensjahr meines Vorfahren sind zwei Briefe an die Stadtväter erhalten. Das war, neben dem Eislebener Bürgerstamm, der zweite Fund in diesem Mai 1995. Hier der erste Brief:

Denen HochEdelgebohrenen Hoch- und WohlEdlen, Vesten, Großachtbahren, Hoch- und Wohlgelahrten auch Hoch- und Wohlweisen Herren, Herren StadtVoigte, Richter und Rathe der Altstadt Eißleben,

Meinen insonders hochgeehrtesten Herren.

HochEdelgebohrne, Hoch und WohlEdle, Veste, Großachtbahre, Hoch und Wohlgelahrte, auch Hoch und Wohlweise, im Sonders hochgeehrteste Herren!

Ew: HochEdelgebohren Hoch und WohlEdlen will ich in gehorsamster Submission nicht verhalten, was gestalt ich bey meinem hohen Alter, da ich nunmehro in das 74. Jahr gehe, mich auch das Ewige zu schicken und das Zeitliche andern zu überlaßen, hohe Ursache habe, weil es sich nun durch göttliche Schickung gefüget, daß ich vor Kurtzen alhier in Eißleben mit einem ehrlichen, und in ChurSächsischen Diensten sich schon befindenden Subjecto, des seel. verstorbenen Herrn Doct. Roemers zu Gerbstedt Sohn, dem Hrn Amts- und Gerichts-Actuario in dem Churfürstl. Sächs. Amte Zeitz Ludewig Friedrich Roemern, gelegentlich bekanndt worden, welcher mich um die Substitution ersuchet und gute Beyhülffe verführt, daß ich mich bewegen laßen, solche zu resolvieren, in Hoffnung, daß E. E. Rath als mein Vater darin zugewilligen kein Bedenken finden werden, indem er sich declariret, mir getreulich und fleißig in meinem Amte beyzustehen, auch wenn ich gänzlich zum Dienste unvermögend würde, solchen ganz alleine zu verrichten, besonders aber auch die Eintreibung meiner noch rückständigen GerichtsSporteln beytreiben zu helffen und mir solche zuzustellen. Alß werde genöthiget mich auf deßen sub dato den 14.ten Januar a.o. gefertigte Schreiben brevitatis studio zu beziehen und Ew. HochEdelgebohren Hoch und WohlEdeln ganz gehorsamst zu ersuchen:

Dieselben wollen geruhen, mir bemeldeten Actuarius Roemer, aus angeführten Ursachen bey meinem Stadtschreiber Amte hochgeneigt zu substituiren,

Vor solche mir hierunter erzeigte Gewogenheit werde allstets verharren

Ew. HochEdelgebohren Hoch und WohlEdlen

Eißleben, den 10. Februar 1769

treu gehorsamster Diener

Friedrich Lebrecht Schmidt

Der Text des Briefes ist in Schönschrift sehr sorgfältig ausgeführt, die Unterschrift in lässig fließenden Buchstaben. Trotzdem halte ich beides für seine Hand. Schmidt ist sein Lebenlang gewohnt, schön zu schreiben. Einige Ausrutscher, ja winzige Kleckse verraten die steif gewordenen Finger des alten Mannes, aber sehen kann er anscheinend noch gut genug. Und die Formeln beherrscht er aus langer Erfahrung. Einen Substitut also will er haben. Ich kenne schon die Substituten bei den alternden Lehrern, den alternden Pfarrern. Waren das nicht meistens Söhne oder Schwiegersöhne? Denn Pensionen für alte Beamte gibt es nicht. Den Substituten muß er sich zwar genehmigen lassen, aber bezahlen muß er ihn selbst.

"Durch göttliche Schickung" ist der alte mit dem jungen Mann bekannt geworden. Und "genöthiget" wird der Herr Stadtschreiber! Durch wen denn? Ludewig Friedrich Roemer bringt schöne Papiere bei, die liegen alle bis heute bei den Akten: Sein Universitätszeugnis mit den Unterschriften sieben Leipziger Professoren, das ist das erste Examen, dann zwei Schreiben, eins von der Landesregierung, eins von der Sächsischen Kanzlei, daß er Notar sei, das ist das zweite, dann zwei Empfehlungsschreiben des Administrators von Kursachsen, einem veritablen Prinzen, dazu seine eigenen Bewerbungsschreiben. Was könnte fehlen? Stadtvoigt Döbels befürwortet auch, daß dem Stadtschreiber ein Substitut gesetzt werden solle.

Es kommt nicht dazu. Das erfahre ich aus dem zweiten Brief, der in sichtlicher Bewegung und Eile ohne besondere Schönschrift ganz in Schmidts fließender gewöhnlicher Hand abgefaßt wurde:

pH den 10. April 1769

HochEdelgebohrne, Hoch und WohlEdle, Veste, Hochachtbare Hochundwohlgelehrte, auch Hoch und wohlweise,

Insonders Hochgeehrteste Herren,

Ew. HochEdelgebh. werden Sich gütigst zurück erinnern, daß, nachdem der Amts und Gerichts Actuarius in dem Churfürstl. Sächs. Amte Zeitz Herr Ludwig Friedrich Roemer, in einem Schreiben sub dato Gerbstedt den 14. Januarii et pros. den 11. Februarii a. o. um Substitution in mein Amt, als Actuarius und Stadtschreiber angehalten, ich mich auch als ein Anverwandter zur Einwilligung (weilen er sich gegen mich schriftlich anerkläret, meine jüngste Tochter, zu heyrathen, mir in meinen Amts Verrichtungen treulich und fleißig beyzustehen und vor seine sämtlichen Bemühungen von mir nicht mehr als jährlichen nur fünfundzwantzig Gülden Besoldung zu fordern und damit zufrieden zu seyn,) bereden laßen, und ich also in die Substitution deßelben in dem sub dato Eißleben den 10. Febr. et prosentato den 11. ejusdem eingereichten Schreiben consentiret. Nachdem aber gedachter Herr Roemer darauf vergebens gehoffet und zwischen der Zeit seine Versorgung in Gerbstedt, als Bürgermeister gesucht und gefunden, unser beyder Gesuch nicht vollzogen worden. Da ich nun also meinen vorgehabden Zweck nicht erreicht, und nach wie vor mein Amt bis hierher ohne Substituten treulich verrichtet; so habe ich nicht Umgang nehmen können, Ew.: HochEdelgebh. dienstgehorsamst zu versichern, mit der resolvirten Substitution eines andern Subjecti Hochgeneigt anzustehen, weile ich noch im stande bin, meinen Dienst allein zu verrichten und nicht weiß wie von solchem Zwey Persohnen erhalten werden solten und könten. Ich habe zwar nunmehro mein Amt in die 46. Jahr unter vieler Sorge und zugestoßenen Hauß Kreutze unter Gottes Beystande verwaltet, die bekannten Krieges Troubeln ausgestanden und dadurch so wohl als durch die schlechten Einnahmen auch ohne Erhaltung der versprochenen Besoldung das Meinige in vielen hundert Thalern zugesetzet, dahero ich dann des zuversichtl. Vertrauens habe, Ew.: HochEdelgebh. werden dieses alles collegialiter wohl erwegen und mich mit einem Substituto bey so bewannten Umständen verschonen, mich bey meinem 73.jährigen Alter nicht verstoßen, vielmehr mich fernerhin ohne Setzung eines Substituti, da zumahlen darum Niemand meines Wißens angesucht, beyzubehalten Hochgeneigt geruhen.

An gebetener Deferirung meines billigen Gesuchs zweifele ich keinesweges, im widrigen Fall aber sehe mich höchstens gemüßiget, wieder Votirung eines andern Subjecti zum Gerichts-Actuario und Stadtschreiber, auch Setzung eines Substituti auf das feyerlichste zu protestiren, und an das hochlöbl. Oberauffseheramt von da aber an Seiner Churfürstl. Durchlauchtigkeit zu Sachßen, meinen allergnädigsten Herren unter und allerunterthänigst zu appelliren. Ich verhoffe, es werden Ew.: HochEdelgebh. diese meine annectirte Appellation von keiner Zuwidersetzlichkeit vielmehr dieselbe vor billig und erlaubt erkennen. Ich werde nicht ermangeln, mit denen Meinigen vor das sämtl. Hochansehnliche Raths Collegium, als meinen "Vätern" um dero beständiges Wohlergehen Tag und Nacht hertzlich und inbrünstig zu bitten, auch bis mein Ende da ist, jederzeit zu verbleiben

Ew.. HochEdelgebh.

Altstadt Eißleben gehorsamster Diener

den 8. April 1769 Friedrich Leberecht Schmidt

Welche Aufregung! Und welcher Einblick in die Lage eines Stadtschreibers! Zwischen Drohungen und Flehen schwankend kämpft Friedrich Leberecht Schmidt um sein Geld. Er hat schon genug zugesetzt! In den Kriegsjahren ist man ihm sein Gehalt schuldig geblieben. Die Bürger haben die Sporteln auch nicht bezahlt. Für "zwey Persohnen", will sagen für zwei Haushalte, reicht die Besoldung nicht. Nur mit einem Schwiegersohn wäre es zu ertragen gewesen. Der aber hat sich wegen der langen Verzögerung anderweitig versorgt. Ob sich dadurch auch die Heirat mit der jüngsten Tochter Schmidts zerschlagen hat? Wahrscheinlich. Zur Bürgermeisterstelle in Gerbstedt gehörte sicher eine Gerbstedter Honoratiorentochter! Schmidt hat also einiges an Enttäuschung zu verkraften.

Trotzdem muß er demütig bleiben. Schmeichelnd nennt er das Ratskollegium seine "Väter", obgleich kaum einer älter sein dürfte als Schmidt. Sie sollen ihn nicht verstoßen, sondern ihn beyzubehalten Hochgeneigt geruhen. Er erinnert sie an seine jahrelange treue Zugehörigkeit zum Rathaus, an seine Unbescholtenheit. Unvermittelt darauf droht er ihnen: Er kann sich über den kursächsischen Oberaufseher an den Sächsischen König wenden, wahrscheinlich als an eine Art "Arbeitsgericht". Oder steckt hinter dieser Drohung etwas anderes? Bei den Akten gibt es einen langen Schriftwechsel aus den Jahren 1762 - 1768 über die Forderung des sächsischen Steuerbeamten nach einem "Gegenschreiber". Anscheinend soll solch ein eigner Sekretär im Auftrag des Oberaufsehers die Ratssitzungen verfolgen und die Wege der Gelder überwachen. Der Rat der Stadt wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen. Ein Stadtschreiber sei genug. Droht also mein Vorfahr, in diesem politischen Streit die Seiten zu wechseln, wenn er nicht Gehör findet?

Was ich erst nach seinem Tod aus den Bewerbungen um seine erledigte Stelle erfahre: einer der Söhne Schmidts, der Advokat, hilft ihm schon lange bei den Amtsgeschäften. Und wahrscheinlich lebt er mit vom Gehalt. Wußten das die Stadtväter? Doch des Sohnes wegen weisen sie Roemer nicht ab. Denn den Sohn Friedrich Rudolph, der das Stadtschreiberamt gerne nach des Vaters Tod übernähme, bestallen sie auch dann nicht. Ist es einfach Entscheidungsschwäche, die sie zögern läßt? Oder der Plan, nach dem Tod des Alten das lästige Stadtarchiv zum Amte dazu zu schlagen, wie ich der Dienstbeschreibung von 1770 entnehme, was wohl nicht möglich wäre, wenn der Substitut unter andern Bedingungen angefangen hätte? Oder gibt es taktische Gründe, beim Stadtschreiberamt nichts zu verändern, damit das widrige Sächsische Oberaufseheramt nicht Anlaß findet, seinen Gegenschreiber zu installieren?

Das alles erfahre ich nicht. Die "Hochedelgebohrnen Herren" hüllen sich in das so mächtige Schweigen, das aus dem 18. Jahrhundert herüberreicht. Die Briefe meines Vorfahren bleiben unbeantwortet. Immerhin stirbt Friedrich Leberecht Schmidt, der Stadtschreiber in der Altstadt Eisleben, am 31. 10. 1769 im Amt. Die Stelle wird ausgeschrieben.