Am 11. Juni 1996 war ich zum ersten Mal im Landeshauptarchiv Koblenz, um in den Akten von Andernach nach den Spuren der Familie Mering zu suchen. Abends saß ich, ermüdet und ein wenig verwirrt, im Weinhaus am Rheinufer und schaute auf den Strom, der für die Merings in Andernach so wichtig gewesen war.
Ganz zufällig ergab sich ein Gespräch am Tisch mit drei Koblenzern, die natürlich gleich hörten, dass ich hier fremd war. Ich erwähnte mein noch junges Hobby, die Familienforschung. Eine der Frauen war sofort wie elektrisiert: "Familienforschung Mering? Sie müssen Reinhold Mering treffen, unbedingt. Berufen Sie sich auf mich!" sagte sie und gab mir ihren Namen und die Telefon-Nummer seiner Firma.
So wurde ich mit Reinhold Mering bekannt, einem Onkel dritten Grades von meines Vaters Seite. Mein Vater hat diesen Vetter sicher nicht gekannt. Zwar waren ihrer beider Väter in Koblenz geboren (1874 und 1888) - aber meines Vaters Großeltern hatten evangelisch geheiratet und verließen Koblenz schon 1876 Richtung Bonn und später Köln. Das Leben war hart genug. Zwei Kriege kosteten Vermögen und Blut.
Es blieb dem gemeinsamen Interesse der späten Nachfahren vorbehalten, die Familien-Fäden zusammen zu führen. Schon im Herbst 1996 besuchten mein Mann und ich Reinhold in seiner Firma und wurden auch in seine Wohnung auf der Karthause eingeladen. Wir sahen mit eigenen Augen die Glastür mit dem Mering'schen Wappen. Später haben wir nur noch schriftlich oder telefonisch korrespondiert. Denn Reinholds Hauptinteresse galt seiner Firma und der lebenden Familie. Aber immer, wenn ich mich meldete, freute er sich sehr. Er fragte nach meinen Fortschritten und wollte alle meine Veröffentlichungen lesen. Er stellte mir seine Urkundensammlung zur Verfügung und regte weitere Nachforschungen an.
Dass die Familiengeschichte solch ein Flickenteppich ist, mit so vielen Versagern darin, gefiel Reinhold nicht. Gerne hätte er alles in einer stringenten und leuchtenden Formel zusammengefasst. Gerne hätte er auch mehr über die geistlichen Söhne der Merings erfahren. Da musste ich ihn enttäuschen. Aber er entzog mir nie sein Wohlwollen. Seine Briefe enthielten immer herzliche Ermunterungen, nach dem Unmöglichen zu streben, um das Mögliche zu erreichen.
Am 19. August 2014 ist Reinhold Mering im Alter von 90 Jahren verstorben. Ich traure um einen echten Mering.