Ein Epitaph im Dom zu Köln

Zuerst veröffentlicht in: Mitteilungen der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde, Band 41, Jahrgang 92, Heft 5, Januar - März 2004

(Henrich Mering, 16. 8. 1620 bis 4. 4. 1700)

Als ich fünfzehn Jahre alt war, führte mich meine Tante Klara von Mering in den Dom zu Köln. Sie liebte das Geheimnis. Und sie zeigte mir im dämmerigen Seitenschiff des Hohen Chors, links neben dem romanischen Gerokruzifixus in seinem schwarzen Marmoraltar, vier Meter hoch an der Wand ein barockes Epitaph, geziert mit Putten und Totenkopf: "Das ist der Domherr Heinrich von Mering," sagte sie. "Ein Verwandter von uns." Ich starrte empor. Damals, 1953, war der Dom noch notdürftig repariert, schlecht beleuchtet, das Gerokreuz und erst recht das Epitaph verschmutzt. Die fremde ehrwürdige Umgebung erfüllte das junge Gemüt mit Schauern. "Ein Verwandter von uns." Ich war gerade konfirmiert, ich war sehr evangelisch. Ein katholischer Domherr mit Lockenperücke in Talar und Pelzkragen: ein Verwandter von uns. Heute kommt es mir vor, als habe meine Tante damals angefangen, mich zur Familiengeschichte zu erziehen.

Henrich Meringh, Sohn von Hendrich Merinck, Kaufmann und Bürger in Köln, und der Margareta Hoheborn, wurde am 16. 8. 1620 in der Kölner Altstadtkirche St. Martin getauft. Wahrscheinlich ist der 16. August, heute, wo ich dies schreibe, vor 378 Jahren, auch sein Geburtstag. Man taufte damals schnell, noch ehe die Mutter vom Wochenbett aufstand, um dem Säugling bei sehr gefährdetem irdischem Leben wenigstens die Chance auf das himmlische zu erhalten. Und so gut wie sicher stand das Elternhaus Henrichs auch im St.-Martins-Viertel, denn die Familien waren ihren Kirchspielen zugeteilt. So hat Henrich seine Kinderjahre wohl in Köln verbracht. Sein Vater trieb seine Handelsgeschäfte dort. Womit er handelte und zu welcher Gaffel er gehörte, konnte ich bisher nicht erforschen. Gerade, als ich im evangelischen Kirchenarchiv in Düsseldorf herausgefunden hatte, dass er Kaufmann war, stürzte das Kölner Stadtarchiv ein und verhinderte die weitere Suche.

Über die mütterliche Familie Hoheborn, auch Hogeborn oder Hochgeboren weiß ich leider so gut wie nichts. Es gibt einige weibliche Familienmitglieder als Patinnen in Kölner Kirchenbüchern zwischen 1610 und 1631, und dass die Beziehung zur mütterlichen Familie gepflegt wurde, zeigt die Patenschaft von Theodor Henrich Hogeboren 1631 beim jüngsten Bruder des späteren Domherrn, bei Theodor Meringh. Aber das ist auch schon alles. Durch wessen Vermittlung oder Fürsprache Henrich Meringh 1635 im Alter von fünfzehn Jahren als Stipendiat an das Collegium Germanicum in Rom kam, ist mir unbekannt. Diese päpstliche Ausbildungsstätte für begabte zukünftige Priester konnte man sicher nicht ohne Empfehlung besuchen. Beurteilungen der Zöglinge sind erhalten, der Kardinal Steinhuber zitiert solche für berühmte Absolventen. Von Henrich Meringhs Abschluß weiß ich nichts.

Im Juni 1639 reist Fabio Chigi, auch Fabius Chisius genannt, ein erfahrener Priester und Diplomat, als päpstlicher Nuntius von Rom nach Köln. Ob er einen neunzehnjährigen Kölner namens Mering, der gerade seine Studien am Collegium Germanicum beendet hat, der Italienisch spricht und Köln aus seiner Kindheit gut kennt, zum munteren Reisebegleiter in den Norden wählt? Am 9. August kommt Chigi in Köln an und hält sich von nun an mit Unterbrechungen bis 1644 in Köln auf. Fürstbischof Ferdinand von Bayern regiert schon seit fast vierzig Jahren, ein strenger, sparsamer Mann, der die Beschlüsse des Tridentinischen Konzils ernst nimmt und versucht, Köln aus dem Dreißigjährigen Krieg möglichst herauszuhalten. Er ernennt den jungen Henrich Meringh zum Stiftsherrn von Bonn und zum kurfürstlichen geistlichen Rat.

Da der Kurfürst bereits alt ist, wird ihm 1642 ein Koadjutor beigesellt. Gewählt wird Max Heinrich von Bayern, wie sich später herausstellt, ein schwieriger Mensch, ein Sonderling. Er wird die Mannesjahre Merings sehr beeinflussen.

An der Kölner Universität wird Henrich Meringh am 26. 3. 1643 immatrikuliert, wahrscheinlich plant er seine Promotion. Aber es kommt anders. Der Dreißigjährige Krieg nähert sich dem Ende. Die kämpfenden Parteien sind erschöpft. Man sehnt sich nach Frieden. Der Papst Urban verpflichtet seinen Nuntius Chigi zum Vermittler zwischen den katholischen Fürsten auf dem Friedenskongreß in Münster. Henrich Meringh begleitet ihn.

Bei dem Kölner Genealogen Ernst von Oidtmann wird Henrich Meringh "Gesandter zum Frieden nach Münster" genannt. Möglich, dass er von seinem Kurfürsten beauftragt war. Wahrscheinlich aber gehört er zu dem fünfzehnköpfigen Gefolge aus Freunden, Sekretären, Schreibern und Bedienten, das Chigi mit sich führte und zieht deshalb mit dem Nuntius am 19. März 1644 in Münster ein. Fünfzehn Personen waren damals ein bescheidenes Gefolge. Der französische Gesandte brachte fünfhundert Personen mit! Aber fünfzehn Personen bedeuten auch eine enge Beziehung zum Delegationsleiter während der folgenden sechs Verhandlungsjahre!

Die Delegation des Papstes wohnt in Münster im Minoritenkloster an der Neubrückenstraße. Das Kloster ist verschwunden, aber die Klosterkirche existiert noch. Das Tagebuch Chigis ist ebenfalls erhalten. In die minutiösen Aufzeichnungen seiner täglichen Friedensbemühungen, seiner Besuche, des Wetters und seiner Gesundheit muss man sich das Leben seines Gefolges hineindenken. Über die Gesundheit von Henrich Meringh steht nichts im Diarium, das geschilderte Wetter aber ist das gleiche für ihn wie für seinen Herrn, nur leidet der geborene Kölner nicht so unter dem Regen wie der feinsinnige Mann aus Siena.

Natürlich könnte Henrich Meringh auch erst im Verlauf der Friedensverhandlungen in des Nuntius Dienste getreten sein. Auf jeden Fall nennt ihn Konrad Repken in den Fußnoten zum Diarium Chigi dessen "Mitarbeiter". Nach Andreas Steinhuber unterschrieb er 1648 als "Begleiter" zugleich mit dem päpstlichen Nuntius den katholischen Protest gegen den Westfälischen Frieden in Münster. Nach dem Tagebuch von Fabio Chigi kehrte "Don Henrico" erst am 26. Mai 1651 von Aachen aus nach Köln zurück. Der Nuntius hat die kurze Bemerkung von der Abreise Henrichs unterstrichen. Tat den beiden der Abschied weh?

Sicher haben diese Jahre in Münster Henrich für sein Leben geprägt: der tägliche Umgang mit einem geistreichen, gelehrten, mehrsprachigen und fleißigen älteren Vorgesetzten, der großen Wert darauf legte, jeden Tag selbst die Messe zu lesen, dazu das internationale Parkett, die politischen Entscheidungen, von denen der junge Mann unmittelbar Zeuge wurde, die religiösen Gespräche, berühmte Prediger, der neulateinische Dichterkreis, zu dem Chigi gehörte, viel Bestechung, Heuchelei, Intrigen, aber auch Balett- und Opernaufführungen, die Begründung von lebenslangen Freundschaften, zum Beispiel mit den Gebrüdern Fürstenberg, Trinkgelage, spannende Diskussionen - und am Ende ein Friedensschluss, der dem Blutvergießen Einhalt gebot, aber von jeder Partei Opfer und Kompromisse verlangte. Chigi ist vom Ergebnis der Verhandlungen enttäuscht. Henrich unterschreibt mit ihm den Protest gegen den Machtverlust der katholischen Kirche, sei es aus Treue zu seinem Chef, sei es aus Überzeugung. 1644, als er aus Köln abreiste, war Henrich Meringh ein Jüngling von vierundzwanzig Jahren gewesen, als er 1651 heimkommt, ist er ein Mann geworden.

Er setzt seine unterbrochenen Studien fort und schließt sie 1655 mit dem Dr. jur. ab. Die Promotion ist die Voraussetzung für die Wahl ins Domkapitel. Von den vierundzwanzig Sitzen dort standen nur acht den bürgerlichen Priestern offen, die übrigen sechzehn Sitze waren den jüngeren Söhnen des Hochadels als Versorgung vorbehalten. Da diese jungen Adeligen aber nie wussten, ob ihre zur Fortsetzung des Geschlechts bestimmten Brüder nicht sterben und sie selbst doch noch würden heiraten sollen, so nahmen sie nur die niederen Weihen, auch glänzten sie oft durch Abwesenheit. Das feste Fundament des Domkapitels bildeten die acht bürgerlichen Priesterherren. Sie waren meistens Kölner, sie nahmen die höheren Weihen, sie hatten promoviert, und sie taten die Arbeit.

Am 16. September 1658 wird Henrich als Inhaber der 2. Universitätspfründe in das Domkapitel von Köln als "Priester-Kanoniker" aufgenommen. Nun ist er Domherr, der erste seiner Familie, achtunddreißig Jahre alt. "Und schon im nächsten Jahre betraute ihn der Kurfürst mit einer Sendung nach Rom". Da war sein ehemaliger Chef Chigi inzwischen unter dem Namen Alexander VII. Papst geworden! Ob die beiden sich wiedersahen? Oder musste sich der Kölner Domherr mit Kardinälen als Gesprächspartnern zufrieden geben? Was war sein Auftrag? Er scheint ihn erfüllt zu haben. "Im Laufe der Zeit wurden ihm außerdem die Probsteien von St. Gertrud in Augsburg und von St. Ursula in Köln übertragen".

Auf die dienstliche Reise nach Rom im Jahr 1659 könnte Heinrich seinen um 11 Jahre jüngeren Bruder Theodor, genannt Derich, mitgenommen haben. Das würde erklären, warum Theodor, unser Vorfahr, seinen medizinischen Doktor 1662 in Rom machen konnte. Theodor kam dann zurück und wurde Professor für Medizin an der Kölner Universität.

Diese beiden Merings im 17. Jahrhundert sind für lange Zeit die letzten aus unserer Familie, die im Ausland studiert haben. Erst in unserm Jahrhundert sind Merings wieder ins Ausland zum Studium gegangen: damals ermöglichte die Weltsprache Latein, was heute die Weltsprache Englisch erlaubt: Globalität.

Henrich Meringh hat sich die Gunst des sonst so menschenscheuen Erzbischofs Max Heinrich erhalten können, er wird zum Präsidenten des Hofgerichts ernannt. "Neben der richterlichen Tätigkeit übte er auch manche wichtigen kirchlichen Funktionen aus: nach den zeitgenössischen Angaben des Martin Henriquez von Streversdorf war er einer der Urheber und Leiter der Kölner Diözesansynode von 1662". Das bedeutet, dass Mering zu den Mitarbeitern des Weihbischofs Stravius gehörte, der "der geistige Vater des ersten Entwurfs zu dem Statutenwerk von 1662" war, "das bis zur Säkularisation von grundlegender Bedeutung für das kirchlich-religiöse Leben in der Erzdiözese blieb." "Zehn Jahre später hat er (Mering) als erzbischöflicher Kommissar die Gebeine des Thomas von Kempen erhoben und in einem kostbaren Schrein wieder verschlossen." Thomas von Kempen, der Mystiker, war 1471 in Zwolle im Bistum Lüttich gestorben. Wahrscheinlich feierte man 1671 das 200. Todesjahr. Der Fürstbischof von Köln war auch Bischof von Lüttich, weshalb ein Kölner Domherr den Reliquienschrein anfertigen lassen konnte. "Lange verwaltete er (Mering) in Vertretung des Bischofs von Osnabrück die Propstei und das Archidiakonat von Bonn, dem 324 Pfarreien unterstellt waren."

Dazu muss man wissen, dass der Bischof von Osnabrück seit 1662 ein evangelischer verheirateter Fürst aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg war. Natürlich musste er sich in der geistlichen Oberaufsicht über die Pfarrämter der Propstei Bonn durch einen katholischen Priester vertreten lassen. Dass Henrich Meringh diese Aufgabe bekam, lag sicher an der unverminderten Gunst seines Kurfürsten. Doch gibt es noch eine zusätzliche Komponente. In den Münsteraner Jahren gehörte der damalige Fürstbischof von Osnabrück, Franz Wilhelm von Wartenberg, zum näheren Umgang Chigis. Er hatte nämlich für die Kongresszeit in Münster Wohnung genommen, da in Osnabrück die evangelischen Mächte tagten. Auch war er der Beauftragte von Kurköln und vielen kleineren Reichsständen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Henrich damals seinen um 8 Jahre jüngeren Bruder Caspar als Schreiber bei Wartenberg unterbrachte. Bis zu Wartenbergs Tod 1662 jedenfalls ist der Kölner Caspar Meringh Sekretär der Geheimen Kanzlei in Osnabrück gewesen. Er mag seinen Bruder Henrich auf die Vakanz in der Propsteivertretung Bonn beizeiten aufmerksam gemacht haben. Als verdienter Beamter findet er vielleicht auch Gehör mit einer Empfehlung seines Bruders beim neuen evangelischen Bischof. Ich weiß ja, dass der Braunschweig-Lüneburger dem Caspar Meringh auch einen andern langgehegten Wunsch erfüllte: das Rentamt in Fürstenau. So kommt es zu dem Kuriosum, dass eine Zeitlang zwei katholische Merings einem evangelischen Bischof von Osnabrück dienen: Der Priester Henrich als Propsteiverwalter von Bonn und der Verwaltungsbeamte Caspar als Rentmeister von Fürstenau.

1683 stiftete Henrich nach dem Vorbild eines Altars in Rom und eigenem Entwurf den schwarzen Marmoraltar für das romanische Gerokreuz im Kölner Dom. Die über die Ausdruckskraft der mittelalterlichen Holzplastik heute staunenden Touristen beachten diesen pompösen Rahmen kaum. Und die Domführungen strafen den Marmor als "barocke Zutat" ab. Aber der Altar trägt nicht nur das Kreuz, er präsentiert es bis heute dem Beschauer. Vielleicht ließ Henrich im gleichen Jahr die Portraitbüste für sein eigenes Epitaph anfertigen. Sie sieht aus wie Bronze, ist aber aus mit Gips gefülltem Bleiguss und mit gelb gefärbtem Schellack überzogen. Der Barock liebte Imitationen. Vielleicht zeugt es aber auch von Henrichs persönlicher Bescheidenheit, ihm war das Gerokreuz wichtiger als eine echte Bronze-Büste. Das Portrait zeigt Henrich Meringh als gewichtigen Mann in den besten Jahren, nicht als Greis.

Sein Lebenslauf bis dahin hat etwas fast Müheloses. Die Jugendfreundschaft mit den hochadeligen Gebrüdern Fürstenberg aus den Münsterer Tagen kommt Henrich zugute. Sie ziehen nach und nach, je sonderbarer der Erzbischof von Köln wird, die politische Macht im Kurfürstentum an sich, Wilhelm Egon von Fürstenberg wird sogar Koadjutor, das bedeutet offizieller Stellvertreter des gemütskranken Fürsten. Meringh dient ihnen loyal und sie unterstützen ihn in jeder Hinsicht, auch finanziell. Ein geehrtes, gesichertes Alter scheint Henrich bestimmt.

Aber die Bischofswahl 1688 bringt ihm auch noch die Erfahrung, dass mit der Welt nicht gut Kirschen essen ist. Am 3. Juni 1688 war der Kurfürst Max Heinrich von Bayern gestorben. Der Papst weigerte sich, Merings Freund, den Koadjutor Wilhelm von Fürstenberg, zum neuen Erzbischof zu bestätigen. Er hatte seine Gründe. Selbst als Papst mochte er nicht zwischen zwei mächtige Throne geraten. Kaiser Leopold I. von Österreich wollte auf dem Kurfürstenstuhl in Köln einen treuen Reichsvasallen, Joseph Clemens von Bayern, sehen. König Ludwig der XIV. von Frankreich hoffte über Wilhelm von Fürstenberg, der zugleich Bischof von Straßburg war, Einfluss auf die nächste deutsche Kaiserwahl zu bekommen. Max Braubach schreibt: "Die Entscheidung lag in den Händen der 24 stimmberechtigten Kölner Domherren, die damit geradezu europäische Bedeutung gewannen." Er meint, dass im Mittelpunkt der Intrigen zwischen dem Todestag des alten Kurfürsten und dem Wahltermin am 19. Juli 1688 "diese von offiziellen und geheimen Agenten der großen Mächte mit allen Mitteln bearbeiteten Kapitularen standen."

Noch einmal, wie in den Münsterer Tagen, kommt Henrich Meringh mit der großen Politik in Berührung, diesmal nicht nur als Begleiter. Er muss sich entscheiden. Wahrscheinlich weiß er, dass es gefährlich ist. Das Domkapitel hatte das Recht, einen Kandidaten zu postulieren. Als ältester der Priesterherren stimmte Mering im Domkapitel für seinen Jugendfreund und Gönner von Fürstenberg, verkündete persönlich im Domchor "alta et intelligibili voce" die Postulation. Das ging nicht gut. Genaugenommen hatte Fürstenberg mit 13 Stimmen die Wahl nicht gewonnen, auch wenn sein Gegner nur 9 Stimmen hatte. Der Kaiser und der Papst ernannten den 19jährigen Bayernprinzen. Und Ludwig XIV. marschierte mit seinem Heer ins Rheinland ein. Es gab Krieg!

Im April 1689 musste Henrich Meringh von Köln nach Straßburg fliehen. Er wurde aller seiner Ämter und Pfründen entsetzt. Da mag er wohl verzagt sein, vielleicht gefürchtet haben, elend und arm im Exil zu sterben. Immerhin war er bei dieser Flucht schon 69 Jahre alt. "Aber kurz darauf ließ er doch durch seinen Bruder, den Kölner Professor der Medizin Theodor Mering Verhandlungen mit (dem Kanzler) Karg anknüpfen, die zu seiner Unterwerfung führten: in den ersten Tagen des September erschien er wieder in Köln. Hervorgetreten ist er seither nicht mehr". Der letzte Satz stimmt nicht ganz. Doch die Begnadigung des reuigen Kanonikers Mering vom 7. Oktober 1689 ist in den Akten erhalten. Sie besagt, "dass nach nunmehr Von H. Apostolischen Stuhl erhaltener absolution und rehabilitation ad praesens(?) Sie in Ihren Vorigen functionen und stellen in der hofg(?) hohen thumbsKirchen tam in choro quam in Capitulo retinirt werden mögen."

Vielleicht hat er nach diesen bitteren Erfahrungen die 2,20 m hohe Platte aus belgischem Marmor für sein Epitaph anfertigen lassen, in deren Mittelpunkt steht: MEMORARE NOVISSIMA TUA - bedenke dein Ende! und darunter das Mering'sche Wappen, die älteste Darstellung von der Taube im Schlangenring, die mir bis jetzt bekannt ist. Darum schlingt sich der Wahlspruch: QUAE ULTRA ME NON ANGUNT - PATIENTER CANDIDE. Dass mich das Jenseitige nicht ängste - geduldig und redlich! Mit dieser Haltung scheint er gut gefahren zu sein.

1696 soll Henrich Mering in Mainz an den Unionsversuchen mit den Protestanten teilgenommen haben. Im selben Jahr stiftete er im Bergischen Land an der Grenze zur evangelischen Mark eine sogenannte "Mission" "de propaganda fide in partibus haereticis". Am 7. September 1696 überließ er den Franziskanern zu Wipperfürth ein Kapital von 200 Goldgulden nebst rückständigen Zinsen, zusammen 300 Reichstaler, das bei dem Freiherrn von Wendt zum Krassenstein stand. Dafür sollten die Mönche in den Kapellen zweier Herrenhäuser regelmäßig Messen lesen für die unter den Evangelischen verstreuten Katholiken, Katechese halten und die Beichte hören. Die weitere Sorge für diese Mission legte er seinem Neffen und Patensohn Heinrich Friedrich von Mering, dem ältesten Sohn seines Bruders Theodor, ans Herz.

Dieser Neffe war 1693 zum Priester geweiht worden, er hatte ebenfalls kirchliches und weltliches Recht studiert. "Im Dezember 1698 verzichtete der Greis auf seine Dompräbende, nachdem er die Nachfolge seinem Neffen Heinrich von Mering gesichert hatte". Damals, so vermutet man im Zentral-Dombau-Verein, ließ er den Rahmen für sein Epitaph aus schwarzem belgischem Marmor im Dom aufhängen. Nun konnte er täglich während seiner Andacht am Kreuzaltar lesen: MEMORARE NOVISSIMA TUA! Achtzig Jahre sollte er alt werden.

Am 4. April 1700 ist Henrich Meringh gestorben und im Kölner Dom vor dem von ihm gestifteten Altar begraben worden. Sein Neffe ließ, wie versprochen, das vorgefertigte Portrait und das Sterbedatum in das Epitaph einfügen. Jedes Mal, wenn ich in Köln ankomme, gehe ich in den Dom und begrüße meinen Verwandten. Dann betrachte ich sein vorsichtig hoffnungsvolles Lächeln, das dem Gekreuzigten gilt: QUAE ULTRA ME NON ANGUNT.

Henrich Mering hat eine Spur hinterlassen, die seiner Familie einen Maßstab setzte. Manchen Nachfahren ist er Ansporn zu nützlichem Streben, manchen Anreiz zur Hochstapelei geworden. Steinhuber lobt ihn: "Er war ein Mann von großer Klugheit, echt priesterlicher Tugend und seltener Gelehrsamkeit." In den französischen Gesandtenberichten der 1670er und 1680er Jahre soll er laut Braubach als "bon homme" und eines der trunkfestesten Mitglieder des Kölner Kapitels bezeichnet worden sein. Braubach selbst tadelt ihn: er habe seit längerem eine Fürstenberg'sche Pension von 400 Talern bezogen, sei also bei der Wahl 1688, bei der für das Reich so viel auf dem Spiel stand, käuflich gewesen. Allerdings bemerkt er auch anerkennend, dass der Domherr "anscheinend sehr kunstliebend" war.

Ich, eine geborene von Mering, blicke nachdenklich zum Epitaph im Dom empor. Henrich Meringhs Bildnis zeigt eine barocke Figur: einen verhältnismäßig großen, wohlbeleibten Mann mit starker Nase, energischem Kinn und fleischigen glatten Wangen. Ein wohlwollendes, offenes, genussfreudiges Wesen ist ihm zuzutrauen. Essen, Trinken, Kunst, Geselligkeit und Freundschaft mögen diesem Mann viel bedeutet haben, dazu brauchte er Geld. Der Reichsgedanke hingegen lag ihm eher fern. Henrich Meringh, am Rhein geboren, erzogen in Rom in unmittelbarer Umgebung des Papstes, viele Jahre in Diensten des päpstlichen Nuntius Chigi, Kommissar zweier Fürstbischöfe, Hofgerichtspräsident, befreundet mit den französischen Gesandten, hat vielleicht zuerst an sich, dann an die römische Kirche und eventuell noch an seine Vaterstadt Köln gedacht. Den habsburgischen Kaiser in Wien hat er womöglich nicht leiden können.

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