DIE LOTHRINGERIN
(Catherine Barbe, verh. Blandin, 02.10.1752 bis 05.08.1830)
von Christa Lippold, geb. von Mering
Zuerst veröffentlicht in: Saarländische Familienkunde, Band 13/3, Jahrgang LI, 2018
Zuerst habe ich sie für eine Französin gehalten: meine Vorfahrin Catherine Barbe, verheiratete Blandin. Und war fast ein bisschen enttäuscht, als ich merkte, dass sie "nur" Lothringerin ist. Aber je mehr ich nach und nach von ihr erfahre, desto mehr wächst mein Interesse für sie und ihre Herkunft. Eine tatkräftige, bewegliche und muntere Frau muss sie gewesen sein - aus dem 18. Jahrhundert stammend, aber noch ins 19. hinein aktiv. Zwischen Lothringen und Mähren hat sie ihr Leben gelebt, ein eigenwilliges Leben, das sicher viele Tiefen kannte, aber einen Glanz von Persönlichkeit abstrahlt, als hätte sie Goethe, ihren Zeitgenossen, gelesen. Dabei konnte sie gar nicht lesen!
Über Lothringen etwas Authentisches zu erfahren, ist schwierig. Zu sehr haben die beiden großen Nachbarn, Deutschland und Frankreich, sich in Lothringen um ihre Grenze gestritten, als dass auch nur die älteste Geschichte Lothringens mit ruhiger Genauigkeit erzählt werden könnte. Immer hört man Rechthaberei durch: eigentlich ist Lothringen von Germanen besiedelt, eigentlich sind es Franken. Nach dem Brockhaus ist "das Lothringische eine ostfranzösische Mundart mit germanischem und deutschem Wortgut". Da hört man förmlich, wie der Autor sich windet. Das Lothringische ist auch keine Schriftsprache gewesen. Wer schreiben wollte, musste Latein, Deutsch oder Französisch schreiben. Deshalb hat Catherine Barbe vielleicht nicht schreiben gelernt.
Ihr Großvater väterlicherseits verstand Französisch. Vielleicht war er Franzose? Ich kenne seine Unterschrift aus dem katholischen Kirchenbuch von Boucheporn, wo er in den Jahren 1738 bis 1758 öfter gemeinsam mit dem Pfarrer Pigcot unterschreibt: Dominique Barbe. Er war "regent de l'école", Schulmeister in Boucheporn und als solcher wurde er vom Pfarrer in Fällen, wo die Beurkundung eines schwierigen Todesfalles ohne Angehörige anstand, als zuverlässiger Zeuge beigezogen1. Das Kirchenbuch wird in französischer Sprache geführt, kirchlich gehörte man zu den "trois évêchés" Metz, Toulon und Verdun, die dem Erzbistum Trier unterstanden, und auch die Schulsprache wird französisch gewesen sein. Damals war Lothringen ein selbständiger Staat und der sonderbare Titularherrscher von Polen-Litauen, Stanislaus I. Leszczynski, war Regent. Es heißt, er habe sich meistens am französischen Hof aufgehalten und herzlich wenig um Land und Leute geschert.
Leider kann ich Dominique Barbes Eheschließung mit Agnes Albrecht aus Obervisse, einem Bauerndorf bei Boucheporn, nicht finden, da gerade dieses Kirchenbuch von 1718 - 1738 fehlt. So weiß ich nicht, woher er und sein Bruder Clement Barbe gekommen sind, weiß nur, dass die beiden Brüder Schwestern vom Hof Albrecht heirateten und dann in Boucheporn eine Menge Kinder aufzogen, die sich wieder in Boucheporn verheirateten mit Verwandten ihrer Mütter. Das ergibt ein lothringisches Geflecht von Ehen: Albrecht, Becker, Decker, Grimmer, Hoff und Holdt, Kipper oder Kiffer, auch Kiefer, Mertz, Paul, Schneider, Thomas, Wagner, dazu Mangin, Dozane, Renard, Henry2. Eng müssen die Familien beieinander gelebt haben. Man achtete anscheinend darauf, dass sich nicht zu oft Cousin und Cousine heirateten, aber verwandt, mindestens verschwägert waren die Ehegatten allemal. Dagegen sind der Lehrer Dominique und der Schuhmacher Clement Barbe geradezu Ausländer!
Der Sohn des Schulmeisters, Jean Pierre Barbe, heiratet Catherine Becker. Die Hochzeit findet am 23.11.1751 in Obervisse statt, einer Filialgemeinde von Boucheporn, wo die Kirche heute noch mitten im Dorf steht. Rund um den Kirchplatz reihen sich die alten Bauernhäuser mit ernsten Toren aus Sandstein. Hier mögen die bäuerlichen Großeltern Albrecht und Becker eine dörfliche Hochzeit ausgerichtet haben. Und das, obwohl Jean Pierre Barbe kein Bauer ist, sondern "soldat au bataillon milicien de Metz"3.
Soweit ich mich unterrichten konnte4, war die Aushebung zur Landmiliz damals an das Los gebunden. Die Dörfer mussten eine bestimmte Zahl von Rekruten stellen, die dann 18 Jahre zu dienen hatten, aber nur "zum Schutz der festen Plätze oder zur Begleitung der für diese Plätze oder für die Armee bestimmten Zufuhren verwendet" werden durften. Auf diese Weise scheint Jean Pierre Barbe nie zu weit von seiner Familie entfernt gewesen zu sein und auch am Siebenjährigen Krieg nicht aktiv teilgenommen zu haben. Wie unglücklich er trotzdem über den Losentscheid war, kann man nicht wissen. Eventuell war der Lehrersohn sogar freiwillig für einen Hoferben, auf den das Los fiel, eingesprungen, und die Bauernfamilie erwies sich dankbar, indem sie ihn und später seine Familie mit Naturalien unterstützte. Auf jeden Fall bezog er ein Gehalt.
Als erstes Kind wird dem jungen Paar Barbe ein Mädchen geboren und am 2. Oktober 1752 in der Kirche von Obervisse auf den Namen Catherine getauft. Ein kräftiges Kind scheint es gewesen zu sein. Jedenfalls möchte man das bei Betrachtung von Catherines Lebenslauf annehmen. Ihre Paten sind Nicolas Becker, ein Vetter ihrer Mutter, der mit Marguerite Albrecht, einer Cousine ihres Vaters, verheiratet ist, und Catherine Carvoia, die wahrscheinlich, gerechterweise, die Beziehung zu den großmütterlichen Mangins repräsentiert.
Ob Catherine Barbe lebenslang von der Kraft des Heimatdorfes Obervisse zehrt? Ob sie sich als Lothringerin empfindet? Sie ist vier oder fünf Jahre alt, als sie mit den Eltern und einer kleinen, um zwei Jahre jüngeren Schwester Anne Marguerite nach Saarlouis umzieht. Eine Compagnie der Miliz von Metz unter dem Anführer de la Vollée ist nach Saarlouis verlegt worden. Jean Pierre Barbe ist dabei.
Saarlouis ist eine besondere Stadt. Bis heute pflegt man den Saarlouiser Dialekt, eine reizende Mischung aus deutschen und französischen Wörtern und Strukturen. In der Sprache, aber auch in den Baudenkmälern spiegelt sich die schillernde Herkunft der Stadt. Eine Festungsstadt ist es gewesen und auch nach Niederlegung der Wälle ist es noch eine Garnisonsstadt. Damals, 1757, war Saarlouis noch keine 100 Jahre alt, aber viele Gebäude befanden sich im Verfall. Die Borromäerin M. Clara Moll, Heimatforscherin um 19305, beschreibt anschaulich die chronische Vernachlässigung. Als Ludwig der XIV. durch den begabten Vauban 1680 Saarlouis aus dem Boden der feuchten Saarauen stampfen ließ, als er die Einwohner von Wallerfangen, dem lothringischen Landstädtchen, zwang, ihre Häuser zu zerstören und in die neue Festungsstadt umzuziehen, als er von allen Seiten - und meist von der deutschen - landlose Leute als Neubürger nach Saarlouis lockte, da gab es auch Fördergelder und viele Versprechen für die Zukunft. Aber schon 1697 war das vorbei. Ludwig wurde, vor allem vom mächtigen England, gezwungen, auf seine Ansprüche auf Lothringen zu verzichten. Das Umland, dessen Hauptstadt und Festung Saarlouis hatte sein sollen, wurde der französischen Krone entzogen. Saarlouis wurde eine französische Exklave, umgeben von einem zunächst von Österreich, seit 1735 von einem exzentrischen Polen regierten Lothringen. Die vornehmen und wohlhabenden Familien verließen Saarlouis. Das arme Volk und eine kleine Garnison blieben.
Wahrscheinlich hofften die Saarlouiser wie die lothringische Landbevölkerung in diesen Jahren auf den Tod des landfremden Regenten Stanislaus Leszczynski. 1766 trat der ein. Ludwig der XV. von Frankreich erbte Lothringen. Die Festung Saarlouis hatte wieder ein Hinterland, Lothringen war mit seinen Nachbarprovinzen im Westen vereint. Aber es war zu spät. Das Königtum in Frankreich hatte ausgespielt. Der Staat war bankrott. Seine Grenzbezirke versanken in der Vergessenheit.
Catherine Barbe ist 1766 14 Jahre alt. Wie hat sie ihr Leben empfunden? Träumte sie ihre Mädchenträume? Oder war sie ungeduldig und aufsässig? Ihr Vater ist seit 1760, wahrscheinlich entsprechend seiner Dienstjahre, zum "caporal" in seiner Compagnie6 befördert. Im selben Jahr ist die zweijährige Agnes gestorben und der kleine Hipolite Emanuel Barbe geboren. Schlimm ist es sicher für Catherine, dass 1765 ihre elfjährige Schwester Anne Marguerite stirbt. Und noch bevor sie 20 Jahre alt ist, stirbt auch ihre Mutter. Ihr Vater quittiert den Dienst, wahrscheinlich regulär. Als "Bourgeois" lebt er nun in Saarlouis.
War Catherine ein leichtes Blut? Hat sie sich kopflos verliebt? Wurde ihr Gewalt angetan von einem der Soldaten der Garnison? Am 3.3.1773 wird ihre kleine Tochter geboren und auch gleich getauft, Marguerite, "fille naturelle"7. Der Name des Kindsvaters bleibt im Dunkel. Kennt Catherine ihn nicht? Deckt sie ihn? Paten sind Sebastian Kieffer und Marguerite Renard. Beide Familiennamen gehören nach Boucheporn, zur weiteren Verwandtschaft der Barbes dort.
Catherine ist erst 21 Jahre alt, als sie Mutter wird. Und sie heiratet auch in den nächsten Jahren nicht, jedenfalls nicht in Saarlouis. Und die kleine Marguerite stirbt auch nicht dort. Allerdings gibt es später keine Marguerite Barbe in Saarlouis. Es scheint mir, als habe Catherine Barbe mit ihrer kleinen Tochter Saarlouis und ihren Vater verlassen.
Erst 1785 taucht die junge Frau erneut in Saarlouis auf. Da ist sie wieder Mutter eines Täuflings. Diesmal ist es ein Sohn, Jean Pierre genannt nach ihrem Vater, und ein "fils legitime"8. Catherines Mann heißt Jacques Norbert Blandin. Die Familie Blandin hat Tradition in Saarlouis als Beamtenfamilie9. Aber Jacques Norbert Blandin hat keinen sicheren Posten. Seine sehr verschiedenen Versuche, seine Familie in Saarlouis zu ernähren10, könnten darauf hindeuten, dass er ursprünglich Soldat11 war und deswegen ohne erlernten Beruf blieb. Aber das kann man nur vermuten.
Das Paar bringt ein kleines Mädchen nach Saarlouis mit, Françoise Josephe Blandin, meine Vorfahrin der nächsten Generation, die in Kremsier/Mähren am 27.8.1782 geboren wurde.12. Was das Ehepaar, wenn es denn wirklich eines ist, in Kremsier zu suchen hatte, wüsste ich gar zu gern. Kremsier ist zu dieser Zeit eine Stadt im Frieden, gut österreichisch, vorwiegend deutschsprachig, aber auch mit mährischer Bevölkerung. Lothringische oder französische Soldaten haben dort nichts zu suchen13. Sind die beiden, Catherine und ihr späterer Ehemann, als Diener und Dienerin eines hohen Herrn, etwa eines Kaufmanns oder eines Geistlichen, so weit gereist? Oder haben sie sich als Marketender dem kaiserlichen Regiment Hildburghausen angeschlossen, „welches damals zu Ollmütz in Mähren lag“14. Oder wollten sie eigentlich auswandern an die Wolga und haben den Versuch in Mähren abgebrochen?
Denn fast zwölf Jahre fehlen mir im Leben der Catherine Barbe, verheiratete Blandin, die Zeit zwischen ihrem 21. und ihrem 33. Lebensjahr. Was kann sie da alles erlebt haben! Und dann kommt sie einfach nach Saarlouis zurück und bleibt dort, obwohl sich die Zustände keineswegs gebessert haben. Trotz der Revolutionswirren, trotz Armut und Gefahr in den Koalitions- und Napoleonischen Kriegen, trotz der Übergabe der Festung an die Preußen 1815, trotz des Abzugs der Franzosen und Einzugs der deutschen Soldaten hält sie Saarlouis die Treue. Den dauernden Berufswechsel ihres Mannes, der wie eine schleichende Dauerarbeitslosigkeit aussieht, erträgt sie mit Geduld. Solange er als Handarbeiter, Fuhrmann oder Tagelöhner arbeitet, ist der Verdienst sicher knapp. Von 1802 an, wo Jacques Norbert cabaretier - Schankwirt genannt wird, hat sie wahrscheinlich in der Gastwirtschaft mitgeholfen. Bis zu ihrem 42. Lebensjahr gebiert sie noch Kinder, ein Zeichen von guter Gesundheit. Zwei dieser Kinder, außer der unehelich geborenen Tochter, sterben offenbar jung, aber von vieren erlebt sie die Eheschließung15. Und damit wird sie die Großmutter einer multinationalen Familie.
Die älteste von den lebenden Kindern, meine Vorfahrin, heiratet 1802 den Offizier Pierre Henry, "en service chez le géneral Daultanne"16. Der Bräutigam ist Lothringer aus Luttange, Sohn eines Lehrers. Dies Paar verlässt immer wieder Saarlouis, je nachdem, wie das riesige napoleonische Heer sich bewegt. Die ersten beiden Kinder Henry werden 1803 und 1804 in Saarlouis geboren, das dritte, meine Vorfahrin Catherine, 1807 in Mainz und ein viertes, Gertrud, 1808 wieder in Saarlouis.
Das zweite Kind von Catherine Barbe, Jean Pierre, geboren 1785, wird Schuhmacher und Gerbermeister wie sein Pate Jean Adam Gantener und verheiratet sich 1806 würdevoll mit der Tochter eines Tuchmachers in Saarlouis, die die Schwester des Weihbischofs Martin Bervanger von Paris ist. Catherines Tochter Catherine, geboren 1789, verheiratet sich im selben Jahr wie ihr Bruder mit dem Gendarmen Nicolas Ham in Saarlouis, der von Mutters Seite ein Kiffer ist, was wieder die Verbindung zu den Boucheporner Familien herstellt. Als sie früh verwitwet, heiratet sie einen italienischen Figuristen namens Angelo Lazzari. Die jüngste lebende Tochter Susanne schließlich, geboren 1794, heiratet 1809 einen von den 1000 englischen Kriegsgefangenen Napoleons, den Schiffskapitän John Sanderson. Solche Ehen soll es damals viele in Saarlouis gegeben haben. Susanne war erst fünfzehn! Vielleicht war es Catherine Barbe gar nicht recht. Aber viel sagen konnte sie nicht. Hatte sie nicht auch schon jung ihren eigenen Kopf gehabt?
Am meisten sorgen muss sie sich wahrscheinlich um Françoise Josephe, die älteste, schon deswegen, weil sie sie nicht in der Nähe hat. Und ihretwegen muss Catherine Barbe als Frau von 66 Jahren noch einmal Mutterpflichten übernehmen. Françoise Josephe Henry ist schwer erkrankt in Meung-sur-Loire und stirbt dort im Februar 1818. Sie ist noch verheiratet, aber ihr Mann ist, wie offenbar meistens, nicht in ihrer Nähe17. So nimmt Catherine Blandin ihre beiden verwaisten Enkeltöchter, elf und zehn Jahre alt, in ihren Haushalt in Saarlouis auf. In diesen Jahren führt sie noch mit ihrem Mann die Schankwirtschaft.
Sie lebt noch lange, lange genug jedenfalls, um auch noch die Enkelinnen zu erziehen. Vielleicht hat sie ihnen mehr aus ihrem spannenden Leben erzählt als ihren Töchtern, auf Lothringisch, das sie mit Wörtern aus Saarlouis, mit mährischen und französischen Wörtern angereichert hat. Sicher sind Catharina und Gertrud ihr Trost, als Jacques Norbert Blandin 1822 stirbt. Und sie ist es, die "einwilligt", dass Catharina 1828 den Hoboisten beim 29. preußischen Infanterieregiment Franz Joseph Mering heiratet. Da ist die Großmutter schon sehr alt, 76 Jahre. Sicher hätte sie gerne auch noch Gertrud verheiratet gesehen vor ihrem Tode. Aber das ist ihr nicht vergönnt18.
"Catharina Barbe, Wittwe von Jacob Blandin", stirbt am 5.8.1830 im preußischen Saarlouis als 78-jährige Frau. Zwei Enkel sieht sie von ihrem Sohn Jean Pierre Blandin. Ob sie ihre italienischen oder englischen Enkel sieht, weiß ich nicht. Aber gewiss erlebt sie die Geburt ihrer Urenkel Mathias und Heinrich Mering 1828 und 1830 in Saarlouis, da doch nahe liegt, dass sie im Haushalt ihrer Enkelin bleibt. Und ich stelle sie mir vor, wie sie mit ihnen in der heute so liebevoll gepflegten Saarlouiser Mundart "schwätzt".
Die Blandins haben eine Generation "kurzgeschlossen". Sicher konnten die Großeltern die Erinnerung an die jung verstorbene Mutter bei ihren Enkelinnen Catharina und Gertrud nicht verwischen. Aber da der Einfluss des Vaters Pierre Henry offenbar völlig fehlte, weil er in den napoleonischen Kriegen verloren ging, kehrten die Mädchen in die Sphäre und die Traditionen der mütterlichen Familie zurück. Es gibt ein spätes Indiz dafür, wie wenig einem von außen Kommenden der Name Henry sagte. Bei der Geburt eines Kindes gibt mein Ururgroßvater Franz von Mering den Geburtsnamen seiner Frau mit Ploteng an19. Das ist leicht als Verballhornung von Blandin zu erkennen. Mein Urgroßvater Peter erklärt dieses "Versehen" seines Vaters damit, "dass die betr. Frau Franz Mering in frühester Jugend verwaist und bei einer nahen Verwandten namens Ploteng erzogen worden ist, so dass sie allgemein nicht anders als Katharina Ploteng genannt wurde. Dieser Name war so gang und gäbe geworden, dass sogar ihr Mann erst kurz vor der Trauung den richtigen Namen erfuhr." Was Catharina Henry in die Mering'sche Familie mitbrachte, war nicht der Stolz auf einen napoleonischen Offizier in Diensten des Generals Daultanne, es war etwas Lothringisches aus Boucheporn, gefiltert durch das tolerante Flair von Saarlouis.
Ich habe eine einzige Lothringerin persönlich kennen gelernt. Das war auf dem Friedhof von Kirsch-les-Sierck, wo ich mich vergebens nach Grabstellen der Familie des Pierre Henry umsah. Eine kleine alte, sehr bewegliche Frau war dabei, die Gräber ihrer Eltern und ihrer Schwester zu pflegen. Sie sprach uns auf Französisch an, wechselte aber sofort begeistert ins Deutsche, als sie merkte, dass wir im Französischen nicht firm sind. Von meiner Familienforschung sprang das Gespräch gleich fort in ihre Familie: auf beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze alles Lothringer! "Wir haben immer viel gelitten, wenn unsere beiden großen Nachbarn sich stritten." Sie hat auf beiden Seiten der Grenze ihre Lehrerausbildung gemacht und auf beiden Seiten erfolgreich in der jeweils anderen Sprache unterrichtet. Immer war sie im Sinne der Versöhnung tätig, und jetzt setzt sie ganz auf Europa. Zweisprachigkeit und Durchlässigkeit von Grenzen sind die einzige Hoffnung für ihr lothringisches Volk. In meinem Herzen bewegte sich etwas, als ich ihr zuhörte. Als spräche meine Vorfahrin Catherine Barbe zu mir!
1 Kath. Kirchenbuch von Boucheporn 1694 – 1763 (mit Lücken), in den Archives Départementales in Metz
2 Eheschließungen 1738 – 1758, Registerband 9 SP 5 (11) in den Archives Départementales in Metz.
3 "soldat milicien au bataillon" 1751 im Kirchenbuch von Boucheporn, "soldat au Bataillon de Milice de metz compagnie de Mr De Lavolé" 1758 im Kirchenbuch Saarlouis, "Soldat au Bataillon de mets compagnie de la vollée" 1760 im Kirchenbuch Saarlouis, "Caporal au bataillon de la Milice de Metz Compagnie de la Vollée" 1760 im Kirchenbuch Saarlouis.
4 MEYNERT, Geschichte des Kriegswesens und der Heerverfassungen in Europa, Bd. 1 - 3, Graz 1973. (Nachdruck d. Ausg. von 1868/9), 5. Abschnitt, 4. Kap. zur Landmiliz, S. 224.
5 Saarlouis 1680 - 1930, Festschrift zur 250-Jahr-Feier, S. 60: Schw. M. Clara Moll, Französisch-revolutionäre Propaganda an der mittleren Saar zu Beginn des ersten Koalitionskrieges - ein Artikel, sehr viel besser als seine Überschrift!
6 MEYNERT, a.a.O. S. 227: Ein Regiment sollte etatmäßig aus zwei Bataillonen, das Bataillon aus fünf Compagnien, die Compagnie aus 8 Corporalen und 48 Gemeinen bestehen.
7 Kath. Kirchenbuch von Saarlouis 1773.
8 siehe die Computerausdrucke nach der Kartei von Familienblättern des verstorbenen Dr. Wilhelm Wallraff in Saarlouis von Gernot Karge, Leiter des Amtes für Kultur und Schulen des Landkreises Saarlouis, Kreisarchiv Saarlouis.
9 siehe den Artikel aus dem Kreisarchiv Saarlouis "Eine der ältesten Saarlouiser Beamtenfamilien Die Blandins" von (wahrscheinlich) Theodor SIEBERTZ, Heimatforscher nach 1945, der allerdings nicht ganz zuverlässig arbeitet (Beweis: Catherine Barbe vermutet er 1773 noch in Boucheporn und nur als Patin, anstatt als Mutter in Saarlouis).
10 siehe die Computerausdrucke nach der Kartei von Familienblättern wie Fußnote 8: 1785: manoeuvre (Handarbeiter), 1789: charretier (Fuhrmann), 1792: journalier (Tagelöhner), 1794: sergeant de la Garde Nationale (Unteroffizier der Nationalgarde) 1802: cabaretier (Schankwirt), 1822: Gastwirt, 1830: Wirth
11 Die Begründung von Theodor SEIBERTZ für die Behauptung, Jacques Norbert Blandin sei "Militär", ist nicht beweiskräftig.
12 Kirchenbuch der Kirche Panny Marie von Kromeriz (Kremsier) auf www.actapublica.cz und in Francisca Josephas Heiratseintrag vom 14.9.1802 in Saarlouis, wo ihre Geburtsurkunde vorlag.
13 wie Theodor SEIBERTZ in seinem Artikel "Die Blandins" als Erklärung vorschlägt.
14 Manfred FRANKE (Schinderhannes, Claasen Lebensläufe, Hildesheim 1993) hat herausgefunden, dass der Vater des späteren Schinderhannes sich diesem Regiment anschloss und seine Familie mitnahm.
15 nach der in Fußnote 8 erwähnten Kartei.
16 Standesamtseintrag in Saarlouis 1802.
17 Kath. Kirchenbuch von Meung-sur-Loire, Sterberegister von 1818.
18 Gertrud Henry stirbt am 22. 05. 1832, 22 Jahre alt, ledig (nach der Familienkartei von Gernot Karge, aber wohl falsch. Sie ist am 15.12.1808 in Saarlouis geboren, also 23 Jahre alt).
19 Akten des Königlichen Heroldsamtes in Berlin, VI M 181, Brief von Peter von Mering an das Königliche Heroldsamt in Berlin vom 15. 5. 1893.