Ein Bräutigam aus Köln
Christa Lippold
veröffentlicht in der Festschrift der Stadt Wipperfürth 2017
Am 18. April 1664 findet in St. Nikolaus in Wipperfürth1 eine Hochzeit statt. Natürlich wüsste ich gern, ob es eine große Hochzeit war, festlich mit vielen Gästen, vielleicht sogar mit Musikanten und einem prächtigen Essen hinterher. Ja, das wüsste ich gern! Denn der Bräutigam aus Köln ist mein Vorfahr. So gut wie sicher war es keine Liebesheirat – daran dachte damals kaum jemand. Es musste eine gute Verbindung sein, standesgemäß, möglichst vorteilhaft für beide Partner, die Gesundheit spielte eine Rolle, man hoffte auf kräftigen Nachwuchs – aber Liebe? Eine Heirat war Familienangelegenheit und sie wurde von den Verwandten vermittelt. Was wohl hielten die Wipperfürther, die von dieser Heirat erfuhren oder sogar Augenzeugen waren, von der Leistung der Vermittler?
Die Braut ist eine echte Wipperfürtherin: Anna Catharina Linden ist nach den Kölner Genealogen2 die Tochter des Wipperfürther Bürgermeisters Adolph Linden und seiner Frau Catharina, geb. Egen. Nach der Bürgermeisterliste war Adolph Linden schon im Jahr 1620 Bürgermeister, das ist jetzt, 1664, über 40 Jahre her. Im Jahr 1622 - Adolph Linden wird „abgestandener Richter“ genannt, ist also vor drei Jahren Bürgermeister gewesen - haben er und seine erste Frau Catharina Düssel der Stadt Wipperfürth einen großen Dienst erwiesen. Sie borgten dem Stadtrat die hohe Summe von 350 Reichstalern, damit die Stadt die Kontribution an das spanische Heer zahlen konnte, um die Plünderung der Stadt zu verhüten3. Die Lindens sind eine alte Wipperfürther Familie. Christian zur Linden ist 1583, auch 1590 und 1615 als Bürgermeister der Stadt erwähnt. Sein Hauszeichen befindet sich am Stadtbrunnen4. Auch jetzt noch gibt es einen Christian Linden in Wipperfürth, er ist der Vater von Magdalena Linden, die Reinard Brewer geheiratet hat und der Vater von Margaretha Agnes Linden, der Frau von Christian Causemann. Ob er oder Bürgermeister Adolph Linden der Vater des Priesters Johann Adolph Linden in Köln ist, weiß ich nicht. Es fehlen die Taufbücher von Wipperfürth vor 1623 und auch die von 1627 bis 1648. 1680 wird Paul Linden, ein Bruder oder Vetter von Anna Catharina, Bürgermeister von Wipperfürth sein. Über die erste Frau des Adolph Linden, Catharina Düssel, sind die Lindens mit vielen alten Wipperfürther Familien verschwägert: Mit den Langenbergs, den Hagedorns, den Bitters. Aber auch Catharina Egen ist aus guter Wipperfürther Familie: Ihr Vater Johann Egen war 1608 Bürgermeister und ihre Mutter war Anna Weyerstrass, eine Tochter des Wipperfürther Bürgermeisters Christian Weyerstrass und der Margarethe Hagedorn5. Deren Tochter Maria Weyerstrass war die Frau des Richters Peter Düssel. Catharinas Bruder Peter Egen war oder ist noch jülisch-bergischer Landschreiber in Wipperfürth. Eine Schwester, Anna Egen, hat am 13. Januar 1621 in Freudenberg den Schultheiß und Mühlenbesitzer Wilhelm Friesenhagen geheiratet6. Man kann wohl von Patriziat sprechen. Kurz nach dem Abzug der spanischen Söldner von Wipperfürth ist der Hochaltar aus Kalkstein in St. Nikolaus gestiftet worden. Er zeigt Jesus und seine Jünger beim letzten gemeinsamen Mahl, als fände das in Wipperfürth statt. Damals war Johannes Hagedorn Richter und sein Sohn Johannes Hagedorn Pfarrer in Wipperfürth. Kirchmeister aber war, zusammen mit Johannes Bitter, Adolph Linden.7
Vielleicht steht das Paar jetzt, bei der Trauung 1664, vor diesem Altar, die Braut blickt auf die Namen ihrer Verwandten Bitter und Hagedorn und auf den Namen ihres Vaters. Der Altar mit dem Passahlamm atmet die Atmosphäre aus dem 30jährigen Krieg, die heftigen religiösen und politischen Auseinandersetzungen in der Stadt und in der Welt, die Zeit, in der Blut floss. Der Krieg ist endlich vorbei. Anna Catharina ist nicht mehr jung, eher schon 30 Jahre alt. Sie ist in Wipperfürth zum ersten Mal 1649 Patin gewesen. Damals sollte sie wohl 15 Jahre alt sein. Dann wäre sie 1634 geboren. Beide Eltern von Anna Catharina leben noch. Haben sie ihr Nesthäkchen nicht gerne aus dem Haus gelassen? Fanden sie im ganzen Bergischen Land keine passende Partie? Oder waren alle diese Familien von Rang schon allzu oft mit ihnen verschwägert? Jedenfalls:
Jetzt, am 18. April 1664, steht in St. Nikolaus neben der echten Wipperfürtherin dieser Kölner, den hier niemand kennt, Dr. Theodor Meringh. Meringh – was ist denn das für eine Familie? Ganz unbekannt! Wer hat den 33jährigen Arzt gefunden, dass er jetzt hier am Altar stehen darf und Anna Catharina Linden heiraten, die zwar nicht jung ist, aber reich? Natürlich, immer hat es Ehen mit Kölnern gegeben. Es gibt Familien, die sowohl in Wipperfürth als auch in Köln zu Hause sind: die Düssels, die Weyerstraß, die Bitters, die Langenbergs. Wipperfürth ist eine Handelsstadt, Köln spielt da eine wichtige Rolle. Eine gängige Verbindung gab es auch durch die Kirche. Die Ausbildung zum Geistlichen fand natürlich in Köln statt. Die Pfarrer an St. Nikolaus in Wipperfürth kamen seit 1234 vom Stift St. Aposteln in Köln. Wenn eine Familie für ihren Sohn diese Karriere plante, musste sie ihn schon als Kind im Apostelnstift einkaufen. Das hatte z.B. der Bürgermeister Johannes Hagedorn für seinen Sohn Johannes getan. Ja, werden die Wipperfürther jetzt denken, so kann man sich diese Heirat erklären. Johann Adolph Linden, ein älterer Bruder der Braut oder ihr Vetter, ist Priester in Köln8 und dort hat er den Domkapitular Dr. Henrich Meringh kennengelernt und die beiden haben diese Heirat geplant und eingefädelt. Das hat also seine Ordnung. Und auf jeden Fall wird der junge Mann gut katholisch sein, wenn doch sein Bruder im Domkapitel sitzt – dass er etwa ein Ketzer wäre, wie jetzt so viele, da braucht man sich also keine Sorgen zu machen.
Studiert hat er in Rom, wie man hört, und dort ist er auch promoviert worden, vor zwei Jahren, 1662. Da muss sein älterer Bruder – denn der Vater, der Kaufmann Hendrich Merinck, und auch die Mutter, Margarethe Hochgeboren, leben nicht mehr – ordentlich Geld aufgewendet haben. Umsonst ist so ein Studium in Italien nicht, aber die Medizin an den italienischen Universitäten soll ja sehr gut sein.9 Und was will er jetzt machen? Will er in Wipperfürth bleiben und mit Anna Catharina ihre Güter verwalten: Hohenbuechen, Scherkenbeck, Stöpgeshof und Felderhof? Einen Arzt könnten wir in Wipperfürth wohl brauchen.
Nein, das will Theodor nicht, oder besser: das wollen die beiden Priester nicht. Sie haben zum Wohle der jungen Leute vorgesehen, dass Dr. Theodor Mering Professor an der Kölner Medizinischen Fakultät wird – und dazu soll ihm die Mitgift von Anna Catharina Linden helfen. Denn der Einstand in eine Professur ist teuer! Außerdem soll ein Medizinprofessor in Köln verheiratet sein, das wünscht die Fakultät. Und natürlich gut katholisch verheiratet, denn sonst kann er sich nicht beim Rat qualifizieren und in keine Gaffel aufgenommen werden. Dies Gesetz gilt seit 1617. Der junge Professor soll mit seiner Frau einen Haushalt führen, wo die Fakultätsbesprechungen stattfinden können. Das ist reihum üblich bei den Medizinern. Die Fakultät ist klein, meist nur 6 Professoren, und pflegt eine rege Geselligkeit – unter Teilnahme der Frauen.10 Die beiden Geistlichen Linden und Mering werden dafür sorgen, dass Theodor oder Derich, wie sie ihn familiär nennen, eine Universitätspfründe bekommt oder eine der Professuren des Stadtrats. Das soll den Lebensstandard der neuen Familie sichern. So könnte es gewesen sein. Im Kirchenbuch von Wipperfürth stehen die Namen des Paares ohne die Namen der Eltern untereinander. Das ist insbesondere bei Bräuten ungewöhnlich. Es könnte andeuten, dass Anna Catharina eine erwachsene Frau ist, aber Herr Norbert Wegerhoff, der die Kirchenbücher Wipperfürths gut kennt, versichert mir, dass es unter Pastor Erlhoff üblich war, die Väter nicht zu erwähnen. Die beiden Theologen sind auch nicht erwähnt, obwohl sie vielleicht anwesend sind. Eingetragene Zeugen sind Johannes Bitter, Consul et Judex – also Bürgermeister und Richter – und Christian Kaufmanns, beide aus Familien, die auch in Köln Verwandte haben, beide aus dem Freundeskreis der Lindens, ja, Johannes Bitters Mutter war eine Anna Linden11.
18.4.1664 D. teodorus Meringh doctor Testes Joanni Bitter Consul et Judex Anna Catharina Linden Christian Kaufmanns Kirchenbuch Wipperfürth S. Nicolaus
Wie die beiden Menschen Cathrin und Derich in den folgenden Jahren miteinander ausgekommen sind, darüber hat sich nichts erhalten. Derich kann durch seine Lateinschule und sein Studium in Rom fließend Latein sprechen, nicht das klassische, aber das sogenannte Kirchenlatein. Aber alle Tage und zu Hause sprach er natürlich Kölner Platt. Cathrin sprach Wipperfürther Platt. Ob sie sich gut verstanden? Im Januar 1665 wird ihr erstes Kind geboren. Im Kirchenbuch der kleinen Kirche „Maria im Pesch“ steht:
28. Januarij A. 1665. baptizatus est Henricus Merings Parentes Expertiss. D. Theodorus Mering Medic. Doctor Et Anna Catharina Linden Coniuges. Patrini Am. R. D. Henricus Mering Pbr. Canon. Et Catharina Egen genand Linden. Kirchenbuch St. Maria im Pesch, Köln 1665
„Maria im Pesch“ ist die Pfarrkirche der Dombediensteten. Die kleine romanische Kirche wurde um 1530 auf den Fundamenten des Nordquerschiffes des Doms erbaut. Man nimmt an, dass damals schon feststand, dass der Dom nicht vollendet werden würde. Es hatte schon vorher im Atrium des Doms eine kleine Kirche gegeben, die „Maria in pasculo“ hieß: „Maria auf der Wiese“. Die Kölner sagten „Pesch“ für „pasculo“. 1843, als man den Dom fertig bauen wollte, wurde „Maria im Pesch“ abgerissen. Dass Theodor sein Kind so nah am Dom taufen lässt, deutet auf seinen Wohnsitz hin. Grundsätzlich bestand in Köln Kirchzwang – die Kasualien mussten in der für das Kirchspiel zuständigen Kirche ausgeführt werden. War also der junge Arzt damals schon, was er am Ende seines Lebens war: „Medicinae Doctor ad Metropolit.“ - das heißt „Arzt beim Erzbischof“? Dann gehörte er wirklich zu den Dombediensteten und „Maria im Pesch“ war sein Kirchspiel. Zuerst war er vielleicht nur der Arzt seines Bruders Henrich Mering, damals Presbyter und Senior des Kapitels, dann allmählich auch der Arzt der anderen Kapitelmitglieder.
Henrich ist natürlich Pate beim Erstgeborenen von Theodor. Die Patin aber ist die Großmutter des Kindes: Catharina Egen genannt Linden. Offenbar hat sie ihre Tochter in die große Stadt Köln begleitet, um ihr bei Schwangerschaft und Geburt beizustehen. Gerne stellen wir uns eine glückliche kleine Familie vor, im Umkreis von „Maria auf der Wiese“, neben dem unfertigen Dom. Aber im Sommer desselben Jahres bricht in Köln die Pest aus. Wer kann, verlässt die Stadt, wo die Ratten und ihre Flöhe in den engen Wohnungen, den offenen Gossen hausen. Drei Jahre wütet die Krankheit, mehr als zehntausend Kölner sterben, das Leben in der Stadt erlischt, es gibt Beschreibungen über die gespenstige Stille in von der Pest betroffenen Städten. Aber Cathrin und Derich überleben, sie fliehen nach Wipperfürth. Diese Information hätte ich ohne die Hilfe von Herrn Norbert Wegerhoff, dem Genealogen von Wipperfürth, nicht gefunden. Er stellte mir die einschlägigen Daten aus dem Wipperfürther Kirchenbuch zur Verfügung. Danach ist am 2. November 1665 Catharina Egens gn. Lindens in Wipperfürth begraben worden. Vielleicht hat das Begräbnis der Großmutter für die junge Familie den Anlass geboten, Köln zu verlassen.
1665 November, den 2. Catharina Egens gn. Lindens W
Hinter dem Eintrag im Sterbebuch steht ein großes „W“, laut Herrn Wegerhoff das Zeichen dafür, dass die Wollweberzunft eine Kerze und eine Messe zur Leichenfeier bezahlte. Barocke Begräbnisse pflegten sehr volkreich und prächtig zu sein. Unmöglich können da Tochter und Schwiegersohn fehlen. Sie kommen im Spätherbst, bei rauhem Wetter, mit dem zehn Monate alten Säugling an. Die Straße ist schlecht gepflegt. 45 km durch Schlaglöcher und Geröll. Und Cathrin ist schon wieder schwanger! Derich hat sie unbedingt begleiten müssen. Den Winter über sind sie dann wohl im Bergischen Land geblieben. Dazu passt, dass „um 1665“ „her doctor Mehring“ für Scherckenbick das Opfergeld bzw. die Bürgersumme bezahlt hat12. Am 12. März 1666 wird in Wipperfürth der kleine Sohn begraben, gerade ein Jahr und zwei Monate alt. Viele Kinder sterben damals während des Abstillens, es ist schwer, eine gute Kindernahrung zu bereiten, oft wird die Umstellung auf Kuhmilch nicht vertragen. Aber auch die ersten Zähne sind häufig Anlass zum Tod, das gefürchtete „Zahnfieber“ steht noch später lange als Ursache in Kirchenbüchern.
Zu der Zeit wird es dem alten Vater von Cathrin schon nicht mehr gut gehen. Am 27. Mai 1666 wird der Richter und Ratsherr Adolph Linden beerdigt. Auch zu seinem sicher besonders feierlichen Begräbnis steht ein „W“ hinter dem Eintrag im Kirchenbuch. Die Wollweberzunft stiftet wieder eine Kerze und eine Messe – und nimmt natürlich auch teil an Gottesdienst und Leichenzug. Die Merings sind aus familiären Rücksichten in Wipperfürth – und verpassen das ärgste Pestjahr in Köln. Anfang Juni kommt ein kleines Mädchen zur Welt und wird am 8. in Wipperfürth getauft:
1666 Juni den 8. Anna Maria Doctor Mering und Anna Cathrina Linden Patin Anna Margarita Lixfeld
Anna Margarita Lixfeld ist eine schon verheiratete Tochter des Bürgermeisters Johann Bitter, des Trauzeugen der Merings. Eine Weile, sollte man meinen, sind Cathrin und ihr Neugeborenes nicht reisefähig. Vielleicht würden sie gern für immer auf Scherckenbick bleiben. Aber irgendwann müssen sie doch nach Köln zurück. Derich hat einen Beruf. Den muss er ausüben.
Ob es mit den Folgen der Flucht nach Wipperfürth zu tun hat, dass das nächste Kind von Derich und Cathrin nicht wie ihr erstes in Maria im Pesch getauft wird? Vielleicht hatten die Merings ihre Wohnung im Domviertel von Köln verloren, vielleicht musste sie erst renoviert werden. Oder es hängt mit dem letzten Aufflammen der Pest zusammen. Jedenfalls steht am 21. Dezember 1667 im Kirchenbuch von St. Columba:
Nobilis et Expertissimus Dominus Theodorus Mering Medicinae Doctor et Virtuosa Matrona Anna Catharina Lindens coniuges obtulerunt ad baptisma filium nomine Henricum cuius Patrinus fuit Adm Reverendus et Amphfrimus Dominus Henricus Fridericus Mering Canonicus Metropolitanus Matrina Anna Margareta Bitters. Kirchenbuch St. Columba Köln 1667
Ein schöner Text! Ein stolzer Text! Beide Gatten tragen ihr Kind zur Taufe nach St. Columba. Er ist adlig und hocherfahren als Doktor der Medizin, sie ist eine tugendhafte Dame. Pate, Patrinus, ist wieder der Domherr Henrich Mering, der Onkel des Kindes, Patin, Matrina, ist Anna Margaretha Bitters. Ob das eine Tochter des Richters Johannes Bitter ist? Das Kind heißt wieder Henricus. Dieser 2. Henricus wird sich selbst später Heinrich von Mering nennen. Das Kirchspiel St. Columba hat in der Familie Mering Tradition. Theodors Vater, der Kaufmann und Bürger zu Köln Hendrich Merinck, hat von 1622 an im Kirchspiel St. Columba gewohnt, im Haus zum Drachen beim Minoritenkloster. So steht es im Taufeintrag von Theodors drei Jahre älterem Bruder Caspar. In diesem Haus ist auch Theodor geboren, in St. Columba ist er selbst vor 36 Jahren getauft!
30.9.1631 Henricus Merinch und Margeritt Hogeboren obtulerunt filium nomine Theodorum, Patrini Theodorus Henricus Hogeboren und Christina Meringh Kirchenbuch St. Columba Köln 1631
Vielleicht ist Theodor stolz auf diese Tradition, vielleicht kann er im Vaterhaus wohnen, bis seine Wohnung im Domviertel wieder beziehbar ist. Eine emotionale Bindung allein genügt aber nicht, um eine andere als die zuständige Kirche für die Kindtaufe wählen zu dürfen. Es muss einen praktischen Grund gegeben haben. Der Taufeintrag seines Sohnes zeigt: Theodor ist noch nicht Professor! Aber er lässt sich nobilis nennen. Und 1674 wird auch Anna Catharina Linden als Patin „Nobilis Matrona Anna Catharina Mehrings“ genannt.
Wie man im Barock adlig wird, ist ein viel diskutiertes Thema unter Genealogen. Hendrich Merinck, der Kaufmann und Bürger (ca. 1570 – ca. 1643), verwendete ein Hauszeichen mit den Buchstaben HM,13 wenn er sich ausweisen wollte. Sein Sohn, der Domherr Henrich Mering, führt nachweislich seit 1675 ein Wappen als Siegel: die Taube im Schlangenring unter dem Hut des Domprobstes von Osnabrück mit je drei schwarzen Troddeln auf jeder Seite.14 Dem promovierten Priester ist es verliehen, weil er die Geschäfte der Erzbischöfe von Köln und Osnabrück besorgt, zusammen mit den hochadligen Domherren. Da muss er Verträge standesgemäß siegeln können. Der Arzt Theodor hat sein eigenes Siegel, wie ein Attest von seiner Hand aus dem Jahr 1686 beweist. Es zeigt vielleicht den Äskulapstab mit Schlangen – das ist schwer zu erkennen. Aber macht ein Wappen schon adlig? Das Kind Heinrich jedenfalls, das am 21. Dezember 1667 in St. Columba getauft wird, wird sich immer adlig fühlen und, aufgestiegen zum Domherrn Heinrich von Mering, das Wappen mit Taube und Schlange verwenden und es in Wipperfürth anbringen: an seiner Stiftung, der Kreuzkirche auf dem Scheveling im heutigen Ortsteil Kreuzberg.
Erst am 7. November 1668 wird Theodor an der Universität immatrikuliert, als „nob. et expertiss. d. Theod. Mering, med. dr.“, damit ist er zum Professor ernannt. Womöglich hat ihn die medizinische Fakultät schon eine Weile vorher rezipiert, aber erst, wenn der Rektor ihn in die Immatrikulationsliste eintragen lässt, ist es amtlich. Wer über die Aufnahme eines neuen Professors entscheiden darf, ist seit 1630 zwischen Fakultät und Rektor strittig.15 Ob Theodor sich darüber oft geärgert hat? Er wird lange, bis 1689, Medizinprofessor bleiben. Und er wird viermal Dekan seiner kleinen Fakultät sein: 1672, 1680, 1684 und 1686. Rektor der Universität kann er nicht werden. Denn ein Rektor der Universität Köln ist immer unverheiratet. Zu den bedeutenden Fakultäten gehörig, ist der Rektor stets Theologe und/oder Jurist. Am 14. März 1670 leistet Theodor Mering seinen Bürgereid im Stadtviertel „Maria im Pesch“ und er tritt in die Gaffel Buntwörter16 ein, das ist die Kürschnergaffel. Jeder Kölner Bürger muss zu einer Gaffel gehören, um im Verteidigungsfall zu wissen, was er zu tun hat. Die Akademiker haben keine eigene Gaffel, sie wählen eine Handwerkergaffel. Als Medizinprofessor wird er dort willkommen sein. 1671 wird dem Ehepaar Cathrin und Derich noch eine Tochter geboren.
6. Decembris Baptizata Catharina Elisabetha Parentes Expertiss. D. Theodorus Mering Med. Doct. Et Anna Catharina Linden Coniuges Patrini Reverendiss. D. Thomas Quentell Officialis Et Anna Funck Vidua Dütz Kirchenbuch Maria im Pesch Köln 1671
Einen gewichtigen Paten hat Catharina Elisabeth. Er sitzt mit Henrich Mering im Domkapitel, ist zumindest politisch sein Freund und stammt aus bekannter Kölner Familie. Die Quentels gehörten zu den frühen Buchdruckern Kölns. Aber auch wichtig: Seine Mutter ist Christina Düssel. Ob Anna Funck, verwitwete Dütz, Wipperfürtherin ist?
Der kleine Heinrich wächst demnach mit einer jüngeren Schwester auf. Er wird früh beschult und in alten Sprachen ausgebildet. Denn sein Onkel und Pate, der Domkapitular Dr. Henrich Mering, hat ihn für den geistlichen Stand und zu seiner Nachfolge bestimmt. Theodor Merings Leben ist durch Immatrikulation, Bürgereid und Amt des Dekans hin und wieder aktenkundig, Anna Catharinas Leben nur durch die Geburten. Und durch zwei sehr interessante Patenschaften! Am 20. Januar 1674 lässt das Ehepaar Matthias Mohr und Anna Catharina Weddings eine Tochter Joanna Catharina taufen. Anna Catharina Wedding ist eine Tochter des Bürgermeisters Wilhelm Wedding in Wipperfürth und der Richmunde Hagedorn17. Das junge Paar hat am 18. September 1670 in Wipperfürth geheiratet, und zwar mit einem Dispens des Domherrn Mering. Warum brauchten sie einen Dispens? Waren sie schon zu nahe verwandt? Zeugen der Eheschließung waren der Bürgermeister Christian Hagdorn und der Richter Wilhelm Wedding. Bei der Taufe im Kirchlein Maria im Pesch wird die abwesende Patin Anna Catharina Mehlers – eine Schwester der jungen Mutter - vertreten durch „Nobilis Matrona Anna Catharina Mehrings“. Was für einen Beruf Matthias Mohr im Kirchspiel „Maria im Pesch“ in Köln ausübt, wüsste ich gern. Gehört er zur Wipperfürther Wollweberzunft? Die Kapitulare tragen gute Wollstoffe. Jedenfalls lebt das Paar beim Dom und lässt eifrig Kinder taufen. Am 14. Juni 1675 wird der Sohn Wilhelmus Henricus getauft, Paten sind Theodors Bruder, der Domherr Henrich, und anstelle des Namensgebers Wilhelm Wedding wohnt Heribert Hochgeboren der Taufe bei. Dieser Heribert Hochgeboren ist Priester und ein Vetter von Theodors Mutter Margaretha. Noch ein letztes Mal kommt Cathrin Linden im Kirchenbuch vor, im Jahr 1677.
13. 7bris Baptizata est Anna Maria parentes Matthias Mohr et Anna Maria Weddings patrini nobilis et virtuosa dna Anna Catharina merings nata Linden, et Admodum Rdus et doctissimus Dnus Adamus Weddingh Vicarius B:M:V in Wipperfurt eius loco adfuit ejus pater D. Wilhelmus Weddingh Kirchenbuch Maria im Pesch Köln 1677
Die Wipperfürther in Köln hielten offenbar zusammen! Cathrin musste sich dort nicht in der Fremde fühlen. Der Taufeintrag nennt sie „adlige und tugendhafte Dame“. Herr Wilhelm Wedding, der sich bei der vorigen Taufe eines Enkelkindes noch hatte von Heribert Hochgeboren vertreten lassen, ist jetzt anwesend und vertritt seinen Sohn Adam, den Vikar am Altar der Jungfrau Maria in Wipperfürth. Mit diesen Patenschaften in Köln wird eine spätere Eheschließung vorbereitet: Am 15. Mai 1691 heiratet der Bürgermeister von Wipperfürth Wilhelm Wedding die Kölnerin Anna Gertrud Hoen. Deren Mutter ist Elisabeth Mering, eine ältere Schwester meines Vorfahren Theodor. Noch deutlicher beweist eine erst im Jahr 1684 stattfindende Taufe die enge Beziehung der Kölner und Wipperfürther Familien. Im Kirchenbuch „Maria im Pesch“ heißt es:
Anno 1684 die 19 Jan Baptizatus est Henricus parentes Matthias Mohr et Anna Maria Weddings patrini A:R: et Amplissimus Dnus Henricus Meringh presbyter Can.is Senior, ejus loco adfuit ipsius ex Fratre Nepos Henricus meringh et Anna Catharina Hagdorns Wittib Sterns huius loco stetit Margaretha Agatha Fedders. Kirchenbuch Maria im Pesch Köln 1684
Auch bei der Familie Mohr ist offenbar der erste Sohn namens Heinrich gestorben, beim zweiten Heinrich soll wieder der Domherrn Mering Pate sein. Aber der ist gerade nicht in Köln. Ich weiß, dass er eine rege Reisetätigkeit hatte, sowohl als Kapitular als auch als Dompropst des Bistums Osnabrück. Ihn vertritt sein junger Neffe (extra erwähnt wird, dass er Brudersohn ist!) Heinrich. Die Wipperfürtherin Anna Catharina Hagdorn, verwitwete Sterns18, wohl eine Tante der jungen Mutter, wird durch Margaretha Agatha Fedders vertreten. Diese junge Frau ist die Tochter des Kölner Bürgers Sebastian Fedder und der Wipperfürtherin Gertrud Wichesberg. Das bezeugt eine Urkunde vom 29. März 1670 im Stadtarchiv Wipperfürth.
Die Verbindung nach Wipperfürth wird offensichtlich gepflegt. Vielleicht verbringen Frauen und Kinder gemeinsam die Sommer im Bergischen Land. Das ist sicher angenehmer als im lauten und abfallgeplagten, ständig von Seuchen bedrohten Köln. Vielleicht können die durch Berufsverpflichtungen gebundenen Männer wenigstens zeitweilig auch aufs Land kommen. Jedenfalls wird Theodors ältester Sohn Heinrich in Wipperfürth heimisch. Es sind die 70er Jahre des 17. Jahrhunderts. Köln geht es nicht gut. Der Handel hat sich nach dem 30jährigen Krieg nicht erholt, die Stellung als „Frontier-statt“ am Rand des Kaiserreichs - Bergerhausen spricht vom „reichspolitischen Abseits“ - macht der Freien und Reichsstadt zu schaffen. Der Absolutismus greift um sich. Auch der Erzbischof möchte Territorialfürst werden wie Brandenburg und Jülich-Berg. Die protestantischen Niederlande, der Sonnenkönig in Frankreich werfen begehrliche Blicke. Und der Kaiser erhebt immer neue und höhere Steuern, er muss gegen die Türken kämpfen, aber sich auch gegen Frankreich rüsten. Der Rat von Köln verkapselt sich im Klüngel. Die Bürger sehen es mit wachsendem Unmut. 1680 ist Theodor stellvertretender Dekan. Da erhebt sich aus der Bürgerschaft ein Kaufmann der Gaffel Himmelreich und klagt öffentlich die Stadtregierung der Korruption an. Er heißt Nikolaus Gülich.19
Keine Stadtführung durch Köln ohne einen kurzen Halt am Gülichplatz. Der Gülich-Aufstand ist ein kölnisches Trauma, könnte man sagen. Dass ein gut ausgebildeter Mann, aus Kölner Kaufmannsfamilie, nicht unvermögend, so heftig und wirksam gegen den Stadtrat aufgetreten ist und wirklich erreicht hat, dass der ganze Rat zurücktreten musste und neu gewählt wurde: das beschäftigt immer wieder die Historiker. Es soll auch mehr als 100 Jahre vor der französischen Revolution ein einmaliges Ereignis in Europa gewesen sein. Wenn ich Gülichs Kritik an der Stadtregierung lese20, könnte ich mir vorstellen, dass seine Reden auch Dr. Theodor Merings Beifall gefunden haben. Der Stadtrat wurde beherrscht von 6 Männern, die miteinander verwandt oder verschwägert waren und sich in den obersten Ämtern, dem Bürgermeisteramt, dem Rentamt und dem Stimmmeisteramt, abwechselten. Auch die übrigen Stadträte stammten aus wenigen Familien Kölns, Neuwahlen brachten nur Verwandte ins Amt. Familien wie die Merings, die erst seit drei Generationen in der Stadt lebten, hatten keine Chance. Das wäre nicht so schlimm, wenn der Rat gerecht regiert hätte. Aber er brach die Gesetze und niemand konnte ihn deswegen belangen. Er vergab Ämter und Posten gegen Geld, bestimmte willkürlich Strafen, die Ratsherren bereicherten sich persönlich und machten auch gar kein Hehl daraus. Wenn Nikolaus Gülich dieses Verhalten geißelte, sprach er vielen Bürgern aus der Seele. Auf der Höhe seines Kampfes hieß es in Köln: „Gülichs Sach, gemeiner Leut Sach!“ In allen Gaffeln wurde eifrig diskutiert. Vielleicht hat auch Theodor nicht nur zugehört.
Aber zunächst ereilte ihn ein persönliches Schicksal: Anna Catharina Linden starb. Ob sie lange schon krank war oder relativ schnell und plötzlich verstarb, erzählt ihr nüchterner Sterbeeintrag im Wipperfürther Kirchenbuch nicht. Dass sie nach 1677 nicht mehr im Kölner, dafür aber im Wipperfürther Kirchenbuch als Patin vorkommt, spricht dafür, dass sie in ihre Heimat zurückgekehrt ist, vielleicht mit ihren Kindern. Herr Norbert Wegerhoff hat mir folgende Taufdaten übermittelt: Am 3. April 1678 ist Catharina Patin bei Anna Sybilla Brewer in Wipperfürth, deren Mutter eine geborene Linden ist. Und am 21. Juni 1682 soll sie Patin bei Anna Cathrin zum Velderhoff gewesen sein. Dass sie am 7. Juni nach einem Eintrag im Kirchenbuch von St. Nikolai in Wipperfürth schon begraben wurde, steht damit in Widerspruch. Eins der Daten ist falsch! Wir Genealogen wissen, dass die Einträge in Kirchenbüchern oft erst spät erfolgten, nach Laufzetteln, auf denen die Amtshandlungen zunächst vermerkt wurden. Es gibt immer wieder Fehler in den Abschriften. Dieser ist eklatant. Cathrin kann nicht nach ihrem Tod Patin gewesen sein. Doch stammen die beiden Einträge auch nicht aus demselben Kirchenbuch. Der Schreiber konnte die Daten nicht vergleichen. Und leider kann ich das Kirchenbuch, aus dem ich mit eigner Hand den Begräbniseintrag abschrieb, nicht mehr verifizieren21.
7.6. 1682 Fr. Anna Cathrin Linden gn.Mering Kirchenbuch Wipperfürth
Es ist Sommer, als die nobilis und virtuosa domina in Wipperfürth begraben wird, sicher sehr feierlich. Prof. Theodor Mering ist nun Witwer. Sein einziger Sohn Heinrich ist 15 Jahre alt und wird an der Universität Köln immatrikuliert. Wo mag das elfjährige Töchterchen bleiben? Die Wipperfürther Güter sind der Kinder mütterliches Erbe. Zunächst wird der Vater sie verwalten. Ob das Alleinsein Theodors politische Interessen verstärkt hat? Liest er die geschickt formulierten Flugblätter, die Gülich verbreitet? Geht er öfter zu den Buntwörtern ins Gaffelhaus als vorher, um die Sache zu verfolgen? Spricht er mit seinem Bruder darüber, der als Kapitular ebenfalls mit Interesse und auch Sorge den Streit in der Bürgerschaft beobachtet? Was denkt die Universität? Immer öfter sieht man Bürger in Waffen. Gülich wird verhaftet und im Triumph von seinen Anhängern wieder befreit. Es ist nicht mehr nur eine Sache zwischen Gaffelhäusern und Rat. Auf den Bierbänken wird über Politik gesprochen. Die einfachen Leute laufen Gülich nach22. Am 2. Juni 1683 kommt es zum Eklat: der Rat lässt die Stadtsoldaten vor dem Rathaus aufziehen, um die Menge der protestierenden Bürger zu vertreiben. Aber die Soldaten, die seit Monaten ohne Sold sind, gehen zu den Bürgern über. Das Rathaus wird gestürmt und der Rat abgesetzt. Das Jahrhunderte alte Prinzip, dass immer nur die Hälfte des Rates neu gewählt wird und dass diese Neugewählten auch überwiegend aus solchen Familien stammen, die schon Ratserfahrung haben, wird über den Haufen geworfen. Ein ganz neuer Rat muss her, und das schnell! 22 Gaffeln stellen 36 Ratsherren, die 13 Herren, die an der heiligen Zahl von 49 gebrechen, das sogenannte „Gebrech“, wählen die schon vorhandenen Ratsherren nach Bedarf. Am 27. Juni 1683 wird „Hr Theodor Mehring“ über das Gebrech in den Kölner Stadtrat gewählt23.
Es wird verfügt, dass diese Gebrechsherren bei ihren Gaffelgenossen sitzen sollen, außer, sie bekommen ein höheres „officium“. Das aber tritt ein: Bei der Ämtervergabe erhält Theodor das Amt des Stimmmeisters. Hoppla! Das ist ein Sprung! Der unauffällige Arzt und Professor wird Politiker. Sein Sohn Heinrich wird später stolzer auf dies Stimmmeisteramt sein als auf den Professorentitel des Vaters. Und Theodor wird in einen Strudel von Ereignissen gerissen. Dass hinter den innerstädtischen Problemen in Köln auch die Reichspolitik steht, ja, dass sie vielleicht der Hauptmotor der Turbulenzen ist, darauf macht Bergerhausen in seiner Geschichte Kölns aufmerksam24. Und ich habe davon ja auch schon gelesen, damals, als ich das Leben von Theodors großem Bruder, dem Domherrn Henrich, zu erzählen versuchte25. Henrich ist ein Freund der Fürstenbergs, Franz Egon von Fürstenberg aber ist der mächtige Stellvertreter des kranken Erzbischofs und er ist ein Anhänger Ludwigs XIV.. Wenn das Erzbistum Druck auf Köln ausübt, um die Stadt im Kurstaat aufgehen zu lassen – dann schwingt darin auch der Versuch mit, Köln aus dem Reich zu lösen und französisch zu machen. Ludwig XIV. hat schon Teile der Eifel zu seinem Reich dazugeschlagen. Er steht drohend vor den Toren. Es gibt zwei Stimmmeister im Stadtrat. Ihre Aufgabe ist es, für die Verteidigung der Stadt zu sorgen. Sie sind sozusagen die Wehrbeauftragten, verantwortlich für die Sicherheit innen und außen. Zunächst aber müssen sie in Commissionen mitwirken, die Druck auf zwei Bürger ausüben, die nicht Bürgermeister werden wollen. Gülich droht den beiden – und auch einigen unwilligen Ratsherren! - mit den hohen Geldstrafen des Verbundbriefes: Ehrenämter müssen angenommen werden! Die Commission unter Stimmmeister Mering nimmt dem kranken Balthasar zum Mülheim den Bürgermeister-Eid zu Hause ab und bringt ihm das Amtssymbol, den Stab, ins Haus26. Dass Gülich diesen Stab den abgesetzten Bürgermeistern aus deren Haus hat wegnehmen lassen, erklärt vielleicht zum Teil den Unwillen von Mülheims. Er bleibt nicht Bürgermeister. Während von Meinertzhagen sich fügt, wird von Mülheim durch Johann Jacob von Bilstein ersetzt. Der zweite Stimmmeister heißt Walram Rodenkirchen. Er ist Merings Gaffelgenosse bei den Buntwörtern, aber direkt gewählt. Bald zieht Gülich Rodenkirchen vor.
Gülich ist jetzt, obwohl er kein Jurist ist, Syndicus specialis des Rates. Wenn er etwas vorantreiben will, nimmt Gülich Rodenkirchen dazu. Mering wird von den Bürgermeistern bevorzugt. Zu offiziellen Besuchen – beim Erzbischof, bei der kaiserlichen Kommission, bei ausländischen Gesandten – nehmen sie den Stimmmeister Mering mit. Gülich hat sich radikalisiert. Zuerst hat er versucht, den Kaiser von seiner gerechten Forderung zu überzeugen, jetzt will er auch dem Kaiser trotzen. Er lässt vom Weltlichen Gericht, das auf den Erzbischof vereidigt ist, seinen persönlichen Widersacher, den Notar Gereon Heßelmann27, wegen Landesverrats zum Tode verurteilen. Vor dem Gaffelhaus Himmelreich auf dem Heumarkt wird Heßelmann am 12. August 1683 hingerichtet. Es gibt große Sicherheitsvorkehrungen. Dafür sind die Stimmmeister verantwortlich. Dass die aufziehenden Mannschaften der Gaffeln die neu gepflanzten Bäume auf den Böschungen schonen sollen – hat das Theodor in die Befehle geschrieben?28
Diese Hinrichtung nennen die Historiker einen Justizmord. Theodor Mering ist Augenzeuge. Ob ihn der Tod Heßelmanns erschüttert? Fängt er an, an der Sache Gülichs zu zweifeln? Wenn man die Ratsprotokolle liest, kann man so etwas denken. Die vielen Streichungen, die leeren Stellen, die plötzlich übervollen Seiten deuten auf ein großes Durcheinander. Es wird eigentlich gar nicht mehr regiert, nur angeklagt und gestritten. Und wichtige Entscheidungen, z. B. was man dem Kaiser auf sein Edikt antworten soll, müssen völlig übereilt getroffen werden – und eigentlich nur noch von einem: Nikolaus Gülich. Immer seltener kommen die Bürgermeister und der Stimmmeister Mering vor. Am Ende des Halbjahrs, am 22. Dezember 1683, wird „Herr Mehring“ zum Gewaltherren erwählt, zusammen mit Herrn Theisen und Herrn Cetto. Außerdem wird „H Stimmeister Mehring“ anstatt Constantin von Ockhoven zum Obrist Lieutenant unter dem Colonell H Johann Peter von Meinerzhagen erwählt29. Laut dem Historiker Bergerhausen steht den Stimmmeistern ein führender Rang im Heer der Stadt zu. Warum Mering erst jetzt diese Position bekommt, ist im Ratsprotokoll nicht erklärt. Das heißt aber doch, dass man mit meines Vorfahren weiterer Mitarbeit im Stadtrat rechnet. Aber zwei Tage später, am 24. Dezember, heißt es im Ratsprotokoll: „seint zu gebrechsHerren erwehlt Herr Herweg undt H Heise ahn statt H Weyß und Johan Theisen, ahn statt H Schnitzler und H Westhoven H Schönhoven undt H Nicolaus Braun, ahn statt H Mehring undt H Wernerskirchen H Bastian Tröster und H Forst, die welche excepto H Schönhoven ihren Rhatsaydt abgelegt.“ Noch am gleichen Tag heißt es dann: „Ist H Nicolaus Braun ahn statt abgegangenen H Mehring Zum Stimmeister erwehlet worden.“30 Der andere Stimmmeister Walram Rodenkirchen geht nicht ab, er wird zum Rentmeister befördert. Im nächsten Jahr wird er sogar Bürgermeister von Gülichs Gnaden sein.
Es wäre interessant zu wissen, warum Theodor ausscheidet. Ganz regulär ist es doch offensichtlich nicht. Hat Gülich ihn gedrängt zu gehen? Inzwischen herrschte der Syndicus specialis durch „forcht“. Oder hat Mering sich geärgert und selbst um seinen Abgang gebeten? Hat die Medizinische Fakultät ihn zurückgefordert, indem sie ihn zum Dekan machte für das Jahr 1684? Manchmal heißt es, dass wegen der Selbstverwaltung der Universität kein Professor gleichzeitig Ratsmitglied sein sollte. Aber das stimmt nicht: gerade über das Gebrech kamen oft Professoren in den Rat. Und weil die Medizinische Fakultät die Hebammen, Chirurgen und Apotheker überwachen sollte, auch überhaupt in Gesundheitsfragen den Rat beriet, legte die Stadtregierung für gewöhnlich auch Wert auf Professoren der Medizin. Aber im Winter 1683/84 war nichts gewöhnlich. Die Neuwahlen und die Vergabe der officia, der Ratsämter, läuft anders als sonst. Nicht nur den Historikern fällt es schwer, sich ein Bild der Lage zu machen. Auch die Zeitgenossen werden nicht alle Vorgänge richtig deuten können. Theodor jedenfalls hatte nicht nur einen politischen Grund zum Ausscheiden: Er ging auf Freiersfüßen.
Am 2. Juli 1684 steht in den Generalvikariatsprotokollen des Erzbistums Köln:
2.Juli 1684 Mense Julio 1684 Dominicâ 2. July D. Theodorus Mehringh Doctor medicinae et Senator Coloniensis viduus petyt et obtinuit licentiam cum desponsata sibi D. Joanna Margaretha Grutings vidua Hennings Diacesis Trevirens hnc proclamationibus matrimonium solennizandt coram proprio Sponsae Parocho GVP 1684 Historisches Archiv des Erzbistums Köln
Das Protokoll nennt Theodor „Senator Coloniensis“, Ratsherr von Köln. Der Titel bleibt ihm, auch wenn er nicht aktiv ist. Die Ehe wird sicher bald nach dem Dispens geschlossen worden sein. Leider weiß ich nicht, wo die heimische Pfarrei von Johanna Margaretha Grutings, verwitwete Hennings, war. So besitze ich keinen Heiratseintrag. Jedenfalls war die Hochzeit nicht in Wipperfürth und nicht in Köln. Vielleicht konnte Theodor bei dieser 2. Ehe etwas mehr mitreden. Aber auch sie war durchaus familienbestimmt. Viele Kinder seines Vaters, des Kaufmanns Hendrich Merinck waren Geistliche geworden, lebten als Nonnen oder Priester, sie sorgten sozusagen für die himmlische Zukunft der Familie, übten aber auch ganz irdisch Macht aus. Für den Nachwuchs, die irdische Zukunft der Familie, mussten die Verheirateten sorgen31. Zwei Kinder waren einfach zu wenig.
Auch die ersten Jahre der 2. Ehe Theodors sind schlechte Jahre für Köln. Nikolaus Gülich ist jetzt ein Diktator, Kritik an seiner Führung nicht ratsam, obgleich ganz offensichtlich die Wirtschaft Kölns leidet. Gleichzeitig werden die Drohungen des Kaisers immer heftiger, 1685 wird über Köln die Reichsacht verhängt. Diesem Druck kann die Stadt nicht standhalten. Sie liefert Gülich und seine engsten Unterstützer dem kaiserlichen Gericht aus. Um ihn von seinen Anhängern zu trennen, wird er in Düsseldorf inhaftiert. Im Februar 1686 wird das Urteil gesprochen: ein Todesurteil natürlich. In Mülheim, dem Sitz der kaiserlichen Kommission, wird Nikolaus Gülich geköpft, sein Leib verscharrt, sein Kopf aber auf dem Bayenturm ausgestellt. Sein Haus wird dem Erdboden gleich gemacht: nie wieder soll hier jemand wohnen32. Stattdessen wird eine Schandsäule aufgestellt, obenauf des Rebellen Kopf in Bronze, vom Schwert durchbohrt33. Mitten in diesen aufregenden Zeiten steht im Kirchenbuch „Maria im Pesch“:
Die 10 7bris baptizatus est Joannes Fredericus parentes Amp Theodorus meringh et Joanna Margaretha Krintungers patrini Rmus Ampmus Dnus Fredericus Henricus meringh et Catharina Gymnicus vidua Maaß Kirchenbuch Maria im Pesch, Köln 1685
Es ist das erste Kind von Margaredchen und Derich, wie der Stiefbruder des Täuflings später in seinem Gebetszettel das Paar zärtlich nennen wird. Und er, der hier zur Unterscheidung von seinem Onkel Fredericus Henricus genannt wird, ist Pate des kleinen Jungen. Die Patin aber ist eine Frau aus kölnischen Patrizierkreisen: eine Witwe Maaß, geborene Gymnich. Ihr Mann Wilhelm Maes oder Maaß war ein Enkel des Kölner Bürgermeisters Johann Maes gewesen, sie ist eine Nachfahrin aus der Buchdruckerfamilie Gymnich. 1702 wird dieser Sohn Johann Friedrich Meringh an der Universität Köln immatrikuliert werden, dann als Soldat im kaiserlichen Heer dienen, mit dem Prinzen Eugen Belgrad von den Türken befreien, es bis zum Hauptmann bringen und am Ende als kölnischer Rheinzöllner in Andernach heiraten und die Mering-Familie fortsetzen. Immer wird sich sein älterer Bruder und Pate Heinrich von Mering um ihn kümmern.
Aus dem folgenden Jahr 1686 hat sich ein ärztliches Attest von Theodors Hand erhalten – natürlich dadurch, dass man sich gestritten hat. Ein Stiftsfräulein von Hall, das im Kloster der Büßenden Magdalenen am Eigelstein wohnte, hat dem Mediziner Mering 32 Taler gezahlt für ein halbes Jahr medizinischer Betreuung in schwerer Krankheit. Offenbar ist entweder die Tatsache, dass das Fräulein wirklich krank war, bezweifelt worden, oder das Stift wollte die Ausgabe nicht bestreiten. Theodor versichert, dass die Behandlung notwendig und auch relativ erfolgreich war und dass sie billiger nicht sein konnte – fast so, als rechtfertige er sich vor einer Krankenkasse. Er behauptet auch, dass eine weitere Behandlung notwendig sei, wenn das Fräulein von Hall nicht wieder bettlägerig werden solle, denn nun habe sich ein neuer Tumor gezeigt. Das alles in lateinischer Sprache! Theodor hat offenbar nicht nur die Domkapitulare behandelt.34 Im Jahr 1687 endet sein Dekanat und Theodor wird noch einmal Vater.
Die 16 Septembris Baptizata est Maria Catharina Theresa parentes Clarissimus et Expertiss. Theodorus meringh et nobilis dna Joanna margaretha Krintingers patrini Virtuosa Virgo Catharina meringhs et Dnus Carolus Hilden Kirchenbuch Maria im Pesch Köln 1687
Patin der Neugeborenen ist die Tochter aus des Vaters erster Ehe. Catharina Elisabeth ist jetzt 16 Jahre alt. Wir hoffen, dass Margaredchen sich ihr als gute Stiefmutter erwiesen hat, so wie sie ja auch das Vertrauen ihres Stiefsohns gewann. Der Pate Carolus Hilden ist 1632 in Köln geboren, also ein gestandener Mann. Sein Vater Tilmann Hilden war Ratsherr in Köln, seine Mutter hieß Christina Merings, sie ist eine sehr viel ältere Stiefschwester von Theodor.
Weihnachten 1687 ist wieder Wahl des halben Rats und Theodor wird noch einmal in den Stadtrat gewählt, diesmal direkt aus der Buntwörtergaffel35. Das ist erstaunlich! Er, der Stimmmeister von 1683, wird in ein Ratsgremium gewählt, das damals durch einen Putsch abgesetzt wurde, 1685 aber durch kaiserliches Machtwort rehabilitiert. Wie passt das zusammen? 1687 ergeht eine kaiserliche Amnestie für alle, die nicht in den Prozessen nach Gülichs Hinrichtung zur Rechenschaft gezogen worden sind. Versöhnung ist angesagt. Und tatsächlich sind 18 Prozent der Ratsherren aus der Gülich-Zeit in den nächsten Jahren wiedergewählt worden36. Weil diese Männer sich nicht an Exzessen Gülichs beteiligten? Oder wurde ihr Reformwille sogar geschätzt? Waren die Kandidaten knapp in sehr unsicheren Zeiten? Nimmt Theodor also eine Pflicht auf sich, für seine Gaffel, aber auch wieder im Sinne seiner Familie? Theodors Wirksamkeit in dieser zweiten Ratsperiode kann ich ebensowenig beurteilen wie 1683. Er wird Wallherr und einer der beiden Klagherren im Rat von 168837. Der Wallherr war für die Festungsbauten verantwortlich. Das dürfte in einer Zeit, wo die Stadt sich sowohl vor dem Erzbischof als auch vor dem französischen König fürchten musste, eine wichtige Aufgabe gewesen sein. Die Klagherren waren für die Bittschriften der Bürger an den Rat verantwortlich. Die Ratsprotokolle sind stetig und ordentlich und befassen sich wieder wie früher hauptsächlich mit den sogenannten Suppliken, den Bitten der Stadtbewohner um Geld oder um Schlichtung von Streitigkeiten38. Die Klagherren hatten also genug zu tun, obwohl sie niemals selbständig über die Erfüllung der Bitten entscheiden durften. Das war Sache des Plenums. Die Bürgermeister heißen Hermann Mylius und Johann Jacob von Huigen.
Bisher konnte ich davon ausgehen, dass der 11 Jahre ältere Bruder Dr. Henrich Mering, Domkapitular und Präsident des erzbischöflichen Hofgerichtes, Theodor protegiert hat. Er hat ihn beraten und vielleicht auch finanziell unterstützt. 1688 wird das Jahr, wo Theodor seinem Bruder beistehen muss. Der Tod des Erzbischofs von Köln am 3. Juni 1688 zwingt zur Neuwahl. Hoffnungen macht sich Wilhelm Egon von Fürstenberg, der sich zum Koadjutor von Max Heinrich von Bayern hat wählen lassen. Aber Fürstenberg steht Ludwig XIV. nahe, das kann der Kaiser Leopold nicht dulden. Denn ein Erzbischof von Köln ist Kurfürst, Frankreich bekäme dadurch Einfluss auf die nächste Kaiserwahl. Der Domherr Mering, seit den Friedensverhandlungen in Münster mit den Brüdern Fürstenberg eng befreundet, setzt sich öffentlich für Fürstenbergs Kandidatur ein. Das bekommt ihm schlecht. Der neue Erzbischof heißt nach dem Willen von Kaiser und Papst Joseph Clemens von Bayern. Im Frühjahr 1689 muss Henrich Mering von Köln in das französisch besetzte Bonn fliehen. Bonn wird von kaiserlichen Truppen zurückerobert. Fürstenberg und seine Anhänger fliehen nach Straßburg, Henrich Mering kommt offenbar nur bis Trier. Aus diesem Jahr stammt ein Dokument, das ich in Lippstadt fotografieren konnte39 Henrich schreibt am 11. April 1689 in Trier eine Vollmacht für Theodor aus, damit der in seinem Namen mit dem Kanzler des Erzbistum, Josef Ferdinand Karg von Erbach, über eine Begnadigung Henrichs verhandeln kann. Dass Theodor erfolgreich war, habe ich im Staatsarchiv in Düsseldorf 40 schon 2002 gesehen: Karg von Erbach schreibt, dass Henrich „tam in choro quam in capitulo“ wie vorher in alle Rechte eingesetzt wird, wenn er dafür den neuen blutjungen bayrischen Erzbischof anerkennt. Dazu ist Henrich bereit.
Geradezu tragisch kommt es mir vor, dass Theodor sich dieses Erfolges nicht mehr freuen kann. Es hätte doch für das Verhältnis der Brüder zueinander viel bedeutet! Aber das Sterbebuch von „Maria im Pesch“ teilt mit:
„1689 31. Aug. Sepultus expertissimus D. Theodorus Meringh Medicinae Doctor ad Metropolit.“
Darunter befindet sich die Rechnung für alle Zeremonien eines feierlichen Begräbnisses. Offenbar hat Bruder Henrich es dabei an nichts fehlen lassen.
Begäng- und begräbniß läuten 2 gl 2 alb. 12 Kertzen 2 gl Träger 3 gl Totenbahr 12 alb. 5 gl 12 alb. Totengräber zu bestellen 6 alb., Chor 3 gl6 alb. 3 gl 12 alb. Alexianer 2 gl 12 alb. Hn Pastori 16 alb. 3 gl 4 alb. Creutz im begräb-begängniß und Weyrauchfaß 1 gl6 alb. Vigilien, Meeß und Commendation 6 gl12 alb. Ad fabrica 2 gl 12 alb. D. Pastori p sacro 1 gl 16 alb. 4 gl 4 alb. Läuten ad S. Joem et Thomam 1 gl 12 alb. 10 Cantores 20 alb. Und 2 Chorales 1 gl 16 alb. 7 gl 8 alb. Leich einWeihen, Monialis und Custos 1 gl Grab zu mauren 18 alb. Bestellen und auffWarten 1 gl 16 alb. Summa 38 gl 4 alb.
Theodor ist nur 58 Jahre alt geworden. Max Braubach41 meint, er sei an der Ruhr gestorben – der Arzt infiziert sich bei seinen Patienten. Vielleicht hat er sich sogar bei der Pflege seiner ältesten Tochter angesteckt? Denn unter seinem Sterbeeintrag steht:
„Sepulta virgo N. Meringhs filia supradicti Dni Doctoris Meringh.“
Den Schmerz von Margaredchen kann man sich vorstellen: sie ist hochschwanger. Im Kirchenbuch liest man:
Anno 1689, den 25. 7bris baptizatus est Tilmannus Theodorus posthumus Parentes Clarissimus et Expertissimus Dnus Theodorus Meringh Medicinae Doctor p:pt: qui obierat die Augusti; Et Nobilis virtuosa Dna Joanna Margaretha Krintingers, Patrini Dnus Tilmannus Kollebrant Cons. Et Oekopola Coloniensis et Devota Virgo Gertrudis Hochgebohren Kirchenbuch Maria im Pesch Köln. 1689
Für ein solches nachgeborenes Kind sind die Paten besonders wichtig. Der Kölner Bürgermeister und Ökonom Tilmann Kollebrandt muss ein geachteter Mann gewesen sein. Leider kann ich seine Beziehung zur Familie nicht klären. Gertrud Hochgeboren stammt aus der Familie von Theodors Mutter, Devota Virgo bedeutet, dass sie Nonne oder Begine ist. Später, 1717, wird Tilmann Theodor in seinem Testament sagen, dass vor allem sein älterer Bruder Heinrich mit „fast Vätterlicher affection“ für ihn gesorgt habe.
Die Einkünfte von Dr. Theodor Mering fallen jetzt weg. Weder bei der Universität noch im Arztberuf gibt es Rentenversicherungen. Aber natürlich hat die Familie Einkünfte aus Erbbesitz. Davon erfahren wir nur gelegentlich, z.B. durch ein Ratsprotokoll von Wipperfürth vom 16. August 1696. Theodors Ältester, Herr Heinrich Mering, verkauft den „Erbgenossen Mering zweiter Ehe“, nämlich den jüngeren Halbbrüdern Friedrich und Tillmann, die Stadthäuser und Bürgerschaftsgüter in Wipperfürth, er selbst behält die Landgüter Velderhoff, Stopgeshoff, Scherckenbick und Hohenbeuchen. Die Stadt Wipperfürth möchte natürlich wissen, wer ihr steuerpflichtig ist! Sie benennt in der Urkunde die Beträge. Ein Kapital von ursprünglich 200 Goldgulden, das die Eltern Theodors bei den Freiherren Wendt zu Crassenstein einzahlten, wird dem Domherrn Henrich am 7. September 1696 allein zugesprochen. Dies Geld legt Henrich im Bergischen Land an: er übergibt es den Franziskanern zu Wipperfürth, damit die im Gut Engstfeld und im Gut Schwienendahl Messen lesen und im Katechismus unterrichten. Diese Verfügung trifft Henrich in Köln am 29. Mai 1699, vielleicht aus Zuneigung und im Gedenken an Theodor. Margarethe Grüntinger überlebt Theodor. Ein „Schema“ der Güter, die später zu ihres Stiefsohns Heinrich Stiftung gehören, soll von ihrer Hand sein42. Aber lange lebt auch sie nicht mehr. Am 6. April 1693 vermerkt das Sterbebuch „Maria im Pesch“ ihr Begräbnis:
„1693 6. Aprilis Sepulta Joanna Margaretha Grüntingers Vidua D. Theod. Mering Medicinae Doctoris.“
Ihr Begräbnis ist deutlich weniger aufwendig als das ihres Mannes, sie bekommt z.B. nur 8 Cantores und weniger Kerzen, es kostet insgesamt nur 19 Gulden und 8 Albus. Dadurch, dass sie Johannes Friedrich geboren hat, ist sie die Mutter aller heute lebenden von Merings und vieler, die andere Namen tragen, so wie Theodor der Stammvater ist.
Unser Vorfahr Dr. Theodor Mering erscheint mir als ein schlichter Mann, solide, würde ich sagen, fleißig und angepasst. Er hat die Anforderungen, die an ihn gestellt wurden, erfüllt – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass er Stimmmeister im Kölner Rat war ausgerechnet in dem Jahr des Gülich-Putsches, ist fast zum Lachen. Denn ganz gewiss war er kein Revolutionär. Aber er war auch nicht „besonders gegen den Aufrührer Gülich tätig“, wie Adolph Fahne43 behauptet. Diese Information stammt sicher von Dr. h.c. Friedrich Everhard von Mering, dem ehrgeizigen späten Nachkommen. Der wollte nach seinen negativen Erfahrungen mit der französischen Revolution nichts vom „Aufrührer Gülich“ wissen. Man kann den mageren Ratsprotokollen zwar entnehmen, dass Theodor nicht zu Gülichs engen Freunden gehörte. Und sein frühes Ausscheiden aus dem Amt nach einem halben Jahr mag sogar auf ausgesprochene Abneigung gegen Gülichs Regierung deuten. Aber Gülich wurde nicht von Kölner Bürgern gestürzt. Es war die schlechte wirtschaftliche Lage und die Angst vor dem kaiserlichen Bann, die Druck machte und die Verhaftung erzwang.
Die Medizinische Fakultät in Köln war zu Theodors Zeit nicht berühmt, sie hatte keinen großen Zulauf. „Wie in anderen Medizinstudien spielte sich auch in Köln der Lehrbetrieb anhand von Büchern ab“ und „Man klammerte sich fest an Hippokrates und Galen.“ schreibt Erich Meuthen.44 Konservativ in ihrer Lehre und nur katholische Studenten duldend, war die Fakultät hauptsächlich für Kinder vom Niederrhein attraktiv. Dass Theodor und viele seiner Kollegen in Italien studiert hatten, änderte daran nichts. Immerhin musste der Student der Medizin „ein Jahr híndurch mit seinem Lehrer Krankenbesuche absolviert haben,“ fügt Meuthen hinzu. Das bedeutete wenigstens eine geringe praktische Ausbildung. Bergerhausen urteilt schärfer: „Die medizinische Fakultät muss im 17. Jahrhundert als rückständig gelten. … Der im Fach vielerorts einsetzende Übergang zur Praxis wurde noch nicht mitvollzogen. Die Chirurgie blieb bei den Barbieren; eine 1662 eingeführte chirurgische Vorlesung wurde schon nach wenigen Jahren suspendiert. Neuen Entdeckungen sprach man noch 1674/85 jede Bedeutung ab. Der Versuch des Rates, über die Berufung von Dr. Antonius Gaymans auf eine städtische Professur frischen Wind in die medizinische Fakultät zu bringen, scheiterte 1679 am Widerstand des Professorenkollegiums.“45 Theodor war zwar nicht in diesen Jahren, aber doch immer wieder Dekan seiner Fakultät. Ich muss also annehmen, dass auch er keinen Bedarf für Studienreformen sah. In Wipperfürth ist Theodor kaum heimisch geworden, obwohl er vielleicht hin und wieder, auf jeden Fall in der Pestzeit 1665 - 1666, dort gewohnt hat. Er ist 1669 zum Paten gewählt worden von der Familie Schwartzen/Scheffen, aber die meisten Verwandten zogen doch Anna Catharina als Patin vor. Nach Cathrins Tod hat der Professor sich um das Erbe seiner Kinder kümmern müssen. Vielleicht war er deswegen manchmal dort – aber er konnte natürlich auch jemanden von den Verwandten seiner Frau mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragen.
Theodor Mering blieb für die Wipperfürther der Kölner. Man kannte ihn, von Auseinandersetzungen ist nichts bekannt. Seine Bedeutung für Wipperfürth aber errang er erst posthum: Als Vater des Priesters Heinrich von Mering, dem Licentiaten und Domkapitular, der 1723 die Kreuzkirche mit Pfarrhaus und Schule auf dem Scheveling bei Wipperfürth stiftete und dadurch den Ortsteil Kreuzberg ins Leben rief. Dieser Sohn ließ für „Margaredchen von Grundtinger genannt Mering und dessen Ehemann Doctorn Derich von Mering Stimmeister und Ratsherr zu Cöllen“ in der Stiftskirche beten. Dadurch erst ist Theodor Mering im Bergischen Land heimisch geworden.