Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gewesen. Und zwar in der Abteilung Medizin und Handwerk. Als ich in die Abteilung hineinging, sagte ich zu der Aufsicht, die mir freundlich die Tür aufdrückte: "Ich will zum Handwerk, denn die meisten meiner Vorfahren sind Handwerker gewesen." Die Dame lachte: "Meine auch! und auch ich bin Handwerkerin." Stimmt das für mich überhaupt? Schon wahr: Mein ältester Vorfahr aus Nürnberg soll Schuster gewesen sein, mein ältester Vorfahr aus Frankfurt am Main ein Windenmacher, Windenmacher waren sie dann in Leipzig. In Halle suche ich nach dem Sanduhrmacher, in Artern waren sie Glaser oder Bäcker, in Großbreitenbach Metzger oder Fenstermacher, in Wölfis Zimmermann oder Böttcher, in Pirna Nadler, in Dippoldiswalde Schwarzfärber oder Sattler, in Thorn Kupferschmiede oder Rotgerber, in Lissa Bäcker, in Kobylin und Guhrau Windmüller, Seiler oder Hutmacher. In Bromberg war unser erster Vorfahr zunächst Stadtchirurg. .
In Ipsheim und Bacharach waren sie Schlosser.
In Zweibrücken war unser Vorfahr Bäcker, in Kirchheimbolanden Häffner. Diese Handwerker haben sicher Zünften angehört und eine Ausbildung bei einem Meister gemacht. Das gilt auch für den Rudolstädter Jäger und die ersten Lehrer an öffentlichen Schulen. Sie lernten jeweils bei einem erfahrenen Mann ihren Beruf. Erst ab 1800 gab es für die Lehrer auch Ausbildungsstätten. Eine der ältesten sind, so weit ich weiß, die Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale.
Aber wie war das mit den Fuhrleuten in Struth und den Händlern in Großbreitenbach im Thüringer Wald? Musste man zu diesen Berufen nur gesund und geschickt sein? Und die Bergleute und Hüttenmeister im Mansfelder Land oder in der Pfalz? Einfach eingetreten und angelernt? Aber auch da gab es Familiendynastien und Berufsstolz, lese ich. Händler und Hüttenmeister brauchten wohl auch ererbtes Vermögen. Ererbtes Vermögen oder zumindest gut verdienende Eltern brauchten sicher die, die studiert haben. Bei meinen Vorfahren vom 16. bis 19. Jahrhundert waren das nicht so viele. Da sind die Pastoren des Liebscherstammes in Sachsen-Anhalt, die Priester und Ärzte von Mering in Rheinland-Pfalz und die Ärzte Behn in Preußen. Deren Eltern oder Großeltern waren (auch) Kaufleute, so viel ich weiß. Die Ärzte in Preußen konnten wohl bei der Ausbildung auf staatliche Förderung hoffen.
Was mich schon oft beschäftigt hat, ist die Frage, warum aus meinen Handwerkerfamilien keine Unternehmer hervorgingen, als die Gewerbefreiheit einsetzte. Sie wurden vielmehr Angestellte oder Beamte: Lehrer, Pastoren, Ärzte, Bahnbeamte, auch Offiziere. Heute haben viele studiert. Und sie sind bis heute, was auch die Handwerksmeister waren: Bürger.