- Christa Lippold
- Die Mering-Saga
- Mering - 19. Jahrhundert
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Mein Vater Eberhard von Mering nannte ihn „Onkel Rudi“. Aber Rudolf Hammer war nicht mit meinem Vater verwandt wie die Onkel aus der Mering- oder der Eberhardt-Sippe. Hammer war ein so genannter „Nenn-Onkel“. Kinder und Jugendliche damals mussten Menschen der Elterngeneration mit dem Titel „Onkel“ oder „Tante“ anreden, wenn sie diese Erwachsenen duzen durften. Das war selbstverständlich und keine persönliche Entscheidung. Einfach nur den Vornamen zu gebrauchen, wäre respektlos gewesen.
Rudolf Hammer war am 31.8.1882 in Hohenstein/Ostpreußen geboren und hatte seine Jugend in Königsberg verbracht. Dort hatte er auch an der Kunstakademie studiert. Danach hatte er in München und Berlin, in Madrid und Paris malen und lernen können, ganz anders als mein Großvater Carl, der, acht Jahre älter, nie aus dem Rheinland hinausgekommen war.
Im Nachlass meiner Mutter Ruth von Mering, geb. Liebert, haben wir drei Kinder die Briefe unseres Vaters Eberhard von Mering gefunden. Sie hat sie alle treulich verwahrt, aber nach seinem frühen Tod als Soldat im II. Weltkrieg nie wieder gelesen.
Wir kennen unsern Vater nicht, denn ein kleines Kind kann einen erwachsenen Menschen nicht kennen, auch wenn es seine Fürsorge in den ersten Lebensjahren genießt. Wir lernen ihn aus seinen Briefen kennen, die er während einer siebenjährigen Verlobungszeit zweimal die Woche an unsere Mutter schrieb.
Von November 1933 bis März 1936 war unser Vater Vikar im Westerwald: zuerst im Pfarrhaus Betzdorf/Siegen, dann in Altenkirchen und zuletzt in Hilgenroth.
Die folgenden Briefe beschreiben seine Zeit in Altenkirchen vom 1. April bis Ende November 1934. Sie zeichnen seine Entscheidung für die Bekennende Kirche nach. Und sie sind zugleich eine Quelle für den Kirchenkampf im Westerwald. Sein Lehrherr war der Synodalassessor Pastor Heckenroth, NSDAP-Mitglied.
Die Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten in Altenkirchen, dem Pfarrer und Synodalassessor[1]. Ludwig Heckenroth, der Mitglied der NSDAP ist und mithin das Deutschchristentum[2] vertritt, macht Eberhard sehr zu schaffen. Starken Rückhalt findet er bei den Gemeinschaftschristen in Michelbach, die zwar zur Landeskirche gehören, aber die Verflechtung mit dem Staat missbilligen.
Gegensätzlich erlebt Eberhard die beiden Ausprägungen des Christentums sowohl in der Art der Bibellese als auch - und fast noch mehr - in der Art des täglichen Umgangs miteinander. Das Leben im Pfarrhaus erscheint ihm "kalt", das auf dem Bauernhof Otto Schneiders als "warm".
Eberhard schwankt lange. Er weiß von Anfang an, dass ein Übergang zur Bekennenden Kirche[3] seine Laufbahn gefährdet, ja, ihn vielleicht die Berufung in ein Pfarramt kosten kann. Das würde seine Eltern schwer enttäuschen, die mittellos, wie sie sind, auf seine Anstellung große Hoffnungen setzen, und - schlimmer noch - es würde seine Heirat mit Ruth Liebert verhindern, nach der er sich seit 5 Jahren sehnt.
In den Briefen erleben wir sein Schwanken mit. Wir lernen ihn gut kennen, da er seine Gedanken und Gefühle sehr offen seiner Braut anvertraut. Das "Arier raussuchen", wie er die Arbeit an den Kirchenbüchern nennt, hasst er geradezu. Die Pfarrämter als Besitzer der Kirchenbücher sind verpflichtet, die standesamtlichen Daten herauszusuchen, mit denen die Bürger beweisen können, dass sie keine jüdischen Vorfahren haben, sondern „Arier“ sind. Eberhard ist sich offenbar bewusst, dass er damit zur Diskriminierung von jüdischen Deutschen beiträgt.
Wir merken beim Lesen, wie wenig der junge Mann erfährt über die politische Lage und die mühevolle Gestaltwerdung der illegalen Bekennenden Kirche. Noch als er im 2. Examen steht, ist über die Prüfer und den Prüfungsort nicht endgültig entschieden. Die Bekennende Kirche verteilt ihre Nachrichten überwiegend mündlich, damit der Staat ihr nichts nachweisen kann. Einige Pfarrer sind schon als Staatsfeinde verhaftet. Als gesellige „Kaffeekränzchen“ getarnte Pfarrversammlungen dienen zur Information an die Mitglieder. Entsprechend sind auch die B.K.-Pfarrer nicht immer auf dem gleichen Informationsstand. Dazu ist ihre Bewertung der Nachrichten unterschiedlich, es wird viel gestritten, was nicht nur Eberhard als beängstigend empfindet.
Es braucht das Verbot einer von Eberhard mit vorbereiteten "Bekenntnisversammlung"[4] in Altenkirchen, um den jungen Vikar Ende November 1934 zum Absprung von der Landeskirche zu bewegen. Bei Nacht und Nebel zieht Eberhard von Mering aus dem Pfarrhaus in Altenkirchen aus. Das Konsistorium in Koblenz[5] entlässt ihn daraufhin aus dem Lehrvikariat. Damit ist Eberhard ganz auf die Bekennende Kirche angewiesen.
Das Pfarrhaus in Hilgenroth wird sein neues Zuhause, Pfarrer Korst hat sich der B.K. angeschlossen.
Das Vikariat in Hilgenroth schildern die Briefe vom 1. Dezember 1934 bis Anfang März 1936. Es sind sehr private Briefe. Sie dienen der wichtigen gegenseitigen Information eines Liebespaares, das fast ständig getrennt ist und unter familiärem und politischem Druck steht. Gerade deshalb aber sind sie eine historische Quelle darüber, wie die evangelische Kirche in der Rheinprovinz auf die wachsende Macht des Dritten Reiches reagierte. Und sie schildern den Westerwald der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Die Briefe enden mit der Abreise Eberhard von Merings ins mündliche Examen bei der Bekennenden Kirchenleitung in Barmen.
Briefe aus Hilgenroth an Ruth, Dez. 34
1.12. 34
Mein Liebstes! Heute kommt mein kurzer, aber besonders herzlicher Adventsgruß aus meiner neuen Heimat Hilgenroth. Seit Donnerstag bin ich hier. Unsere Bekenntnisversammlung am Mittwochabend hat mein ehemaliger (!) Chef hintertrieben; sie wurde 1 ½ Std. vor Eröffnung verboten. Er hatte alles getan, um dies Ziel zu erreichen. Die Gemeinde ist furchtbar aufgebracht und empört gg. ihn. Keiner will mehr in seinen Gottesdienst kommen; die ganze Sache soll gerichtlich verfolgt werden. Wir waren zuerst ganz verwirrt, als das Verbot herauskam. Ich hatte nachmittags eine Silberhochzeit mitgefeiert und kam dann zu Müllers, um mit Pfr. Zunn in die Versammlung zu gehen. Otto öffnete mir und sagte gleich: Verboten! Ich wusste nicht, wie mir geschah. Wir gingen aber doch hin. Ungeheure Volksmengen waren versammelt. Man schimpfte laut über H. (Pfarrer und Synodalassessor Ludwig Heckenroth, NSDAP-Mitglied). Ich wurde gleich von Freunden umringt und ausgefragt. In Begleitung von einem F. A. Listen ging ich ins Pfarrhaus und holte meine nötigsten Sachen für die Nacht heraus; ich wollte nicht mehr mit H. zusammentreffen. Als ich hereinkam, spielte oben laut das Radio; wahrscheinlich wollte er sein Gewissen übertönen! Wir knallten laut die Türen zu. Bis 12 Uhr saßen wir noch mit Pfr. Zunn bei Müllers zusammen. Dann ging ich mit Otto[6] heim. Am Do. morgen brachte ich meine Sachen zu Müllers u. fuhr nach dem Essen mit dem Rad nach hier. Otto bringt mir heute die Sachen mit dem Fuhrwerk. – Hier wurde ich mit großer Freude u. Herzlichkeit aufgenommen. Pfr. Korst ist furchtbar elend; er hatte drei Tage fast nichts gegessen und kann es vor Schmerzen nicht aushalten. Sein Stöhnen u. Erbrechen ist furchtbar. Gestern abend saßen wir (Frau Pfr. Frl. König (Cousine) Hans-Hermann (Sohn, 15 Jahre) u. ich) zusammen neben dem Schlafzimmer. Es war fast unerträglich, den armen Pfarrer so leiden zu sehen. Morgen vertritt ihn Pfr. Brinken, nächsten Sonntag habe ich den Gottesdienst; Pfr. Korst soll sich jetzt schonen; ich will alles tun, was ich kann: Büroarbeit, Hausbesuche, Unterricht etc. Wenn ich ihm nur etwas Erleichterung schaffen kann. Am liebsten möchte ich ihm die Schmerzen abnehmen; er ist solch feiner, lieber Mensch. – Morgen Mittag fahre ich nach Altenkirchen, abends ist Stunde[7] bei Müllers, ich übernachte bei Otto wieder u. fahre Montag früh wieder her. Do. abend war ich in Hamm (Sieg) zur Bekenntnisversammlung. Stoltenhoff[8] sprach sehr fein. Ich habe nachher mit ihm u. vielen Pfarrern u. Freunden (auch Otto) zusammen gesessen bis 1 Uhr; ich konnte in Hamm übernachten. Von Geller (Pfarrer an der Lutherkirche Marburg, B.K.) kam ein feiner Brief; er kennt Dich u. will mal zu Euch kommen. Was mögen sie zu Hause über meinen Schritt sagen! Ob man mich versteht? Stoltenhoff war sehr herzlich zu mir u. lud mich ein, ihn mal zu besuchen. Dies nur zum Advent. All meine Liebe gehört Dir….
… gleich 11 Uhr …eben aus meinem lieben Michelbach zurückgekommen. Da ist mir immer etwas wehmütig im Herzen. Hier bin ich noch so fremd und es fehlt noch alle Liebe, die ich dort in so reichem Maße habe. … Otto kam mir gleich entgegen mit deinem lieben Adventspaket… Wie reich und glücklich machte mich Dein mutiger Brief, Dein Gedichtchen, das blaue Lesebändchen „Dennoch“! Ja, wenn wir immer bei diesem „Dennoch“ bleiben, dann stehen wir richtig. Ach, und heute bin ich so verzagt und weiß nicht warum! Ich sehne mich nach irgendetwas, und weiß nicht, was ich eigentlich will. … Deine Stellung zur Bekenntniskirche (B.K.) war mir eine herzliche Freude. … auch den lieben Eltern danke ich von ganzem Herzen für ihr Verständnis. Nun kann ich getrost meinen Weg weitergehen. Vielleicht ist es Dir auch gelungen, die Eltern in Rodenkirchen etwas umzustimmen. Aber sie leben leider zu wenig in der Kirchenpolitik, als dass sie vollständiges Verständnis haben könnten. Ich warte jetzt sehr auf Nachricht von daheim; vielleicht kommt heute Post.
Du wolltest noch etwas über die Vorgänge in Altenkirchen wissen. .. Pfr. H. hatte sich hinter die Kreisleitung gesteckt, um die Versammlung zu hintertreiben. Eine riesige Volksmenge von nah und fern hatte sich angesammelt, musste aber wieder heimgehen. Überall wurden Protestrufe laut, besonders über H. zog man her. Wir gingen mit Pfr. Zunn wieder zu Müllers. Zwei andere Pfarrer aus der Synode waren noch da. Sofort wurde eine Beschwerde an den Regierungspräsidenten losgelassen. Was nun erfolgt, ist noch nicht klar; jedenfalls wird alles getan, um H. unmöglich zu machen. Man will ihn nicht mehr in der Gemeinde haben. – Ob ich Weihnachten kommen kann, ist jetzt sehr fraglich geworden, da ich doch Pfr. Korst sicher helfen muss. Wir überlegten gestern bei Schneiders, ob Du nicht jetzt mal wieder kommen könntest. Nun ist ja alle “Gefahr“ wegen H. beseitigt. Vielleicht lässt es sich im Januar mal machen. .. Schickst Du ihnen vielleicht auch einen Gruß… Du glaubst gar nicht, mit welcher Liebe sie immer von dir sprechen. Dein kurzer Besuch hat unauslöschlichen Eindruck gemacht.
.. Weihnachten nicht kommen.. Pfr. Korst soll sich möglichst schonen und ich soll bei allem dabei sein, um ordentlich zu lernen. Mir ist das natürlich sehr lieb. Nun haben Korsts den Vorschlag gemacht, Dich hierher zu bitten für die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr, dass Du also am Mittwoch oder Donnerstag ankämst u. bis Dienstag folgender Woche hier bliebst. Ich weiß nicht, ob es geht, bitte dich nur, mit den Eltern einmal zu überlegen. Sieh, es ist hier ein anderes Pfarrhaus als in A., hier ist die Liebe daheim u. ich gehöre ganz zur Familie. Dann könnten wir wenigstens nachträglich unsern Verlobungstag zusammen feiern. Ich wäre ja überglücklich, wenn es geraten würde.
… Vater hat mir nämlich einen recht groben Brief geschrieben; er hat so gar kein Verständnis für meine Stellung. Omi hat ganz nett geschrieben, obwohl auch sie meint, der Bekenner sei kein Nazi! Ich finde diese Behauptung so furchtbar naiv und unüberlegt, und habe ihr gleich einen Brief geschrieben, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. – Morgen kommt Otto her zu meinem Gottesdienst. Wir gehen dann zusammen „Heim“. Denk Dir, Herr Müller hat dafür gesorgt, dass ich die 25,- M[9] noch wieder erhalte!
… Weihnachtswünsche, -organisation… in Vertretung für meinen kranken Chef. So lerne ich schnell die Gemeinde kennen. Man wird überall mit herzlicher Liebe aufgenommen. Schmerzlich ist mir nur, dass ich Weihnachten nicht nach Hause kann. Ich werde den Hl. Abend in Michelbach zubringen. Hier wird Weihnachten erst am 1. Feiertag angefangen, da kann ich also gut fort gehen. Das Pfarrhaus ist hier viel großzügiger als das Altenkirchener, man merkt deutlich, dass die Pfarrfrau aus einem Großkaufhaus stammt, mir wird sehr viel Freiheit gelassen bei aller Arbeit, die ich habe. Gegen meine Besuche in Altenkirchen hat keiner etwas. Frau Pfarrer sagte mir gestern, als ich von M. heimkam: Nein, was ist der Herr Schneider für ein vornehmer Mensch, dem hätte ich niemals den Bauern angesehen; da können sie aber wirklich stolz sein, solch einen Freund zu besitzen. Ja, das bin ich aber auch! Aber über dem Stolz steht doch die Freude und das Glück, solch einen lieben Menschen Freund nennen zu dürfen. Da bin ich Vater sehr dankbar, dass er Heckenroth so gründlich die Meinung gesagt hat; aber man kann mal wieder sehen, wie gemein dieser Kerl ist, dass er alle möglichen Gründe suchte, um mich zu Hause schlecht zu machen. Na, das ist ihm wenigstens nicht gelungen. - …
Jetzt kam gerade Pfr. Korst zu mir und berichtete mir von einem Telephongespräch, das er gerade mit Pfr. Brinken-Hamm gehabt hat. Die D.C. haben mit dem Staat vereinbart, dass sie noch bis zum 13. Januar, also bis zur Saarabstimmung, Ruhe halten wollen, dann soll der endgültige Kampf mit der B.K. aufgenommen werden. Was dann wird, wissen wir noch nicht, aber mein Chef meint, dass es dann hart auf hart geht, dass wir dann auch vielleicht hier aus Hilgenroth heraus müssten. Aber wir werden fest bleiben und tapfer zusammen halten, es macht mir jetzt direkt Freude, in den Kampf hinein zu gehen, wo ich mit einem Bundesgenossen kämpfen kann. … Vaters Brief an H. lege ich Dir mal bei, vielleicht schickst Du ihn gelegentlich an die Eltern zurück. Ich bin Vater sehr dankbar für seine Ausführungen, wenn auch der erste Teil immer noch zeigt, dass er kein Verständnis für die B.K. hat.
Wie froh bin ich, dass Ihr so mutig seid und beitretet. Das ist mir eine große Stütze.
… Über Treffen in Betzdorf oder Siegen…über Besuch daheim … über Weihnachten …
Pfr. Korst ist jetzt wieder ganz gesund und munter, wir können schön zusammen arbeiten. Heckenroth hat schon wieder einen neuen Vikar. Schade!
Mein Liebstes! Nun ist der schöne Traum schon ausgeträumt und es ist Alltag geworden. Wie lange hatte ich mich auf dies Wiedersehen gefreut und wie schnell war es vorüber. Gewiss, wir wollen dankbar sein für die wenigen Stunden, die Väterchen uns möglich gemacht hat und ich bin’s auch von ganzem Herzen. Aber es bleibt dennoch der Schmerz der Trennung. … Weißt Du, als ich Dich das kleine Treppchen an dem alten Turm in der Nähe des Friedhofs heruntersteigen sah, da dachte ich: Dagegen kann selbst die Königin Luise nicht ankommen … Weißt Du, was man hier in Hilgenroth erzählt? Ich hätte eine Baronin zur Braut. Wie man darauf gekommen ist, weiß ich nicht. Vermutlich hat unser Friedchen von dem Bild erzählt und daraus geschlossen, Du seiest ein hohes Tier. Und wenn sie mich fragten, ob das wahr wäre, dann würde ich sagen: Nein, eine Baronin ist noch gar nichts dagegen. Eine Königin habe ich als Braut und ich werde dereinst mit ihr in mein Königreich ziehen, wo wir in überschwänglichem Glück zusammen leben werden. - … Korsts haben 7 Jahre aufeinander gewartet, wir tun’s auch schon 5 und vielleicht werden’s noch mehr als 7, aber das eine weiß ich jetzt: Die Liebe höret nimmer auf! – Wie kläglich sind Worte! … Väterchens Besuchsverbot ist mir erst hinterher schwer auf die Seele gefallen. Ich hätte dich so gerne mal hier gehabt. Aber ich werd nicht drängen.
Zeitmangel: … ich kam gestern erst um 11 Uhr von Altenkirchen zurück, musste dann verschiedene Arier heraussuchen und nachmittags um 2 Uhr kamen fünf Michelbacher Jungens mich hier besuchen. Da musste ich ihnen meine ganze Zeit widmen, und sie fuhren erst um ½ 8 wieder heim. Nach dem Essen habe ich im Familienkreis gesessen bis 11 Uhr und da war es natürlich auch zu spät, um noch einen Brief zu schreiben; leider macht sich bei mir heute auch die Grippe bemerkbar. Ich habe ganz grausame Kopfschmerzen und kann kaum richtig aus den Augen gucken. Aber heute soll endlich der Brief geschrieben werden; heute abend um 6:35 Uhr geht es nach Hause! Ich freue mich jetzt ganz doll darauf. Es ist ja leider nur sehr kurze Zeit, aber bis Sonntag ist doch besser als garnichts. Von 2 – 4 habe ich noch Unterricht, dann wird der Koffer gepackt. … nichts desto trotz will ich gleich noch ein paar Arier heraussuchen. Das ist ja hier meine üblichste Beschäftigung. – Meine Predigt am Neujahrstag hat Pfarrer Korst sehr gut gefallen; sie war nur wieder etwas zu lang; wieder etwa eine halbe Stunde, und er möchte sie nicht länger haben als 22 Minuten. Ich weiß aber nicht, wie ich das mit der Zeit so richtig herauskriegen kann. Um 1 Uhr kam meine Neujahrspost, die mich diesmal sehr reichlich bedachte. Da kamen Karten von Vater und Mutter, von Tante Else, von Hermann Schätzke, von Winterbergs, von einem Presbyter aus Betzdorf und als schönstes (last not least) Dein Brief mit dem feinen Gedichtchen, an denen ich mich nicht satt lesen konnte. … ich will mir ja nichts besonderes einbilden (fehlerfrei sind wir ja auch nicht), aber ich mein doch, eine solch ideale Brautzeit und hoffentlich auch Ehe wie die unsere gibt es nicht noch einmal. …Insel der Seligen .. die von dem Reichtum ihres Glückes nun auf die Welt mit ihrem Sorgen und Hasten überträgt. So habe ich mir früher immer meine Zukunft gewünscht… Mir wird jetzt täglich deutlicher, dass wir unser Glück nur Gott zu verdanken haben. Ich spüre so oft seine helfende Hand…. Ich habe jetzt täglich meine kleine Morgenandacht, die darin besteht, dass ich erst die Losung lese, dann das Kalenderblatt des Neukirchener Abreißkalenders und zum Schluß ein Lutherwort aus Deinem lieben Kalenderchen. … viel Segen für den ganzen Tag; und ich möchte auch, daß ich täglich wachse in der Erkenntnis und der Liebe unseres Heilandes, damit Gott mich zum Segen werden lässt für Dich und für meine spätere Gemeinde. – Manchmal bin ich doch noch sehr unzufrieden mit mir selbst, weil noch so entsetzlich viel Menschliches, ja allzu Menschliches in mir lebendig wird. Dann meine ich, ich sei doch nicht der geeignete Mann, um Gottes Wort verkündigen zu können. Ich möchte mich noch viel mehr in der Gewalt haben; und dann ärgere ich mich wieder, dass Pfarrer Korst auch nicht der Mann ist, den ich mir als idealen Lehrer gewünscht hatte. Er führt so gar kein Gebetsleben, er hat so gar nichts besonderes an sich, was ihn nun gerade als Pastor kennzeichnet, im Gegenteil, in seinen Erzählungen und Ausdrücken ist er wenig wählerisch. Es gibt doch sehr wenig Pfarrer, die ihren Namen mit Recht tragen. Ich will damit nicht sagen, daß ich es vor den anderen tue, aber ich habe doch wenigstens eine andere Vorstellung von einem Pastor als man sie so im Durchschnitt findet. Ein Pfr. Geller ist doch da etwas ganz anderes. So muß ein Pfarrer sein: in der Welt, aber nicht von der Welt. So waren all die Großen wie Christlieb, Krafft, Eichhorn, und wie sie alle heißen mögen, die nun wirklich auch mit Recht ihr Amt einnahmen. Und was war es eigentlich, was diese Männer so aus den anderen heraushob: Es war ihr Gebetsleben, mit dem sie täglich vor Gott standen und da hatte die Welt und der Fürst dieser Welt doch nicht mehr soviel Gewalt über sie. Wenn ich nur meinen guten Vorsätzen treu bleibe und mich nicht von Äußerlichkeiten abhalten lasse, den Weg zu gehen, den Gott für mich ausgesucht hat – und ich habe die feste Überzeugung, daß es Gottes Wille war, der mich Theologe werden ließ, sonst hätte ich in meinem Leben nicht so viele wunderbare Erfahrungen seiner gnädigen Durchhilfe machen können. So ist man dann nachher auch freudiger zu dem Dennoch des Glaubens bereit und scheut sich auch nicht, einmal Gefahren und Nöte um Gottes Willen auf sich zu nehmen. Und das ist meine Bitte für das Neue Jahr, daß ich in allem treu erfunden werde als ein rechter Haushalter Gottes. Ob noch Schweres kommt, weiß ich nicht. Es sieht augenblicklich so ruhig in unsrer Kirche aus, daß man beinahe etwas ängstlich werden könnte, es sei vielleicht die Ruhe vor dem Sturm. Aber es kann ja auch die Weihnachtszeit gewesen sein, die einen Burgfrieden veranlasste. Ich erwarte sehnsüchtig die nächsten Mitteilungen der Bekennenden Kirche. ….
5.1.35 … aus der Heimat (das kannst Du schon an der Schrift erkennen, nicht wahr?) …
Hilgenroth, den 7.1.1935: Mein liebstes, bestes Rütherchen! Nun sind die schönen Tage daheim schon wieder vorüber und ich sitze wieder in meinem Stübchen in Hilgenroth und mir ist zumut', als sei ich garnicht fortgewesen, als sei dieser Besuch schon in weiter Ferne. Und was hab' ich nicht alles erlebt in dieser kurzen Traumzeit! Wie schön waren die Stunden, die ich daheim mal wieder zubringen konnte! Davon muß ich jetzt wohl mal wieder lange Zeit zehren. Wer weiß, wann ich das nächste Mal heimkommen kann.....
Um 8 waren wir in Altenkirchen, wo uns Mutter Schneider an der Bahn abholte. Zuerst ging es noch schnell zu Müllers hinein, um unsere Erlebnisse zu berichten und dann ging es heim, da wir beide großen Hunger hatten. Bis 12 saßen wir noch zusammen und dann suchte jeder seine Heia auf. Heute morgen fuhr ich mit dem Zug bis Obererbach und schleppte dann treu und brav meinen schweren Koffer nach Hilgenroth. Nun ist alles wieder im alten Gleis. Pfr. Korst hat sich heute nachmitag mit einer Grippe zu Bett gelegt. Hoffentlich wird es nicht zu schlimm mit ihm; so etwas schlägt ihm gar zu leicht wieder auf den Magen. Heute Nachmittag hatte ich Bibelschar. 33 Jungen waren da. Anschließend machte ich noch zwei Hausbesuche. Bei den weiten Entfernungen kann man nicht viel schaffen. Nächsten Sonntag habe ich Jugendgottesdienst. Da soll vor allem die konfirmierte Jugend in die Kirche kommen; ich bin mal gespannt. Gesten sollen nur 65 Leute in der Kirche gewesen sein; ist das nicht trostlos? Das ist arg niederschmetternd. Aber die Wege sind hier auch erbärmlich schlecht. Diese Woche ist Gebetswoche in Altenkirchen. Ich will sehen, daß ich Donnerstag und Freitag hingehen kann. Donnerstag soll ich, wenn möglich, die Leitung der Stunde übernehmen. Da wird über die Mission gesprochen. Sonst ist diese Woche noch nichts Besonderes los. Nun Schluß, Liebes. Ottos Brief lege ich mit bei. Er hat sich so königlich über Deinen lieben Brief gefreut. Leb wohl, mein Rütherchen. Gott behüte Dich.
Brief von Eberhard an Edith Liebert
Hilgenroth, den 17. 1. 1935.
Mein liebes Mütterchen! Heute morgen soll es meine erste liebe Pflicht sein, daß ich Dir zu Deinem Geburtstag schreibe....
Da ist nun mein dritter Wunsch zu Deinem Geburtstag, dass ich recht bald vorwärts komme. Dieser Wunsch ist zugleich etwas sehr egoistisch und in meinem Interesse ausgesprochen, aber ich weiß auch, dass Du Dich sehr freuen würdest, wenn es mit mir weiterginge. Das müssen wir jetzt ganz besonders in Gottes Hände legen, da ich gar nicht weiß, wie sich meine Zukunft gestaltet. Ich bin da meinetwegen nicht in großer Sorge. Ich kann ja meine Pflicht auch so tun und meine Aufgabe der Wortverkündigung erfüllen; aber ich darf ja nicht nur an mich denken, oder besser: ich brauche nicht mehr nur an mich zu denken, sondern darf auch an mein Rütherchen denken und wenn ich das tu', dann werde ich immer ein klein bißchen ungeduldig und dann merke ich, dass das Warten auch eine Kunst ist, die gelernt werden muss. Man sollte ja eigentlich annehmen, ich hätte im Laufe der Jahre schon etwas mehr Geduld gelernt, wo die Zeit unserer Liebe doch beinahe nur eine Zeit des Wartens ist; aber da muss ich leider mal wieder meine völlige Missbegabung erkennen. Es gibt für mich manche Fächer, die "liegen" mir nicht und dazu gehört auch - das Warten.
9.2.35: Mein Rütherchen! Also mein Kommen ist sozusagen bestimmt. Wenn es irgend geht, komme ich schon Samstagabend an. Das schreibe ich aber noch in der nächsten Woche. Ich habe morgen und übermorgen zwei aufregende Tage: Morgen: Haupt – und Kindergottesdienst u. am Montag Katechese über Mt. 7, 24 – 29 im Bezirksseminar[10] zu Herchen vor Vikaren und Pfr. Hartig. Hoffentlich geht alles gut. Meine Predigt über Psalm 42, 1 – 6 befriedigt mich nicht so sehr. Gott gebe, dass sie offene Herzen findet. Die vergangene Woche verlief auch recht abwechslungsreich. Mittwoch morgen habe ich hier in Hilgenroth mal am Unterricht des Lehrers teilgenommen. Es war mir interessant, wie er die 8 Schuljahre zusammen unterrichtete. Mit der Art, wie er mit den Kindern umging, war ich nicht ganz einverstanden; sie war mir nicht kindgemäß genug. Da ist mir Pfr. Korst vorbildlicher; bei ihm war ich mittags im Konfirmandenunterricht. Am Donnerstag war ich zur Geburtstagsfeier einer 79jährigen Frau. Vor der ganzen Geburtstagsgesellschaft, die z.T. aus bekannten Altenkirchenern bestand, hielt ich eine kleine Feier über den 91. Psalm. Wir sangen zusammen das Geburtstagslied: Bis hierher hat mich Gott gebracht! Von dort ging ich nach dem Kaffee noch zu einem anderen Geburtstagskind, einem 84jährigen Mann, wo Korsts auch waren. Wir blieben zum Abendessen da; plötzlich kam Hans-Herrmann und meldet eine Nottaufe an. Pfr. Korst bat mich, sie zu halten, da es ihm zu spät und zu kalt war. Schnell holte ich daheim Talar und Agende und eilte hin, etwas über ½ Stunde Wegs. Das Kindchen hat Brechdurchfall u. Magenkrämpfe; aber die Hebamme meinte doch, es käme noch durch und ich hatte denselben Eindruck. Der Vollzug einer Nottaufe ist nur agendarische Form, daher bedurfte es keiner weiteren Vorbereitung dazu. Um 9 Uhr war ich wieder daheim. Gestern habe ich dann meine Katechese ausgearbeitet, die mir erst Donnerstag mitgeteilt wurde (!) und dann eifrig Predigt gelernt, was ich gleich auch wieder tun werde. Morgen Mittag geht es endlich mal wieder nach Michelbach. Seit Freitag vor 8 Tagen war ich schon nicht mehr da u. Otto sah sich schon genötigt, einen langen Brief zu schreiben. Geht es Dir gut, Liebes? Grüße
12,2. 35:
Mein liebstes Rütherchen! Noch vier Tage sinds, dann darf ich mich ins Zügli setzen und zu Dir fahren. Wie freu ich mich darauf, endlich wieder bei Euch sein zu dürfen, wenn es auch nur ein paar Tage sind. Aber das gibt doch sicher wieder Kraft, um wieder einige Wochen lang in Geduld Briefe zu schreiben. Diesmal soll's ausnahmsweise nur ein Kärtchen sein, weil ich in dieser Woche noch einiges an Ariern zu erledigen habe. Und vielleicht ersetzt mein Kommen dann den Mittwochsbrief. Meine Erkältung ist fast ganz weg; etwas Husten ist noch da, aber abgesehen davon fühle ich mich sehr wohl. Die Sonntagspredigt befriedigte meinen lb. Chef. Er war selbst mit im Gottesdienst. Dass ich über Ps. 42, 1 – 6 predigte, schrieb ich Dir wohl schon. Nachmittags ging ich bei dem schönen Sonnenschein zu Fuß nach Michelbach; Otto stand schon am Fenster u. wartete, weil ich so lange ausblieb. (Ich soll Dich von ihm und seiner Frau herzlich grüßen.) Wir blieben schön unter uns; nur eine Oma Zimmermann kam noch und sagte, sie meinte, sie müsste mich immer mal wieder sehen. Sie kommt fast jeden Sonntag, wenn ich da bin. Nach dem Abendessen gingen wir in die Stunde zu Müllers, die sehr gut besucht war. Als sie um ½ 10 zu Ende war, gingen Schneiders und ich noch mit nach oben und blieben bis ½ 1 Uhr! Hanna Müller hatte nämlich zur Überraschung einen 4-Früchte-Kuchen gebacken und einen guten Kaffee gebraut zur Erinnerung an Sylvester, wo ich ja nicht dabei sein konnte. Sehr gemütlich war's! Aber erst um ½ 2 waren wir glücklich im Bett. Der Schlaf war kurz; um 7 musste ich aufstehen, um nach Herchen zu fahren zum Bezirksseminar. Herr Müller fuhr bis Au mit, da er nach Hamm (Sieg) zu Pfr. Brinken wollte. Meine Katechese über Mt. 7 24 – 29 verlief glatt. Ja, ich erntete großes Lob wegen meiner klaren Durchführung und des kindgemäßen Unterrichts. Einer klopfte mir nachher auf die Schulter und sagte: Das war doch mal eine gute Katechese! Und das freut einen denn ja auch! – Morgen muß ich hier die Konfirmanden übernehmen, da mein Chef nach Essen zu einer wichtigen B.K.Sitzung muss. Heckenroth tritt übermorgen eine längere Mittelmeereise an; er ist als Schiffsgeistlicher für eine Arbeitererholungsfahrt „Kraft durch Freude“ eingeladen worden. Freitag habe ich Bibelstunde in Oelsen, von da will ich nach Altenkirchen zur Gebetsstunde und fahre dann Samstag, wenn mein Chef gesund bleibt, mit dem von Vater ausgesuchten Zug, für den ich herzlich danke. Gruss und Kuss Dein Eberhard
(vom 16. Februar bis 19. Februar über Ruths 25. Geburtstag bei Lieberts in Marburg)
20.2.1935: Mein Liebstes! Dass ich gut in H. gelandet bin, wirst Du wohl annehmen. Nun sitz ich wieder an meinem kleinen Tischchen und muss meine Gedanken so weit zu Dir eilen lassen! In Betzdorf lag doch nichts Besonderes vor. Alfred wollte mir nur mitteilen, der Altenkirchener Vikar habe meine Karte, in der ich ihn einlud, zu Herrn Müller zu kommen, wenn er mich sprechen wolle, durch seinen Chef ans Konsistorium nach D'dorf geschickt. Ob er meint, ich wollte ihn gegen H. beeinflussen? Ich weiß es nicht, ist mir auch gleich. Mit dem Konsistorium habe ich nichts zu tun. Bei W.'s fühlte ich mich nicht sehr wohl; ich mag diese spöttische Rederei über die Fehler der B.K. nicht hören und Frau Pfr. W. ist darin groß und findet in Alfred eine Stütze. Ich ließ mich deshalb gar nicht weiter darauf ein. Als ich hier ankam, war alles dunkel im Haus. Ich dachte schon, es sei keiner daheim. Aber schließlich kam ich dahinter, dass man die Birnen ausgedreht hatte und im Dunkeln um den Esstisch saß, um mich zu überraschen. Als Messer und Gabel hatte man mir ein Hackbeil und eine lange Fleischgabel hingelegt. Der weitere Streich misslang durch unser kluges Friedchen; sie sollte mir mein „Lieblingsgericht“ Nudeln bringen und sonst nichts, brachte aber direkt das richtige Essen zum Leidwesen der ganzen Familie. Ich erzählte dann in großen Zügen das Wichtigste von unsern Erlebnissen. Hier ist inzwischen die alte Oma Räder, von der ich euch erzählte, gestorben. Sie wird heute um ½ 2 beerdigt. Leider kann ich nicht mit, da ich den Unterricht übernehmen muß. Ich werd mich jetzt in Kürze zum 2. Examen melden. Es wird Zeit. Das Programm für die Freizeit ist auch da. Ich schicke es nächste Woche....
Michelbach, den 28.2.1935: Mein liebstes Rütherchen! Diesmal wird’s aber mit meinem Brief reichlich spät, Du Armes! Verzeih mir! Aber die Tage waren so ausgefüllt und auch recht anstrengend, dass ich abends, wenn ich um 11 Uhr hier hin kam, totmüde ins Bett sank. Nun kann ich Dir, wo ich gleich wieder nach Hilgenroth heimfahre, von der ganzen Tagung berichten. Ich lege Dir unser Programm bei, damit Du den genauen Tagesplan hast. Das Wichtigste, was wir auf der Tagung erfuhren, waren die Mitteilungen über die kirchl. Lage; das Wichtigste und - das Betrüblichste. Denn es ist jetzt tatsächlich so weit gekommen, dass es zu einem Prestigekampf der Konfessionen ausartet. Lutheraner und Reformierte können nicht mehr zusammengehen, da beide einen ganz verschiedenen Kirchenbegriff haben und die Reformierten halten nur an Dahlem und Barmen fest und erkennen keinen E.O.K., keinen Provinzialkirchenrat, keinen Stoltenhoff, keine vorläufige Kirchenleitung usw. an. Ihr oberstes Organ ist und bleibt der Bruderrat. Und das ergibt die große Schwierigkeit. Die Entwicklung der Kirche geht aber faktisch dahin, dass sie wieder zu den alten Zuständen zurückkehrt. (Stoltenhoff als Generalsuperus, der gesagt hat: „Wenn ich meine Stelle wieder habe, hat der Bruderrat nichts mehr zu sagen.“) Man verglich die Kirche mit einem Zug, der sausend zu Tal stürzt, und hinten auf dem letzten Wagen stehen einige Männer, die versuchen noch zu bremsen - aber vergeblich. Praeses Koch soll derartig unter der Entwicklung leiden, dass er sein Amt niederlegt und seine Arbeit an Fiedler überträgt, der ein durchaus unfähiger Mann sein soll. Von Mahrahrens wird erzählt, dass er 2 DC-Superintendenten bestätigt hat, und der Vermittlungsmann Horn (Hornisse!) äußert: Was ihr jetzt tut, das haben wir ja immer schon gewollt. Er ist also mit uns einverstanden und es bleibt auch Tatsache, dass die DC Blätter von Mahrahrens unter ihre Leute verteilt haben, weil in ihnen nichts steht, was ein DC nicht auch sagen würde. Die Inflation der Bekenntniskirche hat begonnen! So sagte Pastor Weber aus Oynhausen, der uns über die Lage unterrichtete. Auch gegen von Soden wendet man sich, weil er gesagt haben soll: „Meine Herren, wir müssen Kompromisse schließen!“ Dem Kampf soll damit die Spitze abgebrochen werden. Und nun haben wir Vikare und Hilfsprediger der BK ein Memorandum an den Rheinischen Bruderrat nach Düsseldorf geschickt, in dem ihm die Gefahr und unsere Bedenken klar gemacht werden sollen. Der Leiter unserer Freizeit meinte, es könnte allerdings geschehen, dass wir auf diese Weise zum 2. Mal rausgeschmissen werden. Aber es muss gesagt werden. Maßgebend für die Arbeit der BK ist eben nur Dahlem und Barmen: Bibel und Bekenntnis. Und Mahrrahrens redet eben auch schon wieder etwas von „Volkstum“ etc. Die luth.Gegenden wollen durchaus ihren „Reichsbischof“ Mahrrahrens durchbringen.
Über mein Weiterkommen habe ich Erkundigungen eingezogen und erfahren, dass ich mich erst am Ende des 2. Jahres zum Examen melden kann. Ob ich ins Predigerseminar komme, bleibt abzuwarten. Dazu wird man gerufen. Da kann es also sein, dass ich vorläufig noch länger in Hilgenroth bleibe. Ich will jetzt versuchen, möglichst viel Zeit zum Arbeiten herauszuschlagen. Pfarrer Korst hat mir seine Bibliothek zur Verfügung gestellt. Leider ist nicht sehr viel da zu finden.
Aber nun will ich Dir von der Freizeit selbst etwas berichten. Wir waren ungefähr 30 Mann, aus allen Gegenden waren sie gekommen, sogar 4 Mann aus dem Saargebiet und ebenso viele aus dem Hunsrück, aus Köln 2 und die anderen aus dem Predigerseminar, z.T. aus den umliegenden Synoden. Es gab manch frohes Wiedersehen, denn wir kannten uns alle mehr oder weniger vom Ansehen und zum größten Teil auch persönlich. Leiter der Freizeit war Bruder Hellbardt, der augenblicklich Inspektor vom Predigerseminar in Uberfeld ist, ein feiner, gescheiter Mensch. Montag ½ 4 begannen wir und zwar mit – Kaffeetrinken. Zuerst musste ja erzählt werden und da gab es so viel zu sagen, dass sich dies Kaffeetrinken bis ½ 5 hinzog. Statt der Bibelarbeit, die auf dem Programm stand (Programme sind dazu da, dass sie nicht gehalten werden) erzählte Hellbardt erst etwas über die Lage, von der ich ja schon schrieb. Abends kam dann P. Busch-Witten, um über die Jugendarbeit zu sprechen. Er sprach ganz als ein Mann der Praxis. Er hat ja in Witten selbst eine großartig organisierte Jugendarbeit, viel Neues brachte er freilich nicht. Er betonte, dass wir mit Liebe und Ernst die Jugendarbeit aufbauen sollten, wir hätten dann Erfolg. Um 11 Uhr war Schluss. Ich eilte dann nach Michelbach, Otto wollte nämlich aufbleiben, bis ich kam, und der Arme muss jetzt jeden Morgen um ½ 6 aufstehen, weil der Milchwagen schon um 7 die Milch abholt. Er hatte zum Glück auf dem Sofa schon etwas geschlafen. Ich erzählte noch bis 12 Uhr, dann gingen wir zu Bett. Am andern Morgen musste ich um ½ 9 wieder oben sein. Niebels Referat über die Konfirmation und ihre Bedeutung war sehr fein und interessant. Wir hatten noch eine kurze Aussprache, die sich nachher wieder im Kirchenpolitischen verlief. Nach dem Essen hatten wir bis ½ 4 Uhr frei. Da besuchte ich Prof. Zillich, der mich sehr nett aufnahm, trotzdem ich eigentlich nicht zu einer Besuchszeit bei ihm vorsprach. Er erkundigte sich lebhaft nach meiner Arbeit und bedauerte es sehr, dass ich Altenkirchen den Rücken gekehrt hätte. - Da Asmussen leider verhindert war zu erscheinen, musste Prof. Wolff aus Bonn einspringen und hielt ein Referat über Natürliches Gesetz und Gesetz Christi bei Luther. Wahnsinnig schwer und unverständlich. Und die meisten von uns konnten wegen geistiger Überlastung kaum noch die Augen aufhalten. Von diesem Referat hatten wir leider sehr wenig, obwohl es recht wichtig war. Abends sprach Pfr. Weber Oynhausen über die Lage der Kirche und brachte da noch weitere Einzelheiten, über die ich aber schon berichtet habe. Ich kam erst ½ 12 nach Hause. Otto war noch auf, der Treue. Mittwoch wieder ½ 9 Uhr Anfang. Pfr. Hartig hielt ein Referat über Begräbnis, bei dem es viel zu lachen gab, da er von alten Sitten berichtete, die wirklich urkomisch waren. Das ganze Referat war nicht besonders großartig. Die Schwierigkeiten, die uns bei der Verkündigung kommen, berührte er gar nicht. Darauf mussten wir ihn nachher erst stoßen. Nun, er hatte nicht allzu viel Zeit gehabt, das entschuldigt ihn in etwa. Um 1 war Schluss. 2 Vikare blieben hier, die ich mit nach hier nahm.Wir saßen gemütlich bis 5 zusammen, dann brachte ich sie zur Bahn. Als ich zurückkam, war es Zeit, Vorbereitungen für die Bibelstunde zu treffen, die ich abends hier halten sollte. So sind die Tage der Freizeit dahin. Jetzt geht’s nach Hilgenroth....
2.3.35: Mein liebstes Rütherchen!.....
Wie nett haben Borcherts[11] wieder geschrieben. Ich muss sagen, dass ich mich immer mehr freue, dass Du in solch ein Haus kommst. Du wirst bestimmt viel Anregung empfangen und ich hoffe, davon auch noch manches profitieren zu können. Wie schnell werden die beiden Monate vorbei sein und dann musst Du fort. Ich bin nur froh, dass wir vorher noch einmal zusammen sein dürfen. Vielleicht bekomme ich dann ein paar Tage frei, dass sich die Reise auch lohnt. Dann muss ich vorher fleißig sein, damit ich mit gutem Gewissen fort kann. Am 7. April habe ich den Gottesdienst, wenn meine Rechnung stimmt; ob Du mich dann hören kannst? Ich fände es zu schön, wenn Du mal im kleinen Dorfkirchlein sitzen würdest. Vielleicht bleibe ich ja doch den Sommer über noch hier, aber wenn Du erst mal in Nordhausen bist, dann geht es mit dem Besuch in Hilgenroth bestimmt nicht mehr. Und hier ins Pfarrhaus kannst Du ruhig kommen, da ist ein anderer Geist als in Altenkirchen. Pfr. Korst ist mir wie ein Freund zugetan und unsere gemeinsame Arbeit schließt uns immer enger aneinander, und wenn Du Frau Pfr. K. kennen lernst, dann wirst Du sie auch gleich gern haben. Sie hat unendlich viel Liebe und verwöhnt mich, als ob ich eins ihrer Kinder sei. Der einzige, der Dir nicht hold sein wird, ist unser Prinz, aber vielleicht fasst er auch bald eine Zuneigung zu Dir, wer weiß! Meine Beerdigung gestern verregnete leider etwas, so dass ich früh Schluss machen musste. Ich machte dann noch einen Krankenbesuch und kam ziemlich durchnässt hier wieder an. Pfr. Korst hatte Nachmittags eine Doppeltrauung in der Kirche gehabt, nun hörten wir zusammen die Saarfeier: Hitler, Bürckel, Hess, Göbbels sprachen. Hess am wenigsten begeisternd. Aber Hitler hat mir sehr gut gefallen, mir kommt es so vor, als sei er innerlich ernster und vielleicht auch religiöser geworden. Jedenfalls sprach er ein paar Mal Gott Dank aus. Er war sehr bewegt und konnte manchmal kaum sprechen, indem mir auch die Tränen nahe waren....
Hilgenroth, den 5. März 1935: (Schreibmaschine)Mein liebstes Rütherchen!...
Manchmal wünschte ich mir, ich hätte dieses feste, kindliche Vertrauen, wie es Herr Müller in Altenkirchen hat; der doch bei allem Unsicheren nicht den Mut sinken läßt, weil es ihm ganz selbstverständlich ist, daß Gott seine Sache nicht im Stich läßt und wenn es dann mal anders kommt, als er es sich gedacht hat, dann weiß er auch immer gleich wieder einen Trost und eine Begründung. Er hat so etwas Ausgeglichenes und Beruhigendes und bei ihm kann man wirklich mit allen Sorgen Verständnis finden. Er ist mir besonders väterlich zugetan, das spüre ich immer wieder. Und ich hoffe auch, daß ich mit der Zeit immer gläubiger und vertrauensvoller werde, das sollte mir ja eigentlich nicht so schwer werden, wo ich Dich an meiner Seite weiß, die Du mir immer mit Liebe und Verständnis zur rechten Zeit das gibst, was mir schwankendem Rohr wieder Halt gibt. Aber vielleicht soll es ja auch so sein, daß ich immer wieder unten liegen soll, damit mir der Hochmutsteufel nicht zu sehr schaden kann. Denn daß diese Gefahr bei mir vorhanden ist, ist mir ganz klar, obwohl man mir überall sagt, ich sei so bescheiden und zurückhaltend oder ähnliche Komplimente; o nein, im Innern da bin ich immer sehr auf der Hut, daß ich nicht allzu sehr in den Hintergrund gedrängt werde, und die Bescheidenheit ist mir auch mehr anerzogen als natürlich geschenkt. Ich möchte wohl gern höher hinaus als mir gut ist und darum erlebe ich immer wieder die vielen Dämpfer. Gott wird schon wissen, wozu das alles gut ist. Dein Jesuswort: "In der Welt habt ihr Angst ..." ist wirklich dazu angetan, um uns Freudigkeit zu geben. Das ist das Dennoch des Glaubens, an das Du mich wieder erinnert hast, mein Liebes....
Ich hatte in den letzten Tagen nicht viel zu tun gehabt; so war ich am Samstag mit unserer kleinen Christa[12] und dem Prinz[13] auf dem Beuelskopf, einem Berg in unserer Nähe, von dem man eine wunderbare Aussicht bis zum Siebengebirge hat. Wir hatten ja am Samstag herrliches Sonnenwetter. So ein rechter Frühlingstag war es mal wieder und wir drei waren auch ausgelassen wie so kleine Frühlingsblumen. Sonntag hielt Pfr. Korst den Gottesdienst über 1. Kor. 13,7. Die Kirche war sehr gut besucht, ich freute mich darüber und ich hoffe, daß es jetzt auch etwas anhalten wird. (Nächsten Sonntag habe ich den Gottesdienst über die Versuchungsgeschichte). Nach dem Gottesdienst hatten wir Presbytersitzung, in der es uns gelang, das Presbyterium[14] zur Bekenntniskirche überzuführen, ein schöner Erfolg; unser Presbyterium ist darin ja nicht so schwierig wie ein anderes in der Stadt. Was der Pfarrer sagt, wird gemacht, weil "er es doch wissen muß". Nach dem Essen fuhr ich nach Michelbach; da ich erst noch die Kollekte zählen mußte, war es etwas spät geworden, und als ich dort ankam, waren sie alle schon angezogen, um in die Stunde zu Herrn Müller zu gehen. Da brauchte ich mich gar nicht erst auszuziehen, sondern schloß mich sofort an; die Stunde war diesmal sehr gut besucht und es gab eine feine Aussprache, so daß die Zeit im Fluge verging. Es tat uns ordentlich leid, als wir schon wieder schließen mußten. Der Bruder von Herrn Müller, bei dem Otto und ich mal waren, als wir zusammen nach Heidberg gefahren waren, war zu Besuch da und wir gingen alle zusammen nach Michelbach. Es war ein sehr netter Nachmittag und Abend, alle so ganz ein Herz und eine Seele. Otto und ich brachten Müllers nachher noch ein Stückchen heim, dann saßen wir noch ein Stückchen "unter uns" und um 1/2 12 gings ins Bett. Frau Schneider mußte am Montag früh heraus, da sie und die Tochter Müller zu einer Gemeinschaftskonferenz nach Waldbröhl mußten. Ich fuhr Montagmorgen erst einmal zum Friseur und ließ mich verschönern, dann machte ich Besuche im Altenkirchener Krankenhaus, wo wir eine ganze Menge aus unserer Gemeinde liegen haben, ging aber zum Essen wieder nach Michelbach, um dann von dort gleich zur Bibelschar zu fahren. 34 Jungen waren da und es war eine Freude, mit ihnen zu arbeiten....
Nach der Bibelschar machte ich noch zwei Hausbesuche, bei den ersten bekam ich Kaffee, und bei den anderen mußte ich zum Abendessen bleiben; so kam ich erst um acht Uhr nach Hause. Korsts waren zu einem Pfarrkränzchen nach Kirchen und kamen noch nach mir zurück, sehr wenig befriedigt, weil die D.C.Pfarrer sich sehr unliebsam bemerkbar gemacht haben. Besonders Frau Pfr. Winterberg[15] soll immer sehr gehässig sein. Leider geht es ihrem Mann so sehr schlecht. Er hat wieder seine alte Herzgeschichte und man fürchtete schon sehr um sein Leben. Er liegt jetzt schon längere Zeit zu Bett; da muß Alfred[16] auch ordentlich heran. Ich glaube, nächsten Sonntag hat er dreimal zu predigen. Hoffentlich wird Pfarrer Winterberg wieder gesund; er hat ja immer schon mit dem Herzen zu tun gehabt. Ich will heute meine Predigt fertig machen und dann mal an ihn schreiben. -
9.3.35: Mein liebstes Rütherchen! Heute kann ich Dir eine überraschende Mitteilung machen. Denk Dir, ich komme eben von – Rodenkirchen! Gelt, da staunst Du! Ja, das kam so: Mittwoch erhielt ich eine Einladung zum Pflichtkonvent für Vikare und Hilfsprediger nach Düsseldorf für Freitag 3 Uhr im Kronenhaus. Sofort erwachte in mir der Wunsch einen Abstecher nach Hause zu machen. Pfr. Korst war selbstverständlich einverstanden. So fuhr ich Freitag in aller Frühe los und war um 10 Uhr daheim. Klara sah mich von weitem über den Auenweg kommen u. lief mir entgegen....
Um 2 Uhr fuhr ich nach D'dorf. Über 100 Vikare waren dort. Da gab's ein herzliches Grüßen. Der Konvent war wegen des Memorandums von unserer Freizeit einberufen worden. Leiter war der Präses des Rhein. Bruderrates D. Humburg, ein feiner sympathischer Mann, etwa 60 Jahre, ernst, biblisch, voller Liebe; außer ihm waren noch andere Vertreter des Bruderrates: der feurige Held aus D'dorf und Beckmann, der ihm im Temperament nichts nachlässt, mir aber wegen seiner größeren Schlichtheit angenehmer war, außerdem Schlingensiepen von Barmen, der nichts sagte u. Dr. Meuring, Jurist. Der Brüderrat nahm Stellung zum Memorandum und widerlegte in sachlicher Form seinen Inhalt. Eine Zusammenarbeit mit der "Vorläufigen Kirchenleitung" sei unbedingt erforderlich, wir dürften uns nicht abschließen ggüber dem "Feind", sondern so oft wie möglich mit ihm zusammenkommen, um ihn von seiner Unrechtmäßigkeit zu überzeugen. Das wäre noch längst kein Aufgeben von Dahlem und Barmen, sondern gebotene Klugheit und durchaus biblisch begründet. Gott wäre auch ein Gott der Ordnung! Mir wurde jedenfalls klar, dass unsere Lage viel günstiger und erfreulicher ist, als damals auf der Freizeit behauptet wurde. Humburg verlangte von uns Vertrauen, dass wir ihm den Ernst u. den guten Willen nicht absprechen sollten – und das können wir tatsächlich nicht tun. 20:00 fuhr ich wieder heim, übernachtete zu Hause und fuhr 8:12 wieder von Köln fort. Kurz war der Besuch daheim, aber ich habe morgen Gottesdienst. Pfr. Korst hat mir gestern schon eine Beerdigung abnehmen müssen....
17.3.1935:....Besonders schön war der Donnerstag, wo ich Bibelstunde in Helmeroth hatte. Ich machte vor der Stunde noch zwei Besuche und lernte da eine liebe Familie kennen, wo ich nach der Stunde auch zum Kaffee eingeladen wurde. Der Schulsaal war dicht besetzt; über 60 Leute waren anwesend. Anschließend besuchte ich erst einmal den Lehrer, der im Haus wohnt und als 100% Nazi nicht an solchen Veranstaltungen teilnimmt. Er war erst etwas verlegen, aber nachher unterhielten wir uns ganz nett über – Jagd etc., nur nicht Religion und Politik.Von dort ging ich in einen Nachbarort Langenbach, 1/4 Stunde entfernt (also noch weiter von Hilgenroth ab!) und besuchte dort eine kranke alte Frau; dann ging's wieder zurück nach Helmeroth zum Kaffeetrinken, anschließend noch einen Hausbesuch und ein langes Gespräch mit einem Darbisten[17], der alle seine Steckenpferde brachte: Großtaufe, Bekehrung, Abwenden von der "Welt", womit er die evgl. Kirche meinte, usw. Es war mir sehr interessant, solch einen Menschen mal kennen zu lernen. Radikal und dickköpfig ist er und hat leider als Gemeindevorsteher u. gewandter Redner großen Einfluss. Ich will jetzt öfters dorthin, um den Leuten zu zeigen, dass die Kirche doch nicht so ganz Welt ist. - Um 9 Uhr war ich wieder daheim. Gestern Nachmittag waren wir alle zum Geburtstag bei einem unserer Presbyter. Und Abends feierten wir Hans-Hermanns[18] 16. Geburtstag. Der Lehrer und ein Freund H.H.s waren noch da. Bis 1/2 2 Uhr blieben wir auf. Morgen ist Sonntag. Hoffentlich behalten wir das Sonnenwetter noch recht lange. Es ist augenblicklich ganz herrlich hier; die Vögel singen u. die Blumen stecken überall neugierig ihre ersten Knospen in die Luft. Ach, könntest Du hier sein und diese herrliche Gegend kennen lernen. Ich hoffe immer noch, dass es mal geraten wird. - Morgen Nachmittag halt ich den Jungmädchenverein u. um 1/2 7 Uhr kommt Otto. Ich freue mich sehr. Montag muss ich nach Herchen, wo es mich gar nicht besonders hinzieht. Es ist wenig interessant in unserem Bezirksseminar.
23.3.1935
Meine liebste Rira! Morgen ist ein entscheidender Tag. Ich habe den Gottesdienst und soll eine Schrift der B.K. verlesen, weswegen bisher schon fast 500 Pfarrer eingelocht worden sind. Unsere Synode hatte sich zwar anfangs verpflichtet, die Schrift nicht bekannt zu geben, aber nun sieht sie ihre Feigheit ein und morgen werden von allen B.K.Pfarrern der Synode A. die Sätze gegen das Neuheidentum den Gemeinden vorgelesen. Der Landrat bekommt heute noch davon Mitteilung und es kann sein, dass wir morgen wieder unter polizeil. "Schutz" predigen. Ich habe auch meine Predigt sehr bekenntnismäßig eingestellt und werde morgen mal sehr deutlich sein. Die Gefahr seitens der Glaubensbewegung wird immer größer. Hauer darf nächste Woche eine Propagandareise durch's Rheinland unternehmen und evgl. Pfarrer kommen ins Gefängnis. Die Lage ist augenblicklich wieder sehr ernst geworden. - Mit meiner Einberufung ins Predigerseminar scheint es nichts zu werden. Jedenfalls ist bis heute noch nichts gekommen und ich hoffe, dass ich bis Herbst noch bleiben kann. Gestern war ich schnell mal in Michelbach; Oma Schneider wurde 60 Jahre; sie wollen morgen an mich denken, wenn ich den Gottesdienst halte. Abends hatten wir B.K.Pfarrkonferenz in Hamm bei Pfr. Brinken, wo wir ein Schreiben an den Landrat aufgesetzt haben, dass wir morgen die Kanzelabkündigung doch verlesen. Jeder hat dann noch seinen Namen druntergesetzt. Ich bin nun gespannt, was daraus wird. Frau Pfr. K. ist in einer Sorge um uns Männer. Und wir zwei sind höchst fidel. Regen uns immer zum tüchtigen Essen an, da es vielleicht bald nur Wasser u. trocken Brot gibt und machen uns weiter keine Sorgen um unsere Zukunft. Wie oft sassen Paulus und Silas im Gefängnis – und sie lobten Gott! Ist es nicht herrlich, nun auch um Jesu willen leiden zu dürfen. Gerade die Passionszeit sollte uns dazu rechte Freudigkeit geben. Ich habe für morgen das Wort Lk. 22, 66 -71! Jesus, der erste Bekenner vor der Welt. Das soll uns auch Mut geben und vor allem die Gewissheit: Er ist wirklich Gottes Sohn....
Hilgenroth, den 30.3.1935
Mein liebstes Rütherchen! Eben habe ich mal mein Rad geflickt, damit ich heute abend eine Reise nach Helmeroth (machen kann), wo ich zur Abschiedsfeier eines Mitgliedes des Posaunenchors hin will. Und morgen soll es ja nach Altenkirchen zur Gemeinschaftskonferenz gehen, wo eigentlich Hans Niemann sprechen wollte. Ich habe nichts wieder von ihm gehört. Diese Woche hatte ich viel Hausbesuche gemacht, im ganzen 12; das ist bei unseren Wegen schon viel. Heute abend will ich auch noch mal schnell zu einem jungen Mann, der schwer erkrankt ist. Gestern soll es ihm sehr schlecht ergangen sein. Es sterben jetzt so viele junge Menschen. Nächste Woche habe ich Freitag Bibelstunde und Sonntag die Prüfungsansprache, dann geht es mit Dir heim. Mutter freut sich schon sehr auf unser Kommen!....
- Von Schlingensiepen kam gestern der Bescheid, dass ich noch bis Herbst hier bleibe. Das ist mir doch sehr lieb. Hier habe ich Zeit, für mich zu arbeiten. Ich treibe jetzt in meinen freien Stunden Kirchengeschichte. Wenn Du da irgend etwas über die Zeit von Reformation bis zur Gegenwart auftreiben kannst, dann bringe es mir doch, bitte, mit, ja? Ich habe mir jetzt ein Büchlein angeschafft: Paul Dorsch: "Das deutsche evgl. Kirchenlied in Geschichtsbildern", das führt auch ganz gut in die Kirchengeschichte ein und ist für den Unterricht gut zu verwenden. Korsts freuen sich riesig auf Dein Kommen! ...
Hilgenroth, den 1. April 1935: Mein liebes Rütherchen! Nur einen kurzen Brief will ich Dir schreiben, damit ich mit meinen Arbeiten diese Woche fertig werde. Mitwoch 1/2 4 habe ich eine Beerdigung eines 25jährigen Mannes, der innerhalb einer Woche an Lungenentzündung gestorben ist. Freitag ist hier in der Kirche um 3 Uhr Passions-Gottesdienst und Sonntag – ja, da muss ich vor meinem Rütherchen ein Examen bestehen, wovor mir noch sehr bange ist! Nein, was habe ich mich über diese erfreuliche Nachricht gefreut. Also, Du kommst schon Sonnabend. Das ist ja ganz, ganz herrlich, Du mein Rütherchen! Dem Väterchen und der lieben "Fürsprecherin" 1000 Dank für dies herrliche Geschenk. Es wird alles sehr brav getan, wie Vater wünscht. Frau Schneider holt Dich am Bahnhof Altenkirchen mit dem Auto ab und Sonntag bringt uns ein Auto um 9 Uhr nach Hilgenroth......
Bald bist Du da, mein schönes, liebes Rütherchen. Was haben wir gestern bei Schneiders schon Pläne für Samstag und Sonntag geschmiedet.
Samstgabend hatte ich noch einen Krankenbesuch bei dem jungen Mann gemacht, wo ich schon ahnte, dass er nicht mehr lange mitmachen würde. Es waren heilige Minuten, die ich mit ihm verlebte; er war auch gläubig und hatte ein festes Gottvertrauen. "Es geht heim," das waren seine letzten Worte. Du glaubst nicht, wie einem in solch einem Augenblick zumute ist; man ist nicht mehr in der Welt, sondern verspürt schon einen Hauch der Ewigkeit. Heute war ich bei der betrübten Mutter, die schon seit 6 Jahren Witwe ist, und betete mit ihr. Ihr Alfred lag wie schlafend friedlich in seinem Bett. Auf seinen Wunsch soll ich ihn beerdigen. Um 8 Uhr war am Samstag im Helmerother Vereinshaus Posaunenchor vom Westdeutschen Jünglingsverein, wo ich eine Bibelstunde hielt. Man hatte mich gebeten, mal dorthin zu kommen.; der Posaunenchor übt jeden Samstag. Gestern, Sonntag, war Gemeinschaftskonferenz, die über Erwarten gut besucht war. 300 Leute waren mindestens da. Pfr. Spehrt hielt erst Abendmahl, dann sprach er über Phil. 3, 17 – 21. Nach seinem Referat war Aussprache, wo der Leiter der Konferenz erst Herrn Müller, dann mich bat, noch etwas zu sagen. Viele, viele Bekannte traf ich noch. Aus der Gemeinde Birnbach baten mich einige, Himmelfahrt bei ihnen eine Konferenz zu halten. Ich werde es, wenn's geht, tun. Die Helmerother wollten mich zum 2. Ostertag haben, da sollte dann der Posaunenchor und der Gesangverein mitwirken. Ich glaube ja nicht, dass mir mein Chef so viel Freiheit lässt. Sonst möchte ich's schon sehr gern. Ich glaube, er wird dann doch etwas eifersüchtig. Das Schöne an der Konferenz war das Bewusstsein der Gemeinschaft; man war so ganz "ein Herz und eine Seele" und konnte gewiss sein, dass man von allen verstanden wurde. Das ist ja gerade heute, in der glaubensarmen Zeit, eine Wohltat.
12.4.35: Mein liebes Rütherchen! Eine weite, weite Spanne ist nun wieder zwischen uns. Ach, wie schnell gingen die beiden Tage daheim vorbei und nun ist alles wieder so wie sonst.
Hilgenroth, den 16.4.1935: ....Es ist doch auch die Brautzeit eine große heilige Zeit....dass unsere Liebe letztlich getragen wird von der einen großen Liebe, die sich für uns am Kreuz geopfert hat.....
.....dies ist ja vor allem die Aufgabe des Pfarrhauses: auf der einen Seite eine echt christliche Familie zu sein, und auf der anderen Seite der Gemeinde nichts vorzuenthalten. Es ist nicht leicht, beiden Seiten vollkommen gerecht zu werden, aber Gott kann dazu seine Hilfe schenken, und er wird sie auch uns schenken, wenn wir ihn ernstlich darum bitten.
Die Konfirmationstage haben wir vorläufig mal überstanden. Sonntag wanderten wir hier in Hilgenroth von Haus zu Haus: Mittagessen, Kaffee u. Abendbrot, immer bei einem anderen. Es war wirklich eine Kunst, durchzuhalten und ich möchte wissen, was Du in dieser Situation gemacht hättest. Überall erkundigte man sich teilnehmend nach Dir! Alle haben Dich gesehen und bedauerten lebhaft, dass Du nicht bis zur Konfirmation geblieben bist. Ganz nebenbei wollte man auch feststellen, ob Du wirklich eine Tochter von Pfr. Winterberg seist. Das war schon als Tatsache von allen angenommen worden; nun setzte sie meine Aussage doch etwas in Erstaunen. Gestern Montag kam ein Schreiben an Pfr. Korst, dass er nach Düsseldorf zu einer wichtigen Besprechung müsste. Da war es wieder meine Aufgabe, Konfirmandenbesuche zu machen. Ich fuhr zum Mittagessen nach Volkertzen zum Presbyter Flemmer, den ich ganz besonders schätze.
Die junge Familie (Vater, Mutter 2 Töchter und 2 Söhne) freute sich sehr, dass ich kam. Sie hatten mich schon zu Sonntag eingeladen, aber da konnte ich ja nicht. Ein Bruder von Herrn Flemmer aus Köln war auch noch da. Wir unterhielten uns fast nur über Kirchenpolitik, von der der Kölner wenig Ahnung hatte. Merkwürdig, wie 2 Brüder so verschieden sein können. Der Presbyter ist strenger Gemeinschaftsmann, ein lieber, lieber Mensch; er hat sogar meine Eltern eingeladen, sie sollten im Sommer bei ihm wohnen. Der Kölner dagegen steht ganz in der Welt ...
Ich besuchte dann noch eine Familie Hähner in Obererbach, wo auch Frau Pfr. und Christa waren. Dort blieben wir auch zum Abendessen. Zum Abschluss hielt ich noch eine kurze Andacht. Frau Pfr. sagte mir auf dem Heimweg, dass ihr dieser Abschluss so gefallen hätte u. sie vermisste bei ihrem Mann immer, dass er bei seinen Besuchen niemals so etwas machte. Ich hatte es auch am Sonntag so vermisst und hatte schon vor, ihm zu sagen, doch wenigstens ein Loblied singen zu lassen. Hatte aber nicht den Mut dazu. - Herr Pfr. kam um 11 Uhr von seiner Sitzung zurück. Man hatte über die bevorstehende Provinzialsynode gesprochen, die Superintendent Horn, der Leiter des Ordnungsblocks (!) einberufen sollte und hatte beschlossen, der Einladung nicht zu folgen. Die Lage der Kirche wurde als sehr ernst bezeichnet, aber sonst durfte Pfr. Korst nichts erzählen. Er brachte als erfreuliche Mitteilung mit, dass ich monatlich 20 M erhalten sollte – schon längst erhalten sollte! Ich bin gespannt, wann endlich die ersten kommen werden. - Diese Woche habe ich noch viel zu tun. Morgen Taufe in Hilgenroth, Freitag Beichte, Nachmittags in Volkertzen Gemeinschaftskonferenz, wo ich als "Festredner" geladen bin, Sonntag wieder Beichte, Montag Osterpredigt. Wenn der Brief fertig ist, muss schwer geschafft werden. Otto hat jetzt einen Herrn aus Düsseldorf in Kost und Logis. Der kam am Freitag zu mir und fragte, wo er Unterkunft finden könnte. Er war Kaufmann, ist in die 50 und ohne Stelle. Bisher hat er in Neitersen bei Altenkirchen gewohnt, er ist Gemeinschaftsmann und hat mich auf der Konferenz im Westerwaldheim gehört. Deshalb kam er ausgerechnet zu mir. Ich nannte ihm Ottos Adresse, weil ich keinen anderen wusste. Er will nur bis zum 25.4. bleiben, und Otto hat ihn dabehalten. Er schreibt: Christenhäuser müssen alle Bethanienhäuser sein, Gaststätten des Friedens und der Freude. Hoffentlich enttäuscht ihn dieser Herr Stahl nicht. Aber er machte einen guten Eindruck und ich hätte ihn auch direkt aufgenommen, wenn ich ein eigenes Heim hätte. - Mein Husten ist besser ...
......wenn Ihr Gelegenheit habt, zur Kirche zu gehen und Geller zu hören, dann wird doch die große Freude bei Euch einkehren. Ich habe meine Predigt über Joh. 20, 11-18 und möchte der Gemeinde so gern ein Ostererlebnis schenken. Gelt, du betest auch mit mir, dass mein Gottesdienst einigen wenigstens zum Segen wird. Ich hatte gestern einen sehr schönen Tag. Pfr. Korst hielt eine sehr tiefe Karfreitagspredigt; eigentlich das erste Mal, dass er mir so zu Herzen gesprochen hat. Anschließend nahm ich am Abendmahl teil, das durch den heiligen Ernst, der auf der ganzen Gemeinde lag, (etwa 150 waren zugegen) besonders weihevoll war. Nachmittags zog ich zu Fuß nach Volkertzen zu Flemmers. Über 60 Leute waren gekommen, um an der Bibelstunde teilzunehmen. Herr Flemmer hatte im Ort bekannt gemacht, dass ich kommen würde. Aus Altenkirchen und Michelbach waren auch eine ganze Anzahl da. Vor allem freute ich mich auf das Wiedersehen mit Otto. Ich sprach über Joh. 19,30: Von der Unglaublichkeit dieses Wortes nach all dem, was vorausgegangen war, von der Wahrheit dieses Wortes, von dem Trost und der Kraft dieses Wortes. Es war eine stille, gesegnete Stunde. Nachher wurde erst noch allgemein Kaffee getrunken, dann brachte ich Otto und die Michelbacher ein Stück nach Hause, ging aber wieder zu Flemmers zurück, da ich zum Abendessen eingeladen war. Wir unterhielten uns vor allem über die kirchl. Lage. Herr Fl. brachte mich dann noch durch den Wald eine halbe Stunde und um 1/2 9 Uhr war ich hier. Am Mittwoch hatten wir hier in Hilgenroth eine Taufe, wo ich die Rede hielt. Da Pfr. Korst anschließend noch nach Idelburg zur Krankenkommunion musste, fuhr ich bis Eichelhardt mit und machte dort drei Hausbesuche. Morgen habe ich wieder die Beichtrede; aber da kann ich dieselbe nehmen wie am Freitag: Eph. 4,24. - Heute ist richtiges Osterwetter, herrlicher Sonnenschein. Hoffentlich hält es sich die Feiertage über. Dann ist gleich die Stimmung ganz anders
Michelbach, den 23.4.1935: ....Aber eh' ich Dir von mir erzähle, will ich dir zuerst für Deinen lieben, lieben Osterbrief und all die kleinen und großen Dinge danken, die mir Sonnabend ins Haus flogen. Ach, Liebstes, ganz beschämt hat mich das alles wieder....dann sag ich mir zum Trost und zur Beruhigung, dass Liebe im letzten Grunde nicht danach fragt, ob der andere sie verdient oder nicht, aber dass sie so stark ist, dass der andere nicht anders kann als – wiederlieben....es wird eben schließlich doch dahin kommen, dass wir einander für immer angehören dürfen und dass keiner mehr ein Wort in unsere Liebe hineinzureden hat. Es ist mir noch nie so klar geworden wie diesmal, dass Karfreitag und Ostern für mich geschehen sind; jetzt weiss ich es und ich weiss es durch die Predigt, die ich gehalten habe, wo Gott mich so reich gesegnet hat, dass ich über mich selbst gestaunt habe. Und was hatte ich vorher für Sorgen; auf den Knien habe ich gelegen vor dem Gottesdienst und habe gefleht, Gott möchte mir durchhelfen; ich hatte ganz das Empfinden, als dass ich diesmal ganz daneben geraten würde; aber es kam so ganz anders. Doch muss ich da noch etwas weiter ausholen. Ich hatte in der Woche wenig Zeit gefunden, meine Predigt zu memorieren. So hatte ich mir die Hauptarbeit für Samstag und Ostern gelassen. Aber Samstag musste ich auch noch nach Altenkirchen zum Osterhasen, da ging wieder viel Zeit verloren, abends musste ich baden – mit dem Memorieren war es wieder nicht viel. Aber Sonntag! Da kamen Sonntag die beiden Schwestern von Frau Pfr. Korst, außerdem eine Cousine mit Mann und Tochter (die jetzt als Haustöchterchen bei uns bleiben soll) da gab es viel Unruhe im Haus. Ich ging, um dem allen zu entfliehen, mittags in den Wald und setzte mich auf einen einsamen Hochsitz, wo ich wunderbar über meinen Text nachsinnen konnte. Abends musste ich mich wieder dem Besuch und der Familie widmen. So kam der gefürchtete Ostermontag. Um 6 war ich schon auf; es regnete und regnete. Stichwortartig hatte ich mir die Predigt einverleibt und so ging ich zur Kirche. Der ganze Besuch mit! Das war ja das Schlimmste! Zu meiner großen Freude war die Kirche sehr gut besucht – trotz des Wetters und trotz der vielen Feiertage, die vorausgegangen waren. Und das Gefühl, dass diese Leute alle im Gebet hinter mir stünden, der Gedanke an Dich, an Müllers und Schneiders, die alle für mich beten würden, gaben mir eine große Freudigkeit und Freiheit in der Verkündigung. Als ich nachher fertig war, kam Pfr. Korst zu mir in die Sakristei und gab mir die Hand. Das wäre meine beste Predigt gewesen, die ich bisher gehalten. Kaum war er herein, da klopfte jemand und ein Fremdling mit Rucksack stand in der Türe. Er wollte sich für diese Predigt bedanken; er habe sich gefreut, nichts von Deutschlands Auferstehung, sondern von des Heilandes Auferstehung gehört zu haben; er sei aus Köln und arbeite mit an der Zeitschrift für die Kölner Bekenntniskirche; Harloff sei sein Name. - ich stellte mich vor als Vikar v.M; als er Vikar hörte, sagte er erstaunt: Was, Sie sind erst Vikar? Das hätte ich aber nicht gedacht. Und von Mering, der Name ist mir doch bekannt. Da stellte sich heraus, dass er Vater kennt. Er sei mit drei Freunden auf einer Tour durch den Westerwald und heute gerade hier zum Gottesdienst vorbeigekommen. - Ist das nicht niedlich? -
......Mein Chef fährt gleich für 10 Tage zur Erholung fort. Da habe ich den Dienst allein. Ich freue mich, dass er mir zutraut, dass ich's allein schaffen kann. Morgen, Sonntag, muss ich nach Freusburg-Niederfischbach zur Vertretung, Da muss ein Pfr. von Draden hier den Gottesdienst übernehmen. Mittwoch muss ich den 1. Mai-Gottesdienst halten u. nächsten Sonntag habe ich auch wieder Gottesdienst. Montag ist Bibelschar und Donnerstag ist Unterricht. Da kannst Du Dir denken, dass es da viel zu tun gibt. Wenn noch irgend welche andere Arbeit hinzukommt (Hausbesuch oder Beerdigung) dann wird es recht brenzlich. Aber ich komme mir jetzt so ganz als pastor loci[19] vor! ....
Hilgenroth, den 29.4.1935: Mein liebes Rütherchen! Ganz überraschend kam ja die Nachricht von Deiner Abreise und heute ist der entscheidende Tag schon da. Ich bin mit meinen Gedanken ganz bei Dir. Hab keine Sorge, Liebes, es wird alles gut werden ....Du kommst in ein Pfarrhaus, in dem mit allem Ernst u. Eifer um Gottes Sache gestritten wird und wer sich wirklich in den Dienst Jesu gestellt hat, mit dem lässt es sich, auch wenn einmal verschiedene Meinungen vorhanden sein sollten, doch immer wieder auskommen. Sieh, wir alle stehen ja mit unsern Gebeten und unserm Gedenken hinter Dir ....
Hilgenroth, den 2.5.1935: Mein liebstes Rütherchen! Wie mag es Dir gehen? Ich bin so in Unruhe, es könnte Dir nicht gut gehen, Du hättest Heimweh oder wärst gar verzagt und unglücklich, daß ich unbedingt einmal außer der Reihe Dir einen kurzen Brief schreiben muß....
Du wirst sicher gestern zum ersten Mal Deinen Pfarrer im Gottesdienst gehört haben und kannst dir nun schon ein Bild von seinem Wesen und seiner Art machen.. Ich hatte gestern das Wort aus 1.Mos.3,17-19: Verflucht sei der Acker um deinetwillen usw. und hielt eine sehr ernste Bußpredigt; leider war der größte Teil der Gemeinde nach Altenkirchen, Wissen oder Hamm, wo große Umzüge und dergl. waren, so daß ich nur 59 Leute in der Kirche hatte. Etwas niederschmetternd war dieser leere Kirchenraum, aber ich hatte gar nicht mehr erwartet und war am Montag noch bei den Presbytern gewesen, um sie zu fragen, ob der Gottesdienst nicht ausfallen sollte; sie meinten aber, es kämen doch noch einige Leute zur Kirche; nun, so habe ich dann für die 59 meine Predigt gehalten; hoffentlich hat sie wenigstens bei einigen eingeschlagen. Etwas schmerzlich war es mir nur, als ich abends mit Frau Pfr., Frl. Marianne und Christa von Altenkirchen heimfuhr und einige junge Mädchen recht ausgelassen und frech in unsern Zug einstiegen, die ich am Morgen in der Kirche gesehen hatte....
Heute Nachmittag habe ich wieder meine Katechumenen und am Sonntag habe ich hier den Gottesdienst; worüber ich diesmal predige, weiß ich noch gar nicht; ich will mich nachher nach dem Unterricht an die Arbeit geben.
2.5.35 an Obstlt. Liebert Marburg: Mein lieber Vater, liebes Mütterchen, liebe Ulli! Gerade habe ich an Rütherchen nach Uthleben geschrieben und nun sollt Ihr auch einen Gruß von mir haben. Wie wird Euch sein ohne unsere Rira? Ich denke so viel an sie und an Euch; nun ist sie zum ersten Mal als „erwachsenes“ Kind aus dem Haus fortgeflogen, um sich selbst ihr Brot zu verdienen. Fast kommt es mir vor, als habe ich die Schuld, weil ich nicht vorwärtskomme und immer noch als Vikar in der Weltgeschichte herumlaufe. Aber, nicht wahr, das wusstet Ihr doch, dass die Ausbildung so lange dauert; und wenn dem auch so ist, unsere Liebe wird trotzdem nicht alt, sondern im Gegenteil alle Tage neu und größer.... Diese Woche habe ich viel zu tun. Vergangenen Sonntag hatte ich Vertretung in Freusburg, gestern hatte ich hier den Gottesdienst zum 1. Mai und kommenden Sonntag wieder hier. Mein Chef ist für 8 Tage zur Erholung fort und kommt nächsten Sonntag wieder heim
...wir stehen für Gottes Sache ein und „wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich wieder bekennen (nicht: vor den Menschen) vor meinem himmlischen Vater.“ Es mag sein, dass wir äußerlich unterliegen, (wie, wissen wir nicht), aber vor Gott werden wir dann von unserm Heiland bekannt werden. Und danach haben wir allein zu fragen, nach nichts anderem. Wenn man solch eine Gemeinschaft von Brüdern wieder gesehen und erlebt hat, dann geht es wieder noch mal so gut. Dann weiss man, ich stehe nicht allein, es ist doch kein Wahnsinn, sondern es ist eine große heilige Sache, wofür wir leben und sterben können. Eine große Freude ist in mir und ich denke oft an die Worte meines lieben vollendeten Hans (Niemann, Pastor in Marienburg): Es ist eine Lust zu leben. - Heute ist er in Niederweiler im Schwarzwald zur letzten Ruhe gebracht worden. Kannst Du Dir das vorstellen, dass er nicht mehr da ist, wenn wir unsere Besuche auf der Marienburg machen; ich kann's immer noch nicht fassen, dass Gott diesen großen, edlen Menschen aus dieser Welt genommen.
Dienstag, den 7. Mai: Guten Morgen, Rütherchen! Ehe ich mich zum Morgenkaffee nach unten begebe, sollst Du einen Gruß haben. Die Sonne lacht schon wieder so strahlend, da will ich mich heute auf Hausbesuche machen und zwar den ganzen Tag, damit ich mal etwas geschafft kriege. Es sind eine Menge Kranker in unserer Gemeinde und morgen will ich zu einer Vertrauensmännertagung des Rhein. Gemeinschaftsbundes nach Köln, zum Mittagessen an den Zugweg (Wohnung von Großmutter Eberhardt und Tante Else) und abends wieder zurück. Ich habe nach Hause geschrieben, dass jemand an den Zugweg kommen möchte. Mutter soll nämlich für 3 Wochen zu Schneiders kommen; Frau Schneider hat sie eingeladen. Nun hoffe ich, dass sie auch kommt. ....Nachdem der Gottesdienst, der fast von 180 Menschen besucht war, und der Kindergottesdienst gut vorbei waren, fuhr ich in herrlichem Sonnenschein nach Michelbach. Ich war kaum da, da kamen die beiden Müllerinnen auch ...
.....und dann ging die ganze Gesellschaft in den Wald. Wir machten Aufnahmen, sangen miteinander: Du meine Seele singe, Schönster Herr Jesu usw. und genossen so recht den wunderschönen Frühlingstag. Leider mussten wir wegen der Kühe um 6 Uhr schon wieder heim;
Meine Predigt über Joh,14,1-6 hatte ich mehr in Form einer Homilie ausgearbeitet, so dass ich Vers für Vers behandelte....Wir brauchen also nicht nach Wegen zu suchen und zu fragen, es gibt nur einen: Jesus, und alle anderen sind Irrwege, die zum Satan hinführen; sprach dann kurz von diesen Irrwegen: D.C., Neuheidentum. Die Gemeinde war sehr aufmerksam dabei und ich sprach frei und froh.- Im Kindergottesdienst hatte ich schon 60 – 70 Kinder und behandelte mit ihnen 1. Sam. 1; ich will die Samuelgeschichten fortlaufend betrachten. - So wäre der Sonntag sehr sehr schön verlaufen, wenn ich nicht so dumm gewesen wäre und hätte Vikar Beck von Altenkirchen angesprochen, den ich noch traf, als ich Sonntagabend nach Hilgenroth zurückfuhr. Seine Eiseskälte, sein Hochmut wirkten so ernüchternd auf mein dankbares Gemüt, dass ich ganz geschlagen war. Ich wollte ihn bitten, dass wir uns mal treffen sollten, aber er lehnte es ab ohne mich eines Blickes zu würdigen. Das könnte mir ja gleichgültig sein, aber wenn ich denke, dass solch ein Mensch Seelsorger wird, dann fasst mich kaltes Grauen. -
11.5.1935: Mein liebstes Rütherchen! Aus all der herrlichen Frühlingspracht heraus sende ich Dir ein herzliches Gedenken. Die Sonne strahlt am blauen Himmel, die Vögel singen, Blumen und Bäume blühen: Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser schönen Sommerzeit! Was ist das wunderschön hier im Westerwald. Ich habe schon den ganzen Morgen im Garten gesessen und gelesen, bzw. an meiner Ansprache gearbeitet, die ich heute nachmittag, bei der Beerdigung eines 22jährigen verwachsenen Mädchens halten muss. Um 3 Uhr ist die Beerdigung, ich muss um 2 Uhr aus dem Haus zu Fuß, da es nach Oelsen keinen richtigen Fahrweg gibt. Aber bei dem herrlichen Wetter ist das ja eine Freude. Morgen Abend muss ich nach Scheuerfeld zum Familienabend des gemischten Chors, wo ich als Festredner eingeladen bin. Sonntag habe ich frei, aber in der kommenden Woche gibt es dann wieder mehr zu tun; außer Bibelschar und Unterricht habe ich noch eine Taufe und und vielleicht auch meine erste Traurede; es sind nämlich 2 Trauungen und Frau Pfr., die hier die Arbeit immer verteilt, meint, ich sollte auch eine übernehmen. Nun, mir kommt es nicht so drauf an, schließlich muss man ja überall mal anfangen. - Ob die Eltern wirklich herkommen, ist mal wieder sehr zweifelhaft geworden. Ich war ja am Mittwoch in Köln und besuchte in der Mittagsstunde den Zugweg. Vater und Mutter waren auch dort. Ich brachte die dringende und herzliche Einladung von Frau Schneider vor, dass Mutter 3 Wochen bleiben sollte, aber sie lehnte es ab. Sie könnte es so gut gebrauchen und, wo Klara doch zu Hause ist, auch so gut tun. Aber du weißt ja, wie eigensinnig sie in solchen Fällen ist, wo es sich um ihr Wohl handelt.
Die Beerdigung war gestern recht groß; ich machte anschließend noch 4 Besuche u. war um 7 wieder daheim. Nach dem Essen holten wir alle zusammen Frau Pfr. in Breitscheid ab; sie war nach Betzdorf, Einkäufe machen, und gingen dann alle zusammen noch auf den Anstand, Rehe zu belauschen. Es war ein ganz ruhiger, klarer Abend; die Drosseln sangen und überall hörten wir den Schrei des Rehbocks. Um ½ 10 waren wir wieder daheim.
Gestern nachmittag hatte ich meine Bibelschar, machte dann noch zwei Besuche, abends wird wie üblich immer und immer Rommey (?) gespielt; und ich bin es so leid; wenn ich versuche durch Lesen mich vom Spiel zu drücken, dann wird mein Chef ärgerlich und meint, ich sollte nicht so langweilig sein; dabei könnte ich ihm vielmehr Langweiligkeit vorwerfen. Ich habe noch keinmal gesehen, daß er ein Buch in der Hand gehabt hat; seine einzige Lektüre ist die Zeitung; es ist manchmal zum Davonlaufen. Ich bin oft verstimmt, daß ich es nicht mehr verbergen kann über diesen elenden Betrieb – und ich bin doch jetzt bei einem BK- Pfarrer!!......Heute Nachmittag will ich mit meiner Predigt über 2. Tim. 2, 6 – 13 anfangen. Wenn ich den Brief fertig habe, muss ich noch verschiedene Arier erledigen. Donnerstag habe ich wieder Unterricht und Freitag wahrscheinlich eine Taufe. Sonntag nach dem Gottesdienst auch noch KG[21]. Die Kinder kommen so gern; es macht mir richtig Freude.....
Es ist traurig, dass ich immer so klagen muss und nicht den Pfarrer finde, der nach meinem Geschmack ist; aber ich sehe, daß es doch wenige gibt, die ihre Arbeit wirklich heilig ernst nehmen; muß man sich dann wundern, wenn unser Kirchenvolk nichts mehr wert ist. Solange wir so faul und gleichgültig sind, können wir von den Laien nichts anderes erwarten.
Poststempel Hamm/Sieg, 1.6.35
Mein Liebstes! Hab Dank für Dein liebes Kärtchen. Der Brief an Schlingensiepen ist nun auch fort. Hoffentlich bekomme ich bald Nachricht, ... ich glaube, dass dem Urlaub nichts im Wege steht und in einem Monat können wir fröhlich zusammen nach Schlesien fahren. Wir sollen Dich also doch in Uthleben abholen, Liebes? Das wär’ fein!
Ich habe gestern einen schönen Tag gehabt. Morgens war die Kirche sehr gut besucht, obwohl Pfr. K. vorher meinte, Himmelfahrt würden nicht viele kommen. 140 Personen waren ungefähr da..... gleich nach dem Gottesdienst nach Michelbach,.......ein Auto, das uns nach Werkhausen brachte. Leider hielt der Regen dort auch sehr viele zurück, aber 50 Leute waren immer noch da und die Stunde war sehr schön. Es waren nur „Bekenner“ da. Pfr. Schareina, der dortige Gemeindepfarrer war nicht erschienen, weil Pfr. Heckenroth es ihm verboten hatte. Am Sonntag hatte Sch. noch bekannt gegeben, dass der „lb. Bruder v.M.“ kommen würde, hatte sogar mit dem Jungfrauenverein dafür geübt, damit sie dort vorsingen könnten u. Donnerstag morgen gab er bekannt, er sei „verhindert“, aber es war schon bekannt, dass H. eingegriffen hatte. Die Gemeinde war sehr empört darüber. Nun hat man auch wieder für Juni dorthin eingeladen; sie wollen eben Bekenntnispfarrer haben. Ich weiss allerdings noch nicht, ob ich hin darf. Sonst würde ich es natürlich sehr gern annehmen, die B.K. muss immer mehr wachsen und ich freue mich, dass Gott überall die Herzen aufschließt.
4.6.1935: Mein liebstes Rütherchen! Heute kann ich dir nur ein Kärtchen schreiben,.....habe wieder Arier hier liegen, die erledigt werden müssen, habe heute Bibelschar (gestern war Pfarrkonferenz bei Pfr. Maas-Altenkirchen[22]) und meine Predigt muss doch auch fertig werden.
Sonntag war es hier im Pfarrhaus sehr lustig. Als Frl. M. u. ich nach dem K.G. aus der Kirche kamen, standen ihre Eltern, zwei Schwestern von Frau Pfr. Korst und und eine Tante von Frl. M. vor der Kirchentür. Ganz überraschend waren sie gekommen. Nachmittags kamen noch Pfr. Brinken mit Frau, Schwester, Tochter u. Sohn u. Lehrer Strempler. Das Haus war voll u. es gab viel Lärm. Ich hatte ein 16strophiges Gedicht verfasst, das auf die Melodie „Eine Seefahrt die ist lustig“ gesungen wurde. Nach dem Kaffee wurde Ball gespielt, sogar getanzt haben wir im Flur!! Um ½ 9 Uhr fuhren die Verwandten wieder fort. Brinkens brachten wir noch ein Stück bis nach Breitscheid; sie gingen zu Fuß nach Hamm. Am längsten blieb der Lehrer – bis ½ 12 Uhr, obwohl wir sehr müde waren. Er merkte das aber nicht. - Donnerstag habe ich nochmal Unterricht und Freitag eine Kindtaufe.
Gestern traf ich einen Lehrer aus Altenkirchen, der erzählte mir, Heckenroth hätte ein Disziplinarverfahren gegen mich eingeleitet. Warum, weiss ich nicht. Aber ich glaube, es ist nur Gerede. Als wir alle bei Maas versammelt waren, ging H. draußen vorbei u. sah all die Autos. Das war ihm gewiss ein Dorn im Auge.
6.6.35: Einlage mit Urlaubsgenehmigung für Juni 1935 (eigentlich nur Bestätigung des Rechtes auf 3 Wochen Urlaub) Predigt über Eph. 2, 19 – 22
Gestern, Montag, war bei Flemmers Silberhochzeit und Verlobung zugleich. Das ganze Pfarrhaus war schon zum Essen eingeladen. Um 3 Uhr hatte ich die Beerdigung eines 86jährigen Junggesellen aus Hacksen; es war eine ungeheuer große Beteiligung. Das machte das schöne Wetter und der Sonntag; da gehen immer viele mit. Heute habe ich Bibelschar und morgen will ich mit den beiden Mädchen u. Uwe u. Hermann ins Nistertal, nach Marienstatt und Hachenburg.
Am Sonntag war die Kirche voll; fast 200 Personen; Otto Schneider war mit den beiden Mädchen u. Uwe auch gekommen. Sie waren sehr zufrieden.
....wichtig ist noch, dass sämtliche Pfarrer aus dem Konzentrationslager entlassen worden sind. Weißt Du das schon? Die Lage der BK soll sich sehr gebessert haben. Man kann wieder aufatmen. –
Hilgenroth, den 14.6.1935: Gestern, Donnerstag, habe ich meine Predigt über 4.Mos.6,22-27 (aaronitischer Segen) fertig geschafft. Am Sonntag habe ich nämlich tüchtig Dienst: Haupt- und Kindergottesdienst und nachmittags von ½ 3 bis ½ 5 Uhr Jungfrauenverein. Mein Chef fährt am Samstag fort in den Hunsrück zu einem befreundeten Pfarrer und kommt u.U. erst am Mittwoch zurück. Frau Pfr. fährt auch mit und will von dort noch mit Christa nach Gevelsberg zu ihren Schwestern..... Montag ist auch wieder Bezirksseminar in Herchen....Heute abend ist Bekenntnisgottesdienst in Hamm, wo Prof. Veidt von Frankfurt spricht. Wir wollen alle hin. Ich freue mich, mal endlich wieder etwas zu hören. Bei uns ist ja alles so müde und untätig. Ich komme auch gar nicht mehr zu Hausbesuchen. Nächste Woche will ich versuchen, wieder welche zu machen. Die Leute warten so sehr darauf und mein Chef macht keine.
Hilgenroth, den 18.6.1935: Der Sonntag verlief auch ganz glatt. Morgens der Gottesdienst war verhältnismäßig gut besucht trotz des schlechten Wetters. Der K.G. litt auch unter dem Wetter, aber es waren doch noch 50 Kinder da. Nachmittags um ½ 3 hatte ich den Jungfrauenverein bis ½ 5. Ich hielt erst eine kurze Andacht über Nikodemus (Joh.3,1-15), gab dann einen kurzen Bericht über die Lage der Kirche (zwischendurch sangen wir Lieder) und las zum Schluss einige Geschichten aus „Lichter in der Zeit“ vor.
Gestern, Montag, war ich morgens nach Oelsen mit dem Rad und machte dort zwei Hausbesuche, einen bei dem alten Vorsteher Schmidt, der an Magenkrebs leidet und nicht mehr lange hier bleiben wird. Es war eine hlg. Feierstunde bei ihm; er hat einen felsenfesten Glauben und ist ganz fertig mit der Welt, voller Dank war er für alles, was Gott an ihm getan. Sechs Söhne hat er, fünf waren im Feld und alle kamen wieder heim. Nun sind sie verheiratet und haben Kinder. Nie war jemand krank in der Familie, seine Frau ist noch ganz gesund und in vier Jahren würden sie Goldene Hochzeit haben, aber damit rechnet er nun nicht mehr. Innerhalb von 3 Monaten hat er 20 ᵾ abgenommen. Lange kann er nicht mehr leben. Er war ein großer kräftiger Mensch und wiegt nun noch 104 ᵾ. Er ist auch einer von unseren Besten. - Meine Bibelschar war nicht gut besucht. Vierzehn Jungen waren da. Ich machte anschließend noch einen Hausbesuch bei einer alten Oma, die am Sonntag 71 Jahre alt geworden war und fuhr noch mal zu Flemmers. Dort blieb ich auch zum Abendessen. Herr Flemmer brachte mich dann noch ein Stück des Wegs. Um ½ 10 war ich daheim. Da fand ich die drei Kinder im Studierzimmer auf der Chaiselongue sitzen und Frl. Marianne hatte ein niedliches Rehkitz auf dem Schoss. Sie waren nach dem Abendessen spazieren und hatten es, durch sein klägliches Schreien aufmerksam gemacht, auf einer Wiese gefunden. Es sollte aus einem kleinen Fläschchen Milch trinken, wollte aber nicht recht. Heute morgen ging es schon etwas besser. -
Ich wollte eigentlich den ganzen Tag Hausbesuche machen, aber das Wetter ist recht schlecht geworden. Und wenn es hier einmal regnet, dann sind gleich die Wege so schlecht. Aber ich will möglichst doch noch weg, bei solchem Wetter findet man die Leute wenigstens daheim. In Michelbach war ich auch lange nicht mehr und ich weiss nicht, wann ich hinkomme.
22.6.1935: .....freue mich, morgen endlich wieder hin zu können. Eigentlich wollte ich ja heim; aber wir haben anschließend an den Hauptgottesdienst eine Presbytersitzung, an der ich teilnehmen muss. Ob ich vor meiner Reise noch einmal nach Hause kann, weiss ich nun gar nicht. Ich würde es so gern tun. .....hätten wir diese Woche besseres Wetter gehabt, dann hätte ich viele Hausbesuche machen können. Aber leider regnete es tagelang ununterbrochen, so konnte ich nur Mittwochnachmittag nach Helmeroth u. Flögert und gestern nach Idelberg. Viel war es nicht, aber die Leute waren so froh, dass ich mal wieder Besuche machte. Und in dieser Freude liegt ja der größte Dank.
Seit vorigen Montag haben wir ein süßes Rehkitzchen. Ich habe es in meinem Zimmer zur Pflege. Ungefähr alle drei Stunden meldet es durch sein Ziepen einen Hunger an und wenn ich dann mit der Flasche komme, kommt es mir entgegen. Erst machte es etwas Mühe, bis es sich an die Flasche gewöhnt hatte, aber nun nimmt es sie gern. Leider meldet es sich auch nachts um 2 und um 5, fast immer um dieselbe Zeit.
29.6.1935: Ich denk nur noch an die Reise und kann mich gar nicht mehr recht auf meine Predigt vorbereiten. Als Text habe ich Hes.2,3-7; 1.) was für Leute beruft der Herr zu seinen Mitarbeitern, 2.) zu wem sendet er sie, 3.) Worin besteht der Auftrag ihrer Verkündigung. Morgen nachmittag ist in Helmeroth Gemeinschaftskonferenz, wo Prof. Kruse-Waldbröl spricht. Ich will auch hin. Von dort geht es dann zur Geburtstagsfeier von Frl. Hanna Müller. Montag ist in Mehren Pfarrkränzchen, an dem ich aber nicht teilnehmen kann, da ich Etats schreiben muss. Am 7. Juli hat Otto Geburtstag. Ich muss ihm noch etwas holen. Vielleicht besorge ich es in Köln. Ich glaube nicht, Liebes, dass ich Dir vor dem Wiedersehen noch einmal schreiben kann, höchstens ein Kärtchen. Aber Du weisst, wie ich mich freue. ...Bald sehen wir uns, bald!
Vom 4. bis 24. Juli waren Ruth und Eberhardt mit Ruths Eltern und ihrer Schwester Ursula bei der Halbschwester von Paul Liebert, der Fabrikbesitzersfrau Meta Spohn in Friedland/Schlesien auf Urlaub.
25.7.35: Mein Liebstes, nun sitz ich in Heringen im Gasthof zum "Deutschen Haus". Eben komme ich von meinem Besuch bei Borcherts[23] zurück. Der Wirt hatte mir sein Rad geliehen, da ging's schön schnell....Hans zeigte mir seine Kakteen, Heini brachte sein großes Pferd. Dann durfte ich auch Dein Zimmer sehen, durfte Heini und Titti ins Bett bringen wie Du es sonst immer tust....
26.7.35: ...dass ich Dich nun wieder missen soll, das will mir gar nicht in den Sinn....wegen meiner Predigt... Ach, die will noch gar nicht, ich bin in großer Sorge. Ich kann mich gar nicht recht konzentrieren......An Tante Meta schreibe ich nächste Woche; sag ihr das, bitte. Ich muss jetzt an meine Predigt. Denk an mich Sonntag um 10 Uhr. Ich bin so verzagt! ...
29.7.1935: ....Ich bin eben erst von Michelbach zurückgekommen und musste noch an Omi den Geburtstagsbrief schreiben, der sollte doch etwas ausführlich sein. Es ist jetzt spät geworden und ich muss mich noch etwas für meine Bibelschar und für Hausbesuche vorbereiten. Die Predigt verlief gestern glatt. Aber sie befriedigte mich nicht und ich fand keine Verbindung zur Gemeinde. Es war mir alles so fremd; überhaupt gleiche ich mehr einem Traumwandler;
Hilgenroth, den 30.7.1935: Mein Liebstes! Eine kleine Pause will ich in meiner Predigtvorbereitung machen, um Dir den versprochenen Brief zu schreiben;
Ganz schwermütig war ich, als ich wieder im Pfarrhaus war. So einsam kam ich mir vor inmitten der großen Familie .... manchmal kommt in mir ganz stark die Sehnsucht nach dem Tod;.....Muss nicht auch, wenn es um unsern Glauben richtig steht, immer diese Sehnsucht da sein, vom Glauben zum Schauen zu kommen .....Verzeih, wenn ich das alles schreibe, mein Rütherchen, aber sollte ein Christ nicht in aller Ruhe auch darüber sprechen können?
Meine Predigt liess mich sehr unbefriedigt; ich hatte sie mit großer Mühe in der kurzen Zeit zusammengestoppelt und suchte die 3 Punkte herauszustellen: 1.) Der Sünde abgestorben, 2.) Auferweckt zum neuen Leben, 3.) Berufen zum ewigen Leben. Erst als ich auf der Kanzel saß und alle die vertrauten Gesichter wieder sah, wurde es mir warm ums Herz. Nach dem Essen fuhr ich nach Michelbach. Wie freute ich mich, wieder bei Menschen sein zu dürfen, die mich verstehen und lieben. Ach, und mit welcher Freude wurde ich aufgenommen!
Bis 2 Uhr saßen Otto und ich noch auf; es gab ja so viel zu berichten. Heckenroth soll Herrn Eschemann gesagt haben, er habe noch nie einen so lieben, gehorsamen "Jungen" gehabt wie mich, aber als ich zur B.K. ging, sei ich nicht mehr zu gebrauchen gewesen. - Gestern hatte ich Bibelschar und machte einen Besuch bei einer alten Frau, bei der man jeden Tag mit dem Tod rechnet. Dann war ich noch bei Flemmers ganz kurz. Die Freude hättest Du sehen sollen. Ach, es gibt doch viel Liebe in der Welt, aber sie ist nur dort, wo auch Glaube ist.
Die Lieberts sind noch bis zum 2. August in Schlesien.
2.8.1935: Ich habe jetzt das Reich allein. Pfr. Korst ist gestern in Urlaub; zuerst für ein paar Tage nach Kirtzenhain (Hessen), dann will er wahrscheinlich in den Taunus. Ich habe diese Woche tüchtig Besuche gemacht, um über die Sehnsucht nach Dir hinwegzukommen und langsam gewöhne ich mich wieder an meine Umgebung....Sonntag habe ich Predigt 2. Kö.20,1-6; Kindergottesdienst und nachmittags will ich, wenn's geht, noch in Idelberg Bibelstunde halten. Dann komme ich besser über den Sonntag hinweg; denn mein Chef hat mir für die Zeit seiner Abwesenheit den Besuch in Michelbach verboten.
Das ist ja auch berechtigt, aber es ist schwer, so nah dabei zu wohnen und doch nicht hin zu dürfen. Otto will mich hier mal aufsuchen.
6.8.1935: ....Neben meiner Predigt, an der ich bis eben geschafft habe (die aber noch lange nicht fertig ist, sie geht über Mt. 7,13-14) sitze ich an einer Beerdigung, die morgen früh um 11 Uhr ist. Die alte Frau Krämer aus Rackensen ist endlich von ihrem schweren Leiden erlöst (Text: Off.7,13-17). Dazu kommt der Unterricht, vielleicht am Freitag noch eine Taufe, Arier (!) wollen auch erledigt werden und Sonntag nachmittag ist noch Jungfrauenverein. Ich habe Hochbetrieb. Nebenbei möchte ich gern noch Hausbesuche machen. Gelt, da bist Du mit einem Kärtchen zufrieden, Liebes? ....Nun habe ich eine große Bitte: Würdest Du so lieb sein und mir meine abgeschriebene Predigt für kurze Zeit leihen? Wir haben hier unter uns B.K.Vikaren einen Zyklus, in dem wir uns gegenseitig unsere Predigten zusenden. Nun sind meine eigenen alle so blau u. rot und kunterbunt, dass ich sie nicht weiterschicken kann, da sie für einen Fremden nicht zu lesen sind. Es eilt sehr, Liebes, und Du bekommst sie sofort zurück, wenn ich sie wieder in Händen habe.
....Am Sonntag habe ich auch tüchtig geschafft, morgens Gottesdienst u. KG, nachmittags Bibelstunde in Idelberg und noch 2 Hausbesuche. Gestern, Montag, hatte ich morgens Arier zu erledigen, nachmittags Bibelschar; dann wollte ich mir in Altenkirchen noch die Haare schneiden lassen u. Briefpapier kaufen. Als ich bei Müllers mein Rad unterstellen wollte, treffe ich dort zufällig Otto. Da war es natürlich mit dem Haarschneiden aus, denn zum Abendessen musste ich in Hilgenroth sein und so blieb uns sowieso nur 1 Stunde zur Unterhaltung. Nächsten Sonntag wollen Müllers und Otto u. Hilde zu meinem Gottesdienst kommen. Eigentlich hatten sie vor, mich dann gleich mitzunehmen; aber ich habe nachmittags absichtlich Dienst angesetzt, um ja nicht in Versuchung zu geraten. Alle Sonntage sind morgens und nachmittags besetzt. In 14 Tagen mach ich mit dem KG den so lange schon geplanten Ausflug zur Hohengrete; und in 3 Wochen mache ich den Elternnachmittag der Bibelschar. Ich sprach gestern mit dem Leiter des Posaunenchors, der ist so freundlich und unterstützt mich mit Musik. So wird Betrieb gemacht und ich hoffe sehr, dass alles gut geht. Manchmal bin ich selbst erstaunt über meinen Mut und doch meine ich, so müsste es sein, wenn ein Pfarrer sein Amt ganz ernst nimmt. - Heute nachmittag ist Pfarrkränzchen auf Hohegrete. Stoltenhoff ist dort und wird uns etwas über die Lage berichten. Ich freue mich sehr darauf. - Bei aller Arbeit habe ich doch immer noch Zeit, an Dich zu denken....
10.8.1935: ....Hätte ich nur mehr Zeit, dann würde ich Dir so gern auch mit einem Briefchen antworten. Aber ich muss so eifrig noch an meiner Predigt lernen, habe auch für den Jungmädchenverein noch nichts getan, den ich morgen halten muss. Zudem wollen Müllers, Otto und Hilde Sch. morgen in meinen Gottesdienst kommen. Da ist mir immer etwas ängstlich zumute. In meiner Predigt über Mt.7,13-14 schildere ich die beiden Wege und frage dann zuletzt: wo wir uns befinden. Zur Einleitung gehe ich von dem Entsetzen des Volkes aus, als es diese Worte hörte, und dass bei uns dasselbe Entsetzen vorhanden sein muss, wenn wir den Ausspruch Jesu hören wollen. Hauptlied: Mir nach, spricht Chr...., Schlusslied: Jesu, geh voran. Im Verein will ich über Zachäus sprechen. Das muss ich mir aber noch überlegen. Montag nachmittag soll ich zu Müllers kommen. Ich lasse die Bibelschar ausfallen, weil die Kinder jetzt doch alle in der Ernte sind. Wir üben dann Montag in 8 Tagen noch einmal für unsern Elternnachmittag, der morgen in 14 Tagen steigt, dann muss alles klappen. Ich will eine kurze bibl. Ansprache halten, wahrscheinlich über Mt. 10,32 vom Bekennen und Verleugnen. In 8 Tagen mache ich mit dem Kindergottesdienst einen Ausflug zur Hohen-Grethe. Schwester Emma will uns Kakao geben. Jedes Kind muss dafür 0,15 RM und eine Tasse mitbringen. Sie sagte, sie täte es mir zu Gefallen, weil ich ihr Weihnachten vor einem Jahr so freundlich ausgeholfen hätte. Das ist doch allerhand, nicht wahr? - Ich bekomme überhaupt soviel Schmeichelhaftes zu hören, dass ich mit der Zeit ganz eingebildet werde! Meine Predigten werden mir immer wieder vorgehalten; auch meine Beerdigung am letzten Mittwoch! Durch meine Hausbesuche gewinne ich mir auch die Herzen der Leute. Und dabei ist es für mich so selbstverständlich, dass ich die Kranken besuche. Ich habe ja selbst die größte Freude daran. -
Hilgenroth, den 13.8.1935: ...Ich habe vorige Woche tüchtig geschafft und hatte am Sonntagabend das beruhigende Gefühl, daß ich mit gutem Gewissen ins Bett gehen konnte. Eine ganze Reihe Hausbesuche hatte ich gemacht; am Freitag 6 oder 7, hatte Unterricht gehalten, hatte eine Beerdigung in Racksen, und am Sonntag selbst den Gottesdienst (meine Predigt soll sehr gut gewesen sein, meinte Frl. Marianne; nach ihrer Meinung sei es die beste, die ich bisher gehalten hätte) und nachher den Jungfrauenverein, der sehr gut besucht war: 14 Mädchen. Wir übten einige Lieder für den Elternnachmittag meiner Bibelschar (Einen goldnen Wanderstab..., Du meine Seele singe... und: Danket dem Herrn, wir danken dem Herrn) dreistimmig ein, machten einige Spiele, dann las ich aus Jürnjakob Svehn, dem Amerikafahrer, einiges vor und hielt zum Schluss eine Andacht über Eph. 6,10ff; vier von den jungen Mädchen haben sich bereit erklärt, nächsten Sonntag den Ausflug des Kindergottesdienstes mitzumachen; ich hatte sie darum gebeten, weil ich nicht mit all den Kindern allein gehen wollte. Der Verein dauerte von halb drei bis 5 Uhr; dann war ich noch beim Presbyter Wirths zum Geburtstagskaffee eingeladen; er wurde 69 Jahre; Frau Pfarrer war mit ihrer Mutter schon um 4 Uhr hin; er wohnt hier direkt neben dem Pfarrhaus. ...
Morgens im Gottesdienst hatte ich sofort Otto und Hilde erspäht. Aber während der Liturgie brach Otto plötzlich ohnmächtig zusammen und mußte hinausgetragen werden; Du kannst Dir vorstellen, was ich für einen Schreck bekam; am liebsten wäre ich hinausgelaufen, mir wurde es selbst beinahe übel. Als ich dann zur Predigt auf die Kanzel stieg, saß Otto wieder an seinem Platz, aber nicht lange, da mußte er wieder hinaus. Mir war die ganze Andacht genommen; Hilde war auch vor Schreck ganz bleich geworden. Als der Gottesdienst zu Ende war, lief ich gleich hinaus, zog meinen Talar aus und suchte Otto in der nächsten Wirtschaft. Da fand ich ihn denn auch bei einem Gläschen Schnaps; er hatte sich am Sonnabend den Magen verdorben, war durch die Fahrt nach Hilgenroth überhitzt gewesen und bei dem langen Stehen in der Liturgie war der Schwindelanfall über ihn gekomnmen. Ich nahm ihn noch etwas mit ins Pfarrhaus, Frau Pfarrer machte ihm gleich ein paar Baldriantropfen zurecht, gab ihm etwas Kölnisch Wasser, da ging es denn wieder besser; aber sehr schlecht sah er immer noch aus.......
Ein eigenartiges Erlebnis hatte ich noch: In Altenkirchen traf ich auf der Straße ein Ehepaar, das mir sofort sehr bekannt vorkam; ich grüßte sie und sagte, sie wären doch sicher von Köln; da waren es wirklich die Eltern von Frl. Ilse Ecke, die Helferin im Kindergottesdienst Marienburg gewesen war und nun in Köln Philologie studierte. Sie waren gerade auf ihrer Ferienreise durch den Westerwald. War das nicht ulkig? Sie erkundigten sich gleich nach meinem Wohlergehen und waren sehr erstaunt, etwas vom Kirchenkampf zu hören; Leute, die in Köln jeden Sonntag zur Kirche gehen; aber sie hatten keine Ahnung! .....
Nun muß ich an meine Predigt und an eine Taufrede, die ich am Freitag um 6 Uhr hier in H. halten muß. Meine Predigt soll wahrscheinlich über Mk.3,31 ff gehen. Mittwoch und Donnerstag habe ich Unterricht; dann kannst Du an mich denken von 3 – 5. - Es ist schön, so schaffen zu können. Ich weiss, dass viele für mich beten. Dir, mein Liebes, gehören all meine Gedanken und meine Liebe.
17.8.1935: Mein liebstes Rütherchen! Ein eigenartiger Tag war heute: so herrlich begann er und so kläglich endet er. Heute morgen war Generalsuperintendent Stoltenhoff mit seiner Gattin bei uns. Er fragte mich, ob ich nicht als Lehrer ins Barmer Missionshaus wollte nach dem 2. Examen,; er würde sofort dafür sorgen, ich sollte es nur keinem andern sagen. Ich habe durch das Examen noch einen Stein bei ihm im Brett. Nachher brachte ich sie noch ein Stück Wegs zur Hohengrethe, wo er als Hausgeistlicher bis zum 19. noch ist; wir sprachen über Gemeinschaft und er riet mir, ja mit ihr zusammenzuarbeiten, sie sei der Grundstock der Gemeinde. Er freute sich zu hören, dass ich sehr viel in Gemeinschaftsstunden gewesen bin. Zu schön waren die Stunden mit ihm und seiner feinen Gattin. Heute nachmittag um 5 Uhr war eine Trauung in der Kirche, die Pfr. Brinken-Hamm hielt. Um 6 Uhr war Kindtaufe, wo ich die Ansprache hatte (Jak.8,12) und da kam das klägliche Ende. Mir wurde furchtbar übel gerade bei der Ansprache. Nur mit Mühe kam ich durch und fiel dann auf einen Stuhl. Frau Pfr. Korst war ganz entsetzt, so bleich war ich geworden. Gräßlich unangenehm war mir das; es kam wohl durch die Hitze im Zimmer und durch die innere Erregung. Jedenfalls bin ich nun wieder besser, nur ein seelischer Druck lastet jetzt auf mir. Ich bin ganz verzagt und denke mit Grauen an den Sonntag. Gott wird wohl wissen, warum er das tut; die Bäume sollen nicht zu hoch in den Himmel wachsen. Ganz klein und schwach komme ich mir wieder vor. Wärst Du wenigstens jetzt bei mir; das Alleinsein ist in solchen Situationen nicht gerade ermutigend. Selbst im Gebet finde ich keinen Frieden. Wie eine Revolution geht alles in mir durcheinander. Das Schlimmste ist die Angst, die Angst vor der Aufgabe, die mir gestellt ist; kann ich überhaupt ein brauchbarer Pfarrer werden oder – bin ich als Sohn meiner Mutter doch nicht stark genug. Ja, bisher war alles gut gegangen, gewiss, besser, als ich je zu hoffen wagte, aber vielleicht sollte das gerade der Höhepunkt meines Lebens sein. Ich will es nicht glauben, ich will hoffen, Gott wird mir helfen und sein Wille geschehe – bloss – Du, hast du keine Angst? Hilf mir beten, ich will mich ja zum 2. Examen melden, es ist Zeit. Gott steh mir bei! Es wird schon morgen wieder ruhiger in mir sein. Behalt mich lieb, Rütherchen! Ich bin Dein Eberhard.
18.8.1935: Als wir eben um 8 Uhr nach Hause kamen von der Geburtstagsfeier bei Pfr. Maas-Altenkirchen, da fand ich Deinen Brief vor, der mich tief gerührt, gefreut und erschüttert hat.......
Also ich will gleich zum Thema kommen. Woher kommen meine Bedenken und Ängste? Sie kommen aus dem Unglauben, das ist mir jetzt ganz klar geworden; sie kommen daher, weil ich selbst mein Leben in die Hand nehmen möchte, um vielleicht weiter zu kommen als Gott für mich vorgesehen hat. Ich will alles sehr gut machen und jede Pleite bedeutet für mich eine Blamage, die ich nicht ertragen zu können glaube. Auch die Angst der Vererbung oder der erblichen Belastung ist Unglaube, ein sehr gefährlicher Unglaube, der zur krankhaften Einbildung werden kann.; und du hast ganz recht, wenn Du schreibst, ich hätte ein geregeltes Leben nötig. Ja, ich brauche Dich, Deine Nähe; wärst Du am Freitagabend bei mir gewesen und hättest mit mir reden können, es wäre mit der Depression nicht so schlimm gewesen.
.....Ich brauche Menschen, ich brauche Arbeit, um von mir selbst frei zu werden. Es ist eben letzten Endes Egoismus, der mich so viel mit mir selbst beschäftigen lässt; bin ich in der Gemeinde tätig, dann denke ich nicht an mich. Und vielleicht ist es gut, dass solche Niederlagen kommen, vielleicht muss ich sie haben; dafür war der Sonntag umso gesegneter. Otto meinte, ich hätte die beste Predigt gehalten seit langer Zeit, auch die drei Müllerinnen wären ganz begeistert gewesen. Sieh, das war nach dem kümmerlichen Freitag, wo ich ganz am Boden lag. ...
Der Schwindelanfall war auch durch innere Erregung hervorgerufen: weil ich mit Pfr. Brinken zusammen die Taufe hatte. Es war lediglich eine Schwäche, die über mich kam, genau wie Otto es auch hatte. Mir geht es ganz ausgezeichnet wieder und ich war heute den ganzen Tag sehr fröhlich. Schlafen tu ich nicht immer gut, aber durchschnittlich bin ich zufrieden....
Nein, Liebe, ich glaube, meine Angst ist unberechtigt; aber wenn ich solche Depressionen habe, solche innere Unruhe, gelt, dann kann ich doch zu Dir kommen und Dir's sagen. Ich bin dann gleich viel ruhiger, wenn es aus mir heraus ist. Verzeih, dass ich dich erschreckte; ich sollte mehr an dich denken und anders schreiben.
24.8.1935: ....Seit Mittwoch ist mein Chef wieder da; er nimmt mir heute die Beerdigung der Frau Schinnacker-Hilgenroth ab, die endlich von ihrem langen schweren Leiden erlöst ist. Morgen habe ich 3x zu sprechen: Gottesdienst, Elternnachmittag der Bibelschar u. Bibelstunde bei Müllers, da Herr Müller verreist ist. Pfr. Korst will Montag noch mal nach Dhüme zu seinen Eltern, die sehr klapprig sind. Dadurch habe ich auch nächsten Sonntag noch Gottesdienst. Er will Mitte September, wenn Christa Ferien hat, mit ihr u. Frau Pfr. noch mal nach Gevelsberg. So viel ich weiss, beginnen die Ferien am 18.9., am Geburtstag von Frau Schneider! Wie steht es eigentlich mit Deinem Kommen, Liebes? Wann wirst Du wohl in Rodenkirchen sein können? Wichtig: Vorgestern bekam ich die Nachricht, dass ich mich bis zum 1.9. zum 2. Examen melden muss. Ich komme nicht mehr ins Predigerseminar, sondern werde wahrscheinlich bis zum Mündlichen hier in Hilgenroth bleiben. Nun kann ich mich hier ja sehr schön einrichten und im Winter feste pauken. Ich wäre Dir dankbar, Liebes, wenn Du mir das, was Du von Kirchengesch.-Büchern daheim hast, besonders für die neuere und neuste K.G. - beim nächsten Urlaub schicken würdest. Auch, was sonst zum Pauken geeignet ist, nehme ich gern an. Hoffentlich kann ich alles schaffen. Ich wünschte, ich säße schon gut in meiner Pfarrstelle. Der Weg bis dorthin kommt mir arg weit vor. -
Hilgenroth, den 27.8.1935: Mein liebes Rütherchen! Heute muss es wieder sehr schnell mit meinem Brief gehen. Die Arbeit drängt sehr. Ich habe morgen eine Beerdigung von einem 41jährigen Mann, der an Lungenschwindsucht gestorben ist. Herr Pfarrrer fährt heute wieder fort nach Dhüme zu seinen Eltern und bleibt bis Montag dort. Da habe ich nächsten Sonntag auch wieder Dienst. Es macht mir ja Freude, mal richtig dran zu müssen, aber eins weiß ich ganz gewiss: Alle Familienkorrespondenz wirst Du später übernehmen müssen; ich bin fast immer am Schreiben. Diese Woche muss auch die Meldung zum 2. Examen weg. Vater hat mir leider das falsche Zeugnis geschickt, so dass ich wieder auf Morgen mich vertrösten muss. Mein Chef hat mir schon das Führungszeugnis ausgestellt u. Frau Pfr. meinte, ich könnte stolz darauf sein. Lesen darf ich es ja nicht. Ich wünschte mir, das Examen wäre schon gut vorbei. Ich glaube, eine Stelle bekäm ich sehr schnell. Herr Müller sagte mir am Sonntag, in Derschlag im Berg. Land hätte man mich sofort gewollt. Wie mein Ruf schon dorthin gedrungen ist, weiss ich nicht. Die Hilgenrother würden mich ja auch zu gern behalten.
Ich bin erstaunt, dass selbst alte treue Anhänger von Pfr. Korst jetzt über seine geringe Arbeitsfreudigkeit klagen. Ich suche ihn immer in Schutz zu nehmen. Aber er ist ja wirklich wieder gesund; wenn er wollte, könnte er mehr leisten.
Der Sonntag verlief auch sehr schön. Die Kirche war nicht so voll wie die letzten Male; das kam wegen meines Elternnachmittags, der am andern Ende der Gemeinde, im Vereinshaus Helmeroth stattfand. Der Saal war fast bis auf den letzten Platz besetzt. 150 Menschen sind nicht zu viel gezählt. Und viele waren dabei noch gehindert zu kommen. Es klappte alles sehr gut, Ein Junge vertat sich mal in seinem Gedicht, aber sonst ging alles glatt....(das Programm dieses Elternnachmittags befindet sich im Fotoalbum der Vikarszeit hinten eingeklebt.)
Von Helmeroth ging ich erst noch in das Sterbehaus und machte dort einen Beileidsbesuch, regelte auch alles wegen der Beerdigung. Zum Kaffee wurde ich beim alten Schuster Link aufgehalten, aber dann sauste ich so schnell es ging nach Michelbach. Otto hatte schon lange auf mich gewartet. Wir bereiteten uns erst noch etwas auf die Stunde bei Müllers vor, aßen zu Abend und gingen dann wieder los.....
Herr Müller hatte am Donnerstag eine 2 ½ stge Aussprache mit Pfr. Heckenroth. Er hatte ihm dabei sehr gründlich die Meinung gesagt u.a., dass er als Seelsorger für ihn gar nicht mehr in Frage käme; H. bat ihn, doch wieder zu ihm in die Kirche zu kommen (sein Gottesdienst ist jetzt leer), aber Herr Müller lehnte es ab, es sei denn, dass er eine andere Stellung einnehme. Auch von mir sprachen sie. Herr Müller hat richtig mit ihm zu Gericht gesessen u. H. war nachher ganz klein, weil Müller ihm Lüge über Lüge nachgewiesen hat. -
Heute will ich hier bleiben und Beerdigungsansprache und Predigt arbeiten. Um 4 Uhr ist die Beerdigung morgen; da kannst Du an mich denken. -
31.8.1935:.... ich hatte den 8.9. schon längst für einen Besuch zu Hause vorgesehen, da es der 1. und für länger auch der einzige Sonntag ist, an dem ich frei bin, Die nächsten soll ich öfters in Gebhardshain predigen. Ich freue mich natürlich sehr darauf, auch mal dorthin zu kommen; in Gebhardshain war ich noch nie. Morgen predige ich in Hamm; ich habe mit Pfr. Gebhard getauscht; da ich diese Woche 2 Beerdigungen hatte, meinte Frau Pfr., es wäre zu viel, wenn ich auch noch predigte. Nun, nach Hamm gehe ich gern; habe dort auch noch Kindergottesdient. Von dort fahre ich gleich mit dem Rad nach Helmeroth zur Einführung unseres neuen Bibelboten Köth, den ich gestern schon bei Müllers kennen lernte. Er macht einen sehr netten, bescheidenen Eindruck. Wir hatten uns in Bonn schon einmal gesehen. - Gestern waren Frau Pfr. u. ich zu Müllers eingeladen. Sehr nett war es dort; ich blieb noch zur Gebetsstunde da und fuhr dann noch heim. Stockdunkel war es. Herr Müller hatte mir eine Taschenlampe geborgt, aber ich konnte kaum etwas sehen und musste ganz langsam fahren.....
3.9.1935: ......Mein Chef ist gestern wieder gekommen und wir hatten heute morgen zusammen die Kirchenbücher in Ordnung gebracht. Da ist der ganze Morgen draufgegangen. - .....
Heute hab ich Bibelschar, da gestern Pfarrkränzchen in Daaden war, das mir sehr gut gefallen hat.
7.9.1935: Gestern habe ich noch tüchtig Hausbesuche gemacht. In drei Dörfern war ich und schaffte im ganzen 7 Besuche. Im Pfarrhaus war viel Besuch, verschiedene Pfarrfrauen, ein Oberstudienrat Lang von Betzdorf, Lehrer von Hans-Hermann, und Pfarrer Brinken. In der Woche halte ich das für Zeitverschwendung. Die Gemeinde wartet auf Besuche. Und in der heutigen Zeit kann man wirklich nichts Wichtigeres tun als Hausbesuche machen, um noch möglichst viele bei der Kirche zu behalten.
14.9.1935: ....Eine wichtige Mitteilung gleich zu Anfang: Ich habe meine Themen zu den schriftlichen Arbeiten bekommen. Die wissenschaftliche Arbeit lautet: Die Lehre von der Kirche nach dem Rheinisch-Westfälischen Gesangbuch. Die Predigt geht über Jak. 1, 22-25 und die Katechese über die 1. Bitte des Vaterunsers. Bis zum 15.12. sind die Arbeiten einzureichen. Das mündliche Examen ist sehr wahrscheinlich Mitte März. Nun weisst Du also, was ich zu tun habe. Als erstes habe ich mich mal an meine Predigt gesetzt. Für die wissenschaftliche Arbeit habe ich mir von Pfr. Maas schon etwas geholt, aber es gibt darüber keine richtige Literatur. Ich muss mir alles aus dem Gesangbuch selbst erarbeiten. Ich bin mit den Themen sehr zufrieden und hoffe , dass ich das alles schaffen kann.
Pfr. Müller wusste sehr viel zur Lage zu berichten und malte die Zukunft der Kirche nicht gerade rosig; aber sein frischer Mut steckte uns alle an. Ganz anders ist dagegen Pfr. Maas, der mit seinem Pessimismus direkt niederschmetternd wirkt (Pfarrer Maas war seiner jüdischen Abstammung wegen sehr angegriffen, auch tätlich. Eberhard scheint das nicht zu berücksichtigen.) Die Finanzabteilung der Kirche will der Staat übernehmen und man droht damit, der B.K. keine Gehälter mehr zu zahlen.[24] Jetzt kommt es darauf an, ob die B.K. wirklich B.K. ist oder ob sie nur so geredet haben. Es gibt noch viele, leider viel zu viele, die sich zwar äußerlich zur B.K. zählen, im Herzen aber immer noch ein Türchen offen haben, zu dem sie hinausflüchten können. Es ist wahrhaftig schwer, sich vorbehaltlos dem Herrn hinzugeben. Und er muss uns immer wieder von neuem gnädig sein, weil wir seine Treue nur mit Untreue belohnen. -
Hilgenroth, den 17.9.1935: Mein liebstes Rütherchen! Einen ganz süßen Brief hast Du mir am Sonntag wieder geschrieben und ganz überglücklich hast Du mich damit wieder gemacht. Es ist mir mal wieder ganz klar geworden – Du weisst, manchmal habe ich so besonders klare Augenblicke! - was für ein liebes, einzigartiges Rütherchen ich habe und darüber war ich ganz von Herzen glücklich und dankbar. ....dass ich mich unbeschreiblich auf die paar Tage unseres Zusammenseins in Rodenkirchen freue. Ich weiss nur nicht recht, wie das mit der Zeit passt. Wahrscheinlich, ja sogar bestimmt, habe ich am Sonntag nach meinem Geburtstag hier den Gottesdienst. Den kann ich nicht an Herrn Pfarrer abtreten; aber ich könnte die Predigt schließlich schon acht Tage vorher fertig machen. Nun kommt noch am Donnerstag mein Unterricht hinzu, den müsste mir mein Chef schließlich abnehmen – oder er müsste ausfallen. Beides ist mir nicht so sehr angenehm. Am liebsten wär's mir, ich könnte Donnerstag wieder hier sein. Und schließlich geht es auch so am besten, dass ich Montag nach Hause käme, das wäre der 14. Oktober und führe am 17. um 9:24 Uhr wieder zurück. Dann kann ich meinen Unterricht halten. Ich rechne auch so sehr mit einem gemeinsamen Besuch in Michelbach. Wenn wir zusammen heimführen, könntest Du während des Unterrichts im Pfarrhaus bleiben und dann würden wir zusammen nach Michelbach gehen. Du könntest dann, wenn es unbedingt sein muss, am 18. wieder heim fahren, aber schöner wäre es noch, wenn Du den ganzen Freitag bliebst, dass wir alle zusammen eine Wanderung nach Marienstatt machen könnten. Frl. Marianne würde dann vielleicht auch mit gehen, weil sie Ende Oktober wieder nach Hause fährt. - So ist mein Plan. Ich weiss nicht, was Du dazu sagst und ob die Eltern in Marburg damit einverstanden [25]sind. Aber so stelle ich es mir ideal vor. ....
.....Ich hatte ja Sonntag vertretungsweise in Gebhardshain zu predigen.. Samstag um 1 Uhr fuhr ich mit dem Rad hin und war glücklich um 20 vor 4 Uhr an Ort und Stelle. Die Fahrt war durch Gegenwind und bergige Wege sehr erschwert. ..
Der Gottesdienst war nicht gut besucht; die Kirche ist für die kleine Gemeinde zu groß. Als der Gottesdienst aus war, kamen die Presbyter ins Pfarrhaus und einer fragte sofort, ob ich nicht nächsten Sonntag auch wieder predigen würde. Zwei junge Leute aus dem dortigen Arbeitslager, von denen einer mich kannte, kamen auch ins Pfarrhaus, um mich zu begrüßen. Ich ging mit ihnen und ließ mich einmal durch das ganze Lager führen. Das Gebhardshainer Lager ist das Beste der ganzen Gegend. Ganz fabelhaft war es dort und ich bekam ordentlich Lust, auch einmal ins Lager zu gehen.
....Ich war schon in einer ¾ Stunde am Vereinshaus Helmeroth, also unsere Gemeinde. Dort machte ich Station, weil ein Pfr. Kirchhoff aus dem Berg. Land gerade eine Bibelfreizeit hielt. Ich hatte nicht viel Zeit, aber eine halbe Stunde blieb ich da und nahm noch an der Aussprache teil. Eine große Schar Bekannte waren dort; die Hälfte der Teilnehmer waren aus Betzdorf, alles gute Bekannte, viele Altenkirchener waren da, Hans-Muthard Winterberg, eine ganze Reihe meiner Betzdorfer Bibelschar, die mit großem Geschrei auf mich zu kamen, ich sollte wieder nach Betzdorf kommen; Herr Müller von Altenkirchen war auch da. Ich konnte gar nicht genug Hände haben, um allen guten Tag zu sagen. Es ist doch zu schön, in einem Kreis gleichgesinnter Menschen sein zu können. ---
.........meine Predigt gesetzt über Jak.1,22-25. Die ist nun für Sonntag fertig. Für's Examen muss ich sie wohl noch etwas anlängen, aber hier darf ich ja nicht über 22 Minuten sprechen. Heute habe ich mich mal an die große Arbeit gesetzt und aus den Bekenntnisschriften Stellen über die Kirche heraus gesucht. Nun suche ich mir im Gesangbuch die entsprechenden Lieder. Wahrscheinlich werde ich einteilen: Reformationszeit, Orthodoxie, Aufklärung, Pietismus, Gegenwart (d.h. So weit die letzten Lieder reichen, das geht dann bis ins 18. u. Anfang 19. Jahrh.)
Frau Pfarrer, ihre Mutter und Christa fahren morgen nach Gevelsberg. Christa hat 3 Wochen Ferien; da bleibt Frau Pfr. mit ihr so lange fort. Ich habe den strengen Auftrag, Herrn Pfarrer gut zu verwahren und abends mit ihm Rommé zu spielen. Lächerlich ist das; aber er kann sich abends nicht anders unterhalten. Ich werde mir das noch sehr überlegen. Schließlich können sich ja Hans-Hermann und Frl. Marianne opfern. Ich muss jetzt arbeiten.
21.9.1935: Mein einziges Rütherchen! Dass Euer Missionsfest so schön gelaufen ist, freut mich besonders für Herrn Pfr. sehr. So war doch seine Mühe nicht umsonst; und der Ertrag von 250 RM ist wirklich ein ganz schönes Sümmchen. Ich wünschte, bei uns geschähe auch mal etwas, was aus dem Rahmen des ewigen Einerlei herausfällt. Aber dafür ist man hier zu müde. - Ich habe diese Woche meine Predigt über Jak. 1,22ff fertig gemacht und will sie morgen halten. So ganz gefällt sie mir noch nicht, da ich meiner Meinung nach zuviel Gesetz und zu wenig Evangelium verkündige. Ich will mal hören, was mein Chef morgen sagt. - Meine wissenschaftl. Arbeit habe ich angefangen; aber bisher noch nicht viel fertig bekommen. An Literatur habe ich gar nichts; weiss auch nicht, woher etwas zu kriegen ist. Ich glaube, über dies Gebiet gibt es nichts. Ich muss mir alles aus dem Gesangbuch selbst erarbeiten. .-
25.9.1935: Gestern, wo eigentlich der „Schreibtag“ ist, war ich zur Pastoralen Gemeinschaftskonferenz auf Hohengrete und vorgestern war ich infolge einer Erkältung morgens im Bett, nachmittags hatte ich Bibelschar u. abends – nun Du weisst ja – Rommé. - Ich bin nun zum Glück wieder auf dem aufsteigenden Ast. ....
.... Ein Glück, dass ich Sonntag noch predigen konnte! Samstag war der Schnupfen so stark; aber Predigt, K.G. u. Jungmädchenverein verliefen noch glatt; ich strengte meine Stimme auch nicht so sehr an. Nach dem Verein fuhr ich noch nach Michelbach, um dort die freudige Nachricht Deiner Ankunft hinzutragen....
Gern nehm ich von Dir den Krüger-Hermelinck. Ich hatte mich noch nicht weiter umgehört. Vorläufig interessieren mich auch erst einmal die schriftl. Arbeiten. Von Pfr. Maas bekomme ich allerlei Literatur zu meiner wissenschaftl. Arbeit. -
Auf der Konferenz traf ich gestern auch Pfr. Winterberg; sehr herzlich begrüßte er mich und trug mir einen Gruß von seiner Frau auf. Alfred Zemke soll jetzt vorläufig als Hilfsprediger mit 100 RM Gehalt in B. bleiben. Zum Examen scheint er nicht zu kommen, da keine Leute da sind. Es sind verworrene Zustände!
Hilgenroth, den 1.10.1935: Heute bin ich ganz allein zu Hause; mein Chef ist zu einer wichtigen B.K.Vertrauensmännertagung nach Düsseldorf (es müssen augenblicklich entscheidende Fragen über Bestehen oder Aufhören der B.K. zu erörtern sein). Ich bin gespannt, was er heute abend für Nachricht mit nach Hause bringt. Es geht jetzt wohl um Leben und Tod der B.K., seitdem der Staat sich auch entscheidend zur Kirchenfrage geäußert hat. Wahrscheinlich kommt jetzt doch noch die Zeit, wo es wirklich darauf ankommt, ob es mit unserm Glauben ernst ist oder nicht. Was die B.K. im Fall des Verbots macht, ich weiß es nicht. Jedenfalls kann ich mir nicht denken, dass die Männer, die bisher für ihren Glauben Hab und Gut eingesetzt haben, nun auf einmal Verräter ihres Herrn werden sollten. Wir können doch einfach nicht anders, als das Dennoch des Glaubens zu sagen, zu bekennen. Nach etwas anderem haben wir nicht zu fragen; es kommt darauf an, dass wir ehrlich sind, nicht mit Politik und List oder Feigheit arbeiten. Nur vor einem offenen, ehrlichen Gegner hat die antichristliche Bewegung Achtung, und nur so wird sich Gott zu seiner Sache bekennen. Das ist mir ganz klar; wenn ich auch nicht weiss, wie wir aus der schwierigen Situation herauskommen, so weiss ich doch, dass wir jetzt nicht schwanken dürfen. Alles andere müssen wir Gott überlassen, der uns in diese Not hineingestellt hat; er wird wohl am besten wissen, wie wir wieder herauskommen. Erfährst Du dort gar nichts über die augenblickliche Lage? Der letzte "Brief zur Lage" hat ganz fürchterliche Berichte aus Mecklenburg gebracht. Man sollte es gar nicht für möglich halten, dass in einem civilisierten Staat so etwas möglich ist. Die Entchristlichung unseres Volkes ist schon sehr weit gedrungen. Ich weiss wirklich nicht, worin wir uns noch viel von Russland unterscheiden. Wenn man auf die Welt und die Menschen schaut, dann muss man als Seelsorger verzweifeln, aber es gibt ja doch noch einen Gott und "der im Himmel sitzet, lachet ihrer"! Das ist mein Trost.
Ich weiss nicht recht, ob es noch die Überbleibsel der Erkältung sind oder ob es mit dem Druck der Examensarbeiten zusammen hängt, ich habe eine ständige Unruhe in mir und dabei habe ich zugleich immer das Verlangen nach Schlaf. Am liebsten würde ich den ganzen Tag zu Bett liegen. Es fehlt mir jegliche Schaffensfreude; es ist ein gräßlicher Zustand. Jetzt wäre ich erst so richtig erholungsbedürftig; ich möchte in meinem Inneren Ruhe haben. Unglücklicherweise kommt rein äußerlich noch hinzu, dass in meinem Zimmer noch immer keine Heizung ist, so dass ich keine richtige Arbeitsstätte habe. Bald bin ich im Studierzimmer, bald muss ich ins Kinderzimmer; dann ist es natürlich mit der Arbeiterei auch solch eine Sache. Der ganze Geist des Hauses wirkt auf mich so erdrückend. Ich fühle mich immer weniger wohl hier. Du kannst Dir denken, dass dadurch die Sehnsucht nach Dir immer größer wird. Du bist der einzige Mensch, der mich ganz versteht und der über meine Sorgen und Nöte nicht mit einem Lächeln hinweggeht. Du musst mir jetzt auch mal wieder einen Ermutigungsbrief schreiben. Es ist fürchterlich, sich so allein zu fühlen. Wenn ich nach Michelbach gehe, dann lebe ich immer etwas auf. Aber meistens ist dort so viel Besuch, dass wir nichts voneinander haben. Am Sonntag war ich ja auch wieder dort und traf Siegfried Kaschunke, der Sonntagmorgen mit dem Rad angekommen war und um 5 Uhr wieder fort musste. Es ist doch allerhand, dass er um der paar Stunden willen die weite Fahrt macht. Nachmittags hatten wir von 1/2 4 – 1/2 5 Uhr Stunde bei Müllers. Dann besuchte ich in Michelbach noch ein paar alte Leute, die bei Schneiders angefragt hatten, ob ich nicht mal zu ihnen kommen wollte. Abends kamen dann noch Müllers, die eine Verwandte zu Besuch hatten, und blieben bis 11 Uhr in Michelbach. Wir gingen auch bald zu Bett. Am andern Morgen musste ich früh aufstehen, da ich schon um 8 Uhr am Helmerother Vereinshaus sein sollte, wo ich mich mit meiner Bibelschar zu einer Tageswanderung verabredet hatte. Ich hatte gar keine rechte Lust und wünschte immer, es sollte doch nur regnen. Aber die Sonne schien, und 17 Jungen waren da und warteten voller Freude, dass wir nur ja gehen sollten. Zwei Kochtöpfe, Maggiwürfel etc. war auch alles zur Stelle. Und wir zogen denn los. An die Nister ging's. Das Gras war zwar reichlich nass und meine Halbschuhe waren bald ganz voller Wasser, aber das erhöhte nur die Freude. Fünfmal mussten wir wenigstens auf kümmerlichen "Steinseln", das sind dicke Steine, die durch die Nister gelegt werden u. für Fußgänger als Brücke dienen, durch das Wasser, und jedesmal rutschte mindestens einer aus und fiel ins kühle Nass. Das erhöhte aber auch nur unsere Freude, besonders schön wurde es, als wir über ein Wehr mussten, wo das Wasser brausend herunter schoss. Da ging es nicht anders, wer jetzt noch trockene Strümpfe und Schuhe hatte, der musste hier daran glauben. Aber alles wurde mit Begeisterung gemacht. Als wir glücklich auch die Kleinsten hindurchtransportiert hatten, machten wir einen kleinen Dauerlauf (das Wasser schoss nur so aus den Schuhen heraus) und bald waren wir an unserem Lagerplatz. Schnell wurde ein Feuerchen entfacht und Strümpfe und Schuhe standen zum Trocknen um unser Feuer herum. Eine Kochgruppe kochte schnell etwas Kaffee, der uns auch gut tat u. dann wurde fürs Mittagessen gesorgt. Fußball, Völkerball und ein Geländespiel brachten Betrieb in die Gesellschaft und wir zogen um 1/2 6 Uhr hoch befriedigt wieder nach der Heimat. Mir hat die Fahrt nichts geschadet und ich hoffe, dass auch die Jungens alle gesund geblieben sind. Wir hatten abends alle wieder ganz trockene Schuhe.
Ich will jetzt mal wieder an meine Examenskatechese. Es ist 1/2 4 Uhr. Heute morgen habe ich meine Erntedankpredigt fertig gemacht. Sie geht über 1. Mos. 4, 3-5. Wenn die gut vorüber ist, dann brauche ich vor Deinem Kommen nicht mehr zu predigen. Ach, wär es nur schon so weit .....
Ich komme Montag oder Dienstag nach Hause und freue mich ganz toll auf unser Zusammensein. Zum Geburtstag würde ich gerne ein bisschen Betrieb machen. Margret Winterberg hab ich eingeladen. Vielleicht gelingt es, dass wir ein Tänzchen auf die Beine stellen. Die offizielle Feier ist ja am Dienstag, Mittwoch wäre dann für die Jugend!
Hilgenroth, den 8.10.1935: Mein liebstes, bestes Rütherchen! Hab vielen, vielen innigen Dank für Deinen herzlieben Brief, der mich richtig aufgerichtet hat. Es war mir so, als erwachte ich aus einem bösen Traum, als ich mir klar machte, wie reich ich in Dir bin und dass ich doch unendlich viel Grund zum Danken und Frohsein habe. Und dann, dass Du nicht ungehalten warst über meine Quängelei, sondern hast Dir Mühe gegeben, Dich ganz in meine dummen Sorgen und Ängste hineinzudenken, das alles zeigte mir wieder, wie wir zusammengehören ....
Der Gottesdienst war am Sonntag bis auf den letzten Platz besetzt. Es mussten sogar noch Bänke aufgestellt werden. Wunderschön war's, vor einer vollen Kirche zu stehen. Du hast sie ja damals auch so besetzt gesehen. Ich war vorher noch sehr unruhig gewesen und musste mir immer wieder im Gebet Kraft schenken lassen; ich glaube, auch bei der Liturgie merkte man mir meine Unruhe noch an. Aber als ich dann auf der Kanzel stand, da war ich innerlich frei und mein Text wurde mir ganz lebendig. Ich spürte auch, wie die Gemeinde aufmerksam zuhörte; da war ich ganz freudig. Mein Chef sagte mir nachher, ich hätte eine feine Predigt gehalten, die ihm sehr zugesagt hätte.
Gestern hatten wir Pfarrkränzchen in Hamm. Es war sehr nett! Das nächste Mal soll ich die Schlussandacht übernehmen. Was wir über die kirchl. Lage hörten, war sehr ernst, nicht nur für die B.K. steht es schlecht, dem Christentum als solchem wird der Kampf angesagt.
Hilgenroth, den 8.10.1935: (An seine Eltern in Rodenkirchen)
Montag war Pfarrkränzchen in Hamm, wo wir wieder allerhand hörten, was Anlass zur Sorge gab. Der Kampf zwischen der nationalen Weltanschauung und dem Christentum geht immer weiter u. nimmt immer schärfere Formen an. Beide müssen ihrem Wesen entsprechend Absolutheitsforderungen stellen u. es geht nur um ein Entweder-Oder. Wer weiß, was der Kirche noch alles blüht, nicht nur der Bekenntniskirche. Das sind alles nur Geplänkel vorläufig; man will nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen; das wäre auch undiplomatisch. Aber es kommt eins nach dem anderen. Aber die Bekenntniskirche steht fest gegründet auf dem lebendigen Glauben an unsern Herrn und Heiland Jesus Christus und lässt nicht mit sich handeln und schachern.
Am 12.10.35 fuhr Ruth nach Rodenkirchen und machte zwei Stunden Zwischenhalt in Au, wo Eberhard sie allein treffen konnte. Am 14.10. fuhr Eberhard nach Rodenkirchen, am 17. fuhren beide zusammen nach Hilgenroth/Michelbach (Bahnhof Breitscheid). Ruth reiste am 19. Oktober wieder nach Marburg zurück.
Hilgenroth den 21.X.1935: Nun will ich noch schreiben, bis der Briefträger kommt und Dir noch einmal – ich muss es ja immer wieder tun – danken für all Deine große reine Liebe, mein Rütherchen. Die hinter uns liegenden Tage schweben wie ein strahlendes Licht vor meiner Seele und dieses Licht muss nun die Dunkelheit immer wieder vertreiben, die über mich kommen will, seit ich wieder allein in meinem Stübchen sitzen muss. Als ich Dich in Breitscheid nicht mehr sehen konnte, wurde mir das Herz so unsäglich schwer, dass mir fast die Tränen kamen; und ganz langsam und müde bin ich dann den Berg hinaufgestiegen, den wir vor 2 Tagen noch so froh miteinander erstiegen hatten. ....
Dass wir zusammengehören, wusste ich längst, aber besonders klar wurde es mir, als ich zum 1. Mal in Deinem Beisein beten und Andacht halten musste. Davor hatte ich immer etwas Angst und doch, als ich's musste, da wurde es mir leuchtend klar, dass auch in unserem Glaubens- und Gebetsleben so gar nichts Trennendes zwischen uns ist, dass ich mich nicht besonders einzustellen brauchte, sondern dass wir uns auch in dem Größten verstehen und eins sind. Das hat mich ganz glücklich gemacht. Also hat der gute Herr Müller und der liebe Otto mich doch nicht so ganz verdorben. ...
wie schwer war mir doch das Herz. Da dachte ich, ich könnte nicht mehr recht froh werden. Und nun bin ich's doch wieder. Die Arbeit hat über das viele Sorgen hinweggeholfen. Das Gesangbuch habe ich ganz durch und mir aus jedem Lied herausgeschrieben, was über die Kirche darin zu finden war. Nun muss ich alles nach einzelnen Gesichtspunkten ordnen. Morgen habe ich K.G.; ich will mit den Kindern eine Weihnachtsfeier machen. Diese Woche war ein Buchhändler aus Honnef hier, bei dem habe ich Bücher und Bilder für die Kinder bestellt – natürlich auf Kosten der Kirchenkasse. Aber auch für mich persönlich habe ich mir Bücher bestellt für etwa 20 RM. -
29.10.1935: ...Du weisst, der Chef hat Geburtstag und seit gestern ist das Haus voller Gäste, da hab ich keine Ruhe zum Schreiben. Zum Glück ist meine Predigt für Sonntag fast fertig; Rö. 3, 28 als Text. - Jetzt, wo das Haus voll Besuch ist, da spüre ich so deutlich den Gegensatz zwischen allen anderen Menschen und Dir. Das Bewusstsein, Dich zu besitzen, gibt mir ein gewisses Überlegenheitsbewusstsein, ich bekomme dadurch viel mehr Selbstbewusstsein, wenn ich mir sage, das kluge Rütherchen, das all die anderen an Geist überrtrifft, hat dich lieb. Du verstehst, dass ich nicht stolz und überheblich werde, nur die Menschenfurcht, die mir sonst anhaftete, überwinde ich jetzt leichter.
Hilgenroth, den 1.November 1935: ......ein Kärtchen von Mutter, die sich jetzt noch über mein schlechtes Aussehen aufregt. Sie schreibt: „Von allen Seiten bekomme ich zu hören, wie schlecht Du ausgesehen hättest!“ Ich weiss nicht, was ich tun soll; ich kann doch für meine „vornehme Blässe“ nicht verantwortlich gemacht werden. Die Hauptsache ist doch schließlich, wenn ich mich wohl fühle und das tu ich jedenfalls. Es mag ja auch sein, dass sich bei mir jegliches Unbehagen – auch seelischer Art – gleich im Aussehen bemerkbar macht. Das ist aber dann nur vorübergehend.
Der Dienstag war sehr nett geworden. Ich habe morgens noch eine kleine Ansprache über Joh. 16,33 vorbereiten wollen, kam aber nicht mehr dazu; da ich für Christa ein Gedichtchen machen musste und an einem lustigen Gedichtchen, das ich mit Frl. Marianne zusammen vortragen wollte einige Verse noch hinzudichten musste. ....Zuerst fand die Geburtstagsfeier statt. Herr Lehrer hatte sich eine Rede über den 121. Psalm ausgearbeitet; man merkte, dass er einen Kommentar benutzt hatte. Die las er vor und ließ dazu 6 Verse von dem Lied: Ich singe dir mit Herz und Mund...singen. Ich hatte zuerst vorgehabt, nichts zu sagen. Aber angeregt durch seine Ansprache, stand ich kurz entschlossen auf und hielt eine freie Rede über Joh. 16,33. Ich hatte diesen Vers absichtlich genommen, weil ich gleichzeitig auch für Frl. Marianne einige Abschiedsworte sagen wollte. Zum Schluss sprach ich ein Gebet und dann ging's ans Auspacken der Geburtstagsgeschenke. Ich hatte in Altenkirchen ein Farbband für die Schreibmaschine besorgt. Christa sagte ihr kleines Gedichtchen auf und erntete großen Beifall. .....Nach dem Kaffee trugen Frl. M. und ich dann unser Geburtstagsgedicht vor nach einer bekannten Volksweise; und wir erregten große Heiterkeit auf allen Seiten. ......
Mit meiner Arbeit komme ich langsam vorwärts. Eine Unmenge gibt es da noch zu tun. Gestern habe ich bis ½ 12 Uhr gearbeitet. Nebenbei lerne ich meine Reformationspredigt. Zudem ist Montag Pfarrkränzchen in Gebhardshain, wo ich die Schlussandacht halten soll. Ich weiss kaum, wie ich alles schaffen soll. Froh bin ich, wenn der Montag vorbei ist. Herr Pfr. hatte gestern eine Kindtaufe in Helmeroth und heute eine in Nassen.
In meiner Reformationspredigt über Rö.3,28 will ich zeigen, wie Luther erst versuchte, durch Werke gerecht zu werden (Kloster, Fasten, Geißeln etc.) und wie er dann erst beim Lesen der Bibel den gnädigen Gott findet: allein aus Glauben. - wie ihn dieser Glaube zum Glaubenshelden macht, dessen wir heute auch würdig sein müssen, wo es wieder um das Entweder-Oder von Welt und Kirche Jesu Christi geht. Ich gehe sogar so weit, dass ich frage, ob wir bereit wären, wenn Nationalsozialismus gg. Christentum ausgespielt würde, das Ja dem Christentum zu geben: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Luthers Lieder bereiten die Gemeinde auf meine Predigt vor. - Im Kindergottesdienst bespreche ich die Weihnachtsfeier......
Über die kirchl. Lage hört man wieder nichts Gutes. Fink hat eine Rede gehalten über Entkonfessionalisierung der Beamten; Göring hat schwer auf die Kirche geschimpft. Was das noch werden soll, wer weiss! Aber ich bin wohlgemut, Gott, der in uns angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollenden. Dessen bin ich gewiss. Je mehr die andern schimpfen und wettern, desto gewisser wird mir mein Glaube. Denn alles hat die Bibel schon vorausgesagt. So muss es kommen und nun kommt's drauf an, auszuharren bis ans Ende.......
Hilgenroth, den 5.XI.1935: ...Da liegen die beiden Bildchen vor mir, wo Du so ganz groß und lieb drauf ausschaust und ich kann mich wieder nicht satt sehen..... Und dabei stieg es heiß und überfroh in mir hoch: das ist Dein Rütherchen, die wird einmal an Deiner Seite durchs Leben gehen. Ach, dann hätte ich laut singen mögen.....
Sonntag war die Kirche ganz besetzt; meine Predigt klappte gut u. mein Chef war zufrieden. Mittags fuhr ich nach Altenkirchen ins Krankenhaus und besuchte dort drei Kranke, davon 2 aus unserer Gemeinde. So kam ich erst um ½ 5 Uhr nach Michelbach, von allen schon sehnlichst erwartet....zu meinem Schreck hörte ich, dass ich abends die Stunde selbst halten musste. Ich machte es einfach und hielt meine Predigt; das Stübchen war ganz voll und mir wurde nachher gesagt, es wäre sehr schön gewesen. Bis 12 Uhr blieben wir noch in Altenkirchen, dann ging's heim. .....Am andern Morgen fuhr ich ½ 9 Uhr ab nach Gebhardshain zum Pfarrkränzchen, das diesmal sehr ordentlich war. Um 5 Uhr war meine Schlussandacht. Mit Zittern fing ich an u. froh endete ich. Gott hilft immer wunderbar. Wir sprachen vor allem über den Reichsausschuss[26], wobei die jüngeren Pfarrer und Vikare dagegen und vier ältere u. alte dafür waren. Heftige Auseinandersetzung! Abends wurde ich mit dem Auto bis Altenkirchen mitgenommen, aß bei Müllers zu Abend u. fuhr um ½ 10 bis Obererbach, von dort ging's zu Fuß durch die Nacht. Heute habe ich Bibelschar. Ab morgen muss wieder tüchtig an der Arbeit geschafft werden. Die Zeit drängt. Ich bin bald in Sorge. Aber lieb habe ich Dich arg! Gestern kam Brief von Omi-Köln: „wir haben Dich so lieb u. denken viel an Dein Ergehen. Es macht uns Sorge, dass Du nicht gut aussiehst...“
Hilgenroth, den 8.XI.1935:..... Mir wird das immer deutlicher an Deinen Briefen, wie verwandt wir uns sind in unserer Einstellung zum Leben, zur Gesellschaft, zur Religion. Ich glaube nicht, dass das von Anfang an war, aber es wurde so, weil wir uns wirklich ganz lieb haben, da kann es ja schließlich nichts Gegensätzliches mehr geben. Ist es da noch erstaunlich, wenn ich wieder arg große Sehnsucht nach Dir habe, mein Einziges? Ich komme mir so allein vor hier im Pfarrhaus. Ich habe tüchtig an meiner Arbeit geschafft und bin jetzt ein ganzes Stück weiter gekommen. So langsam kann ich sie jetzt übersehen, ja, ich hoffe, in der nächsten Woche mit ihr im Unreinen fertig zu werden. Über den Aufbau will ich Dir schreiben, wenn sie fertig ist. Ich ändere voraussichtlich noch manches um. Ich bin nur froh, wenn die Woche zu Ende ist und der Sonntag da ist, wo ich wieder nach Michelbach kann. Das ist ja meine einzige Freude. ....Montag muss ich nach Herchen zum Bezirksseminar.
.........ein Brief von Frau Pfr. Winterberg, die mich zur Hochzeit ihrer Tochter Hildegard zum 26. einlud. Da der Bräutigam keinen Brautführer aufzuweisen hat, soll ich den spielen; das Blumenbouquet wollte sie stellen, ich sollte nur erscheinen. Außerdem sollte ich zur Unterhaltung allerhand beitragen! Stell Dir das vor! Was sagst Du nun? Heute, wo ich mir die Sache etwas aus der Entfernung ansehe, sage ich mir, dass es unmöglich ist, als B.K.Vikar an der Hochzeit eines D.C. teilzunehmen, schon allein um der Gemeinde willen, die mich doch kennt. Und ich habe das Gefühl, als täte es Frau Pfr. W. nicht aus Freundschaft oder Liebe zu mir, sondern nur um der äußeren Aufmachung willen. ....Da sie sehr schnell Bescheid erwartet, will ich Sonntag mit Müllers und Schneiders darüber verhandeln. .....Mutter schrieb mir gestern, Vater habe jetzt in Aussicht, seine Arbeit für die N.S.V.[27] bezahlt zu bekommen. Er soll monatlich 150 RM erhalten.....Klara bekommt auch pro Tag 1 RM, außerdem das Mittagessen und den Kaffee. Die Frau, die sie zu versorgen hat, soll gemütsleidend sein; Arbeit scheint Klara dort nicht zu haben. Ich möchte mal wissen, wie die beiden sich die Zeit vertreiben! -
Mein Chef ist nach Dhüme zu seiner Mutter und kommt heute abend zurück. Do. ist er fortgefahren. Da konnte ich die Abende mal schön zum Arbeiten ausnutzen. Nächste Woche komme ich nicht viel weiter, da ich wieder die Predigt habe. Wahrscheinlich nehme ich als Text: David und Goliath (1. Sam. 17,44 – 47) und will dann herausstellen, was es bedeutet, im Namen des Herrn Zebaoth zu streiten. - In einer der letzten Nächte hatte ich einen ganz eigenartigen Traum: Ich träumte vom Examen, das ich mit großer Mühe bestand; und als ich dann ganz abgekämpft aus dem Prüfungszimmer kam, standest Du im Brautkleid vor mir und wir gingen sofort in die Kirche zur Trauung. Vor der Kirche standen alle Hilgenrother und reckten neugierig die Hälse. Leider wurde ich durch das neugierige Anstarren wach, so dass ich Dir die Trauung selbst nicht mehr berichten kann. Ob das alles so - oder so ähnlich - bald in Erfüllung gehen soll!? Ich habe mich jetzt schon so in die Wartezeit eingelebt, dass ich es mir gar nicht recht ausdenken kann, wie es sein wird, wenn wir mal für immer beisammen sein werden. Das kommt mir so paradiesisch schön vor, dass ich meine, es könnte hier auf dieser armen Erde niemals in Erfüllung gehen....... Ich möchte so gern wissen, wie Du Dich als Pfarrfrau ausnimmst!! - Sonntag habe ich wieder Kindergottesdienst. Ich bin gespannt, ob die Kinder schon tüchtig für unsere Weihnachtsfeier gelernt haben. Sie gingen mit solchem Eifer an die Arbeit. Zu nett ist das. Nachmittags will ich erst mal ins Krankenhaus zu unserm alten Opa Pick (dem Du ja auch die Hand gedrückt hast). Vielleicht sind noch andere Kranke zu besuchen....
Hilgenroth, den 12.11.1935: ......Montag musste ich ins Seminar nach Kerchen. Das war sehr ordentlich; natürlich ist die junge Theologenschaft vorbehaltlos für die Ablehnung des Ausschusses. Ich halte es auch für richtig so; alles andere ist keine saubere Arbeit und darauf kommt es ja an. Nicht „abwarten“ etc., sondern fragen, ob das, was geschieht, auf Grund von Dahlem und Barmen geschieht oder nicht. Wenn nicht, dann Ablehnung, weil wir uns selbst sonst untreu werden. Die Leute, die von der B.K. im Ausschuss sind, hinken sehr auf beiden Seiten (Schmidt-Oberhausen besonders!) - Mit meiner Arbeit komme ich diese Woche nicht viel weiter, wo ich Sonntag Predigt habe. Heute muss ich zur Bibelschar und dann liegen wieder viele Arier[28] bereit! Ich will gleich an Winterbergs abschreiben. Müllers meinten zwar, ich sollte hinfahren, aber ich kann es wirklich nicht, allein schon um der Gemeinde willen.....
Hilgenroth, den 15.11.1935: ......Es kommen jeden Tag eine Unmenge Arier[29] und ich sitze oft den ganzen Morgen an diesen Sachen. Nun ist meine Predigt auch noch zu erledigen gewesen und an meiner Arbeit will ich täglich auch ein bischen schaffen, da bin ich ganz vom Schreiben abgekommen. Ich kann Dir auch diesmal nicht viel schreiben, Liebes, Du musst Dich diese Woche arg bescheiden; denn am Mittwoch muss ich schon wieder in Volkerzen sprechen und nächsten Sonntag, Totensonntag, habe ich auch den Gottesdienst. Ich habe jetzt etwas Angst, ob ich mit meinen Arbeiten fertig werde. Scheußlich ist das. Meine Predigt geht am Sonntag über 1. Sam. 17,45 -47; ich spreche zuerst von der lächerlichen Unmöglichkeit des Kampfes zwischen David und Goliath und vergleiche damit den Kampf des Christen gg. die Sünde, der Kirche gg. das Heidentum; wie aber die Situation dadurch, dass Gott mit David ist, gerade umgekehrt wird, so dass es lächerlich ist, wenn Goliath gg. David, d.h. gg. Gott kämpft. 3) Wie der Glaube David die Gewissheit des Sieges gibt.4) Wie er den Sieg erringt, weil er nicht eigene Ehre, sondern Gottes Ehre sucht – auf dass alles Land, auf dass die Gemeinde innewerde, dass ein Gott da ist.
Wenn ich wieder mehr Ruhe habe, kommen wieder lange Briefe. Aber jetzt steht mir nur meine Arbeit vor Augen; es ist ganz scheußlich. Stell Dir vor, ich würde nicht fertig! Das ist nicht zum Ausdenken! - Die Warnung in Deinem Brief wegen Ansteckungsgefahr wurde von mir leider nicht beachtet und nun habe ich zu allem Überfluss auch noch einen ordentlichen Schnupfen bekommen. Geht es Dir denn wieder besser, Liebes? Du siehst wieder einmal unsere Seelenverwandtschaft; sogar bis auf die Erkältung stimme ich mit Dir überein! ..... Dass ich bei Winterbergs abgeschrieben habe, wirst Du wohl wissen. Pfr. Korst war von meinem Brief ganz begeistert.....Ich bin gespannt, ob ich Antwort darauf bekomme. Ich möchte ja nicht mit W. in Streit geraten u. zu jeder anderen Gelegenheit wäre ich schließlich hin, nur nicht zur Hochzeit.....
Hilgenroth, den 18.11.1935: ......Die Predigt klappte. Ich bekam nur im Schlussgebet einen scheußlichen Hustenreiz, so dass ich nur in Absätzen sprechen konnte; immer wieder musste ich husten. So war der Schluss recht blamabel; aber ich hoffe, die Predigt gleicht diesen fauts pas (?) wieder aus. Mittwochnachmittag muss ich nun in Volkerzen bei Flemmers Stunde halten und Gott wird mir helfen, dass ich alles schaffen kann. - Meine Erkältung ist wieder fast weg. Müllers gaben mir „Bryomion“, das mir sehr gut getan hat. Sie sind ja hier alle gleich schrecklich besorgt um mich. Auch Pfarrers sind rührend nett. Sie gab mir gleich warme Unterwäsche von ihrem Mann ... Jetzt reden sie immer schon von meiner Ordination. Die soll natürlich hier stattfinden. Dann sollst du vorher ein paar Tage zur Vorbereitung kommen. Ich glaube, das gäbe ein großes schönes Fest, weil die Gemeinde daran regen Anteil nehmen würde. Aber wir wollen nicht so kühne Pläne machen. Erst das Examen. Ach, wär's nur gut überstanden! Ich habe so gar nicht die rechte Schwungkraft. ....
Hilgenroth, den 23.11.1935: ....Hier habe ich Dir mein Programm für die K.G.-Weihnachtsfeier abgeschrieben; hoffentlich ist alles klar verständlich. Ich habe auch schon tüchtig mit den Kindern geübt. „Tochter Zion, freue dich...“ war ihnen noch ganz unbekannt; und die Oberstimme zu „Ihr Kinderlein kommet...“ saß auch nicht so schnell. Zum Glück kann man den Mädchen immer noch mehr zutrauen an Sangeskünsten als den Knaben. Die zur Aufführung ausgewählten Kinder haben mich diesmal nicht enttäuscht. Der Sprechchor will noch nicht so recht mit den Einsätzen klappen; die Jungen waren faul im Lernen. Die Feier soll am 4. Advent nachmittags 3 Uhr in der Kirche sein. Abends können wir ja leider nichts machen, 1) wegen der weiten Wege und 2) wegen fehlender Beleuchtung. - Morgen habe ich auch Gottesdienst. Als Text habe ich 1. Thess.4,15+16 und will erst von der furchtbaren Macht des Todes sprechen, der der Zerstörer aller menschlichen Hoffnung ist und dann von dem auferstandenen Christus, der dem Tod den Stachel genommen hat. Ich bin mit den Ausführungen noch nicht zufrieden und werde wahrscheinlich ganz anders sprechen, als ich mir ausgearbeitet habe. Ich bin noch in großer Angst vor morgen. - Schön war der Mittwoch. Pfr. Korst hatte morgens eine gute Predigt über Mtth. 11 (Choragim etc.). Ich ging nachmittags zu Flemmers zur Bibelstunde. 80 Leute waren da in Volkerzen. Drei Zimmer dicht besetzt; sogar von Helmeroth waren sie gekommen; 1 Stunde und noch mehr zu laufen. Zuerst sprach der Bote der Evgl. Gesellschaft über den Schluss von Mtth. 7, blieb aber leider garnicht beim Wort, sondern schmückte seine Predigt mit sehr vielen Geschichten und Gedichtchen aus. Ich sprach dann noch über Rö. 2,1-4 mit dem Thema: Tut Buße u. glaubet an das Evangelium. - Von Michelbach waren Otto u. Hilde und Ferdinand Rademacher gekommen.....Ich brachte Otto bis auf die Straße in Hüttenhofen (weisst Du, das ist die asphaltierte Straße, über die wir im dunkeln auch einige 100 m gegangen sind). Um 9 Uhr war ich daheim. Morgen nachmittag ist große Gemeinschaftskonferenz in Rosbach (Sieg), wo der Bergische und der Westerwälder Kreis zusammenkommt. Wir fahren um 11 Uhr mit dem Zug hin. Otto besorgt mir von Altenkirchen aus eine Sonntagskarte. Ich freue mich schon sehr darauf. Nächste Woche werden meine Arbeiten fertig und dann beginnt die Tipperei. Meine Erkältung ist wieder ganz in Ordnung; hoffentlich geht es Dir auch gut, Liebes!
Hilgenroth, den 26.11.1935: .....Nun dachte ich, diese Woche nur an meiner Arbeit sitzen zu können, da kommt für nächsten Sonntag eine Vertretung in Wissen dazwischen und nachmittags eine Ansprache im Vereinshaus Helmeroth. Das wird mir doch bald ein bischen zu bunt. Arier sind auch zu erledigen und mein Chef hat sich ins Bett gelegt wegen einer harmlosen Erkältung.....Ich bin schon ganz unruhig, ob ich alles schaffen kann. Gestern habe ich auch nichts tun können; allerdings hatte ich da einen schönen Tag.....besuchte am Morgen die junge Frau Rademacher (die die beiden kl. Mädchen hat). Seit der Geburt des 2. Mädchens kommt sie nicht mehr zu Kräften. Ob sie Schwindsucht hat, keiner weiss es. Sie liegt ständig zu Bett, hat keinen Appetit u. ist immer müde und schwach. Wir machen uns große Sorgen um sie; ob Du ihr mal schreibst: Martha Rademacher b/Robert Eschemann, Michelbach b/A.i.W. Ihre Mutter lässt dich herzlich grüßen: auch Schn. u. Müllers. Ich war 1/2 Std. bei der Martha; sie hat in allem Schweren doch einen kindl. Glauben, dass Gott ihr helfen würde. Dann war ich noch im Krankenhaus beim Opa Pick, dem es gar nicht gut geht und sich sehr über meinen Besuch freute. Nach dem Essen, das ich noch bei Sch. einnahm, fuhr ich mit dem Omnibus bis Reiffelbach, Gem. Altenkirchen und besuchte dort einen alten lb. Bekannten, Peter Schneider, dem ich schon vor einem halben Jahr einen Besuch versprochen; er ist krebskrank. Als ich in sein Zimmer trat, sagte er strahlend: „Herr Vikar, als Sie zur Haustür hereinkamen, habe ich Sie gleich an der Stimme erkannt. Den ganzen Sommer habe ich auf Sie gewartet.“ Und dann haben wir über 1 Stunde mit seiner lb. Frau, Mutter u. seinem Sohn zs.gesessen, und von Gott und Christus gesprochen u. als ich zum Schluss eine kl. Andacht hielt, war es, als sei der Friede Gottes in unserm Zimmerchen. Beim Weggehen kamen dem Kranken die Tränen und er sagte; „Nicht wahr, jetzt lassen Sie mich nicht mehr so lange warten!“ Und seine Frau bat mich vor der Tür, doch bald wieder zu kommen, ihr Mann verlangte so oft nach mir. Wie reich machte mich dies Erlebnis! Ich hatte dann noch Bibelschar und traf einen jungen Lehrer, der jetzt in Helmeroth ist, mit dem ich mich auch 1 Stunde unterhielt. So kam ich müde nach Hause; im Dunkeln musste ich von Eichelhardt nach hier laufen. Am Sonntag war die Kirche brechend voll (350 Leute); und nachmittags war es in Rosbach bei der Gemeinschaftskonferenz wunderschön: Thema : Das Heimweh der Völker und die Heimat in Christus; Referat von Pfr. Lic. Brandenburg-Berlin.- Hast Du mich noch lieb? Ich denke so oft an Dich; wenn ich so viel erlebe, möchte ich Dir's gleich erzählen, Du mein Einziges. ....
Hilgenroth, den 30.11.1935: ...Der letzte Tag des alten Kirchenjahres ist da und morgen ist Advent. Wieder hören wir das Wort: siehe, dein König kommt zu dir; wieder geht ein neues Hoffen und Sehnen in uns auf. Ob dieses Jahr endlich zum Ziel führt? Was mag es uns und unsrer Kirche alles bringen. Gestern erhielten wir keine gute Nachricht über die Aussicht der B.K. Versteh mich recht: Ich will nicht zurückfliehen, ich weiss, dass wir bisher nicht in fleischlichem Zorn um die Kirche geeifert haben und ich weiss auch, dass der größte Teil der B.K.-Pfarrer fest steht, aber manchmal denkt man doch wie Elias in der Wüste: Es ist nun genug. So nimm denn meine Seele von mir. Und dann packt mich vor allem die Angst um Dich. Du hast mit so großem Vertrauen Deine Hand in meine gelegt u. ich kann Dir nichts geben; ich bin schließlich wie ein Rohr, das im Winde hin- und hergetrieben wird. Und wenn dann die Mutter noch schreibt, ich hatte immer gehofft, wenigstens eins meiner Kinder sei versorgt, wenn ich einmal die Augen schließe, dann wirkt das auch nicht sehr ermutigend, obwohl die Mutter ja noch nicht vorhat, jetzt sofort die Augen zu schließen. Es kommt mir da manchmal vor, als stünde ich auf einem Stein mitten im Meer und das Wasser stieg und stieg immer höher, so dass einem die Angst bis an die Kehle geht, und nirgends ist eine Aussicht auf Rettung. Und dann die Frage: Wo ist nun dein Gott? Ach, dass man doch nur einmal seine Hand fassen könnte, dass man ihn nur einmal reden hörte: Fürchte dich nicht! Ich bin bei dir. Wenn ich nur einmal wüsste, dass ich so, wie ich handele, richtig handele. Aber diese ständige Ungewissheit ist schrecklich. Mein einziger Trost ist die Bibel.
..... Meine Predigt morgen über Mtth 21, 5a ist fertig. Und ich hoffe, sie hat Kraft. Meine große Arbeit ist auch fertig – sogar schon getippt. Ich habe die letzten Abende immer schön arbeiten können, da mein Chef zu Bett liegt. Nun soll Montag meine Predigt getippt werden und in den folgenden Tagen kommt die Katechese an die Reihe. Morgen nachmittag habe ich in Helmeroth Adventsfeier, wo ich meine Predigt noch einmal halten werde. Abends hoffe ich, noch nach Michelbach zu kommen; aber ich weiss noch nicht, ob es gerät. Montag ist Pfarrkonferenz auf Hohegrete.....Ich sprach mit meinem Chef wegen Weihnachten und bekam bisher als Antwort nur ein Lächeln: Will er schon wieder frei haben? - Ach, Liebes, es ist nicht leicht, 2 Jahre lang bei andern Leuten sein Brot zu essen. Wären wir nur endlich weiter! .....
Hilgenroth, den 3.12.1935:.....Mit wieviel Liebe hast Du mich zum 1. Advent überschüttet; so recht die Freude ist bei mir eingekehrt, als ich auf einmal Dein Paketchen sah und öffnete...... gerade in dem Augenblick, wo ich so verzagt und ängstlich in die Zukunft hineinsah .........da sagte ich mir wieder: du brauchst doch garnicht ängstlich vor der Zukunft zu sein. Weihnachten kommt ja, das Fest der Freude, wo man allen Kummer hinwerfen kann auf das Kripplein zu Bethlehem.
Der Sonntag war sonst sehr schön. Morgens meine Predigt machte mir viel Freude, obwohl wegen des schlechten Wetters nicht viel Leute in der Kirche waren (ohne die Kinder 53 Erwachsene). Anschließend hielt ich meine K.G.Probe[30]. Wir haben jetzt geplant, aus Kartoffeln und Buntpapier Kerzenhalter anzufertigen und im mittleren Gang an den Bänken Kerzen aufzustellen; auch der Altarraum soll mit Kerzen versehen werden. Zwei Weihnachtsbäumchen kommen noch dazu; dann wird es wohl recht weihnachtlich aussehen. Unsere Lieder klappen schon sehr schön; bloss der Sprechchor des 100. Psalms will bei den Jungen noch nicht. Die Mädchen sagen ihn, ohne dabei stecken zu bleiben. Sonntag in acht Tagen haben wir Generalprobe; da will Lehrer Strempler uns mit Orgelspiel unterstützen. - Sonntagnachmittag ging ich im strömenden Regen zu Fuß 1 ½ Stunde nach Helmeroth ins Vereinshaus zur Adventsfeier der Gemeinschaft. Die dortige Jungschar hatte Lieder und Gedichte eingeübt und trug das sehr niedlich vor. Ich konnte meine Predigt noch einmal halten und fand vor der reichlich großen Gemeinde gutes Gehör. Die Feier wäre wirklich vollkommen gewesen, hätte nicht zum Schluss noch ein Buchhändler Kohlig aus Bonn das Wort ergriffen, der in seiner unangenehm schwärmerischen und unnatürlichen Schlussrede alle Weihe wieder nahm; das sagten alle, die ich nachher noch sprach. Dem Boten der Evgl. Gesellschaft, der den Mann zum Reden veranlasst hatte, machte ich nachher Vorwürfe, wie er solch einen Menschen, den er noch nie gehört hatte, hatte reden lassen können. Aber da war es ja auch zu spät. - Ich machte anschließend noch einen Besuch in Helmeroth, trank dort auch Kaffee und fuhr 7:40 Uhr mit dem Omnibus nach Altenkirchen zu Müllers, wo wir um ½ 9 Uhr noch Chorsingen hatten. Anschließend saßen Schneiders, Müllers und ich noch bis 12 Uhr zusammen und erzählten uns allerlei. Vikar Beck ist seit dem 1.12. fort. In seiner letzten theolog. Auseinandersetzung mit Heckenroth hat dieser „bekannt“: Ich lehne das A.T. als Judenbuch vollständig ab. Darauf fragte ihn Beck: Lehnen Sie auch das ab, was im A.T. nach Luthers Aussage „Christum treibet“? H.: Ja, auch das! - Was will man heute von einem Theologen mehr!! H. will sich allmählich dem Zeitgeist anpassen; er wird immer ehrlicher! Heute kann er sich zeigen wie er wirklich ist, ohne befürchten zu müssen, er könnte deswegen sein Amt verlieren oder bei der Partei an Ansehen verlieren. Er wird sich noch sehr wundern. - Gestern, Montag, hatten wir sehr gutes Pfarrkränzchen. Als Referat: Die Behandlung der Irrlehre in der urchristlichen Gemeinde. Die Aussprache war diesmal recht gut. Mein Chef war daheim geblieben wegen seiner Erkältung. Als ich abends zurückfuhr, kam der erste Schnee; und heute liegt der Westerwald in eine weiße Decke gehüllt. - Noch eins: Von Mumsi kam gestern K.G.III[31] und A.M.Bach u. eine Schachtel Makrönchen!
Hilgenroth, den 8.12.1935: Mein liebstes, einziges Rütherchen! Da habe ich sie eben alle vier angezündet, die kleinen Lichtlein, wie Du es gern haben möchtest; und nun will ich mit meinem Gedankengang bei Dir sein.
Pfr. Maas hatte die Beerdigung (Martha Radermachers) und sprach vor einer ungeheuren Zuhörerschaft über: Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Etwas zusammenhanglos war die Ansprache, aber von herzlicher Wärme und Liebe. Nach dem Abendessen gingen Schneiders und Müllers u. ich zu Eschemanns. Sie hatten gebeten, ich sollte noch eine kurze Andacht halten. Ich bat Herrn Müller, den Anfang zu machen, dann habe ich mich angeschlossen und über Joh. 6,63 ff gesprochen: Herr, wohin sollen wir gehen....! Es war noch ein großer Kreis von Bekannten und Verwandten zugegen. Dann saßen wir noch beieinander, so recht als gehörten wir alle zusammen und Ewald Radermacher gab mir die Hand u. dankte für meinen Brief u. meine Worte, als er sagte: L. Freunde, jetzt hilft nicht Rasse, Blut und Boden, jetzt hilft mir nur der Glaube an den auferstandenen Herrn. Was hätte ich für einen Trost, wenn ich nicht wüsste, meine Martha ist daheim. Und jetzt hebt sie den Finger hoch und mahnt mich, ich sollte nur stark bleiben. - So ähnlich sprach er und ich musste seine Hand fassen und ihm in seine blauen Augen sehen, in denen bei allem Schmerz das Dennoch des Glaubens so deutlich zu erkennen war. Und dann dachte ich bei mir selbst: Wie kleingläubig bist du und willst anderen etwas sein.
Und dann kam heute Dein Brief, Dein Brief, vor dem ich etwas gebangt hatte, weil Du noch nichts von Kerrl geschrieben hattest, und nun liegt er da neben mir, 3x habe ich ihn schon gelesen und fast kommen mir die Tränen, nur an mich denkst Du, nur an mich, dass ich stark sein sollte und verzichtest auf alles irdische Glück, wenn Du nur unserem Gott gehorsam sein kannst. O Liebstes, wenn Du so stark in Deinem Glauben bist, wenn Dir Gott so nah ist, dass Du ihn fast fühlen kannst, dann – dann geht es Dir genau wie mir! Dann kann ich frei und froh sein; denn meine Angst ist immer wieder – verzeih', dass es so ist! - Du könntest mich nicht verstehen, wenn ich weitergehe wie ich bisher gegangen bin, wenn ich weiter ihm, unserem Herrn, gehorsam bleibe und dabei vielleicht unser Glück in Frage stelle. Und doch möchte ich fast sagen, ich bin so reich und glücklich durch Dein Mich-Verstehen, dass ich sonst nichts mehr will. Als Herr Müller Kerrls Rede las, soll er gesagt haben: „Das arme, arme Frl. Liebert“ und Frau Schneider soll zu Johanna Müller gesagt haben:„Ihr und wir und der Herr Vikar mit seiner Braut, wir halten zs. durch Dick und Dünn!“ Wenn ich das so übersehe, Deine Liebe, Deinen Glauben, der mir noch größer als die Liebe ist, und dann die Verbundenheit mit diesen treuen Gotteskindern, was soll ich noch zagen! Nein, Rütherchen, ich muss Euer aller wert werden, ich darf nicht feige schweigen, wo mir mein Gewissen das Reden gebietet und Gott gebe mir Kraft, nächsten Sonntag über Mt. 11,2-6 frei und offen Zeugnis abzulegen. Vielleicht ist es dann meine letzte Predigt; denn wir werden wieder überwacht; heute war Polizei in der Kirche; aber Pfr. Korst ist „ungefährlich“, er spricht nicht zur Lage, sondern hält „schöne“ Predigten. Bisher kam die Polizei immer, wenn ich frei hatte; aber mir ist es so, als würde nächsten Sonntag etwas geschehen. Gott helfe mir, dass ich mich nicht tollkühn ins Verderben stürze und dass ich das rechte Wort finde. Ich habe solch große Freudigkeit und doch geht es mir wie ein leises Beben durchs Herz, wenn ich daran denke, Polizei könnte in der Kirche sein; nicht um meinetwillen, aber um der Eltern willen. Mutters Karte gestern hat mich wieder vollständig geknickt. So kalt und frostig stieg es in mir hoch, als ich die Karte las, so fremd ist mir meine Mutter und doch schreit es in mir: Warum könnt Ihr mich nicht verstehen! Warum müsst Ihr meinetwegen so leiden! Ach, hättet Ihr nur Glauben, könnte ich Euch überschütten mit der Liebe Gottes, dass wir wieder zusammenfinden! Bin ich denn wirklich der verlorene Sohn, dass meine Mutter mir schreibt wie einem Fremden, den sie nicht unter dem Herzen getragen und in Liebe aufgezogen hat. Ich trage so Verlangen nach Mutterliebe und sie stösst mich von sich! Und doch weiss ich wieder, dass sie mich lieben, dass sie sich um mich sorgen, nur tun sie es auf einer ganz anderen Ebene als ich. Für die Eltern ist massgebend, was dieser lächerliche Fatzke Göbbels (sogar Dr.!) sagt; widerlich ist mir seine Art; alle dort oben platzen bald vor Einbildung und Dünkel und Jesus, ach, dieser arme Jesus, wo hat man ihn heute hingesteckt; er ist zu den Märchen und Mythen gezählt und ist doch der Herr der Welt. Wie Petrus möchte man das Schwert ziehen und dreinschlagen in diese Bande und doch kann man nicht mehr als das Schwert wieder in die Scheide stecken. Manchmal ist es mir selbst wie ein Rätsel, dass dieser Jesus doch über uns eine solche Macht hat, wo die andern so tun, als könnten sie tun und lassen, was sie wollen. Haben sie denn kein Ohr mehr für die Stimme des Gewissens; ist der Lärm der Welt und der Betrieb wirklich so laut, dass er die Stimme Gottes übertönt! Ich begreife es nicht. Ich weiss aber für mich keinen anderen Weg als den zu ihm: Herr, wohin sollen wir gehen? Nein, nur bei ihm bleiben, da ist der sichere Ort, da kann mir nichts geschehen, als was er hat ersehen und was mir dienlich ist! - Hier im Pfarrhaus ist es jetzt ganz schrecklich, der Streit zwischen ihm und ihr wegen des Umbaus des Salons jetzt vor Weihnachten dauert schon eine ganze Woche an. Kein Wort sprechen sie zusammen, er ist kalt, rücksichtslos, herrisch, sie dauernd in Tränen .....
Rütherchen, wenn wir nur demütig bleiben, ach, davor hab ich so Angst bei mir. Immer höre ich den Versucher: du bist aber viel besser als die anderen, Dich lieben die Leute, Dich hören sie gern. Das will ich nicht, sie sollen glauben lernen, glauben, nicht an Menschen, sondern an Gott und an Jesus Christus. O, könnte ich's ihnen allen schenken zu Weihnachten ....Manchmal will man fast den Kopf verlieren, wenn einem all die Warums um die Ohren gellen; es ist schwer, Gott zu dienen, es ist schwer – aber wir hoffen auf die Krone. - Du, mein Einziges, mein Lieb, wärst Du bei mir..... ich hab Dich so lieb. Wir wollen füreinander beten, immer wieder beten, der Satan soll sich nicht über uns freuen. Ich halte Dich fest ......
Hilgenroth, den 14.12.1935: Du hast recht, hinter aller Schroffheit in Mutters Karte steckt nur ihre Liebe; das merkte ich bei ihrer letzten Karte, die sie mir vorgestern schrieb. Sie klang wieder so ganz anders ....
Hier im Haus ist auch wieder alles in Ordnung, so hoffe ich. Jedenfalls ist die Stimmung wieder besser. Donnerstag war ich zur Evangelisation des berühmten Daniel Schäfer nach Kroppach mit unserm Presbyter Flemmer und als ich gestern an meiner Predigt saß, kam Otto zu mir. Er war besorgt, ich könnte in meiner Predigt zu viel sagen und ins Gefängnis kommen und wollte mich warnen. Wie froh war ich, 1 ½ Stunde mit ihm zs.sein zu können. Ich las ihm meine Predigt vor; er hielt manches für gefährlich und meinte, es könnte falsch verstanden werden; aber davor ist man ja sowieso nicht bewahrt. Ich kann auch keine Kompromisse u. Einschränkungen leiden: das Wort muss in seiner ganzen Wahrheit und Strenge gesagt werden, und ich werde so reden, wie ich die Predigt erarbeitet habe. Als Lieder habe ich ausgewählt: Mit Ernst, o Menschenkinder.... u. Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich;... Wie kann man dieses Lied singen und dann noch Angst haben. Ich bin heute ganz getrost; Gott wird mich nicht verlassen. Es sind so viele Menschen, die mit ihren Gebeten hinter mir stehen, sollte er die nicht erhören? Und wenn er es nicht tut, dann weiss er auch, warum es nicht sein soll. - Morgen habe ich Generalprobe des K.G. Und nachmittags will ich erst nach Kroppach zu Schäfer noch mal und dann von dort mit dem Rad nach Michelbach, um ihnen zu zeigen, dass ich noch lebe. Es ist rührend, wie besorgt sie dort um mich sind. - Noch eine Woche ist's bis zum Weihnachtsfest. Ich habe heimlich vor, am Hlg. Abend heimzufahren und am 1. Feiertag wieder zurück. Muss aber erst sehen, wie es mit meinen Arbeiten wird (Predigten). Die Examenssachen sind fort, an eine anonyme Adresse musste ich sie schicken. Alles geht jetzt im Verborgenen. Was mag in der nächsten Zeit noch alles werden! - Ich freue mich, dass Dein Fest so schön gelungen war. Das stärkt den Mut, nicht wahr? - Schreibt H.H. etwas zur Lage? An Ulli will ich auch schreiben.....
Hilgenroth, den 16.12.1935: Mein Liebstes! Der Stempel hat Dir schon gezeigt, das ich nicht festgenommen bin, und hier will ich Dir's noch einmal bestätigen. Wie sollte es auch sein, wo so viele Menschen mit ihrem Gebet für mich bei Gott eingetreten sind!.... So war die Kirche denn auch am Sonntag auch nicht von einem Schutzmann besucht. Es waren leider überhaupt nicht viel Menschen da, weil es recht kalt war und Schnee und Wind den Gang zur Kirche nicht gerade vergnüglich gestalteten. Während der Liturgie war ich noch etwas unruhig, aber auf der Kanzel wurde ich gewiss, dass ich so reden musste, wie es mir das Wort gesagt hatte. Ich habe nichts davon verschwiegen, nichts geändert, obwohl Otto ja manches für zu scharf gehalten hatte. Die Gemeinde hörte lautlos zu; es war eine gute Abnahme der Predigt. - Die Generalprobe des K.G. klappte auch besser als ich dachte und ich hoffe, jetzt getrost der Feier entgegensehen zu können. Sonntagnachmittag fuhr ich mit dem Rad nach Kroppach. Unterwegs traf ich Herrn Flemmer, der sehr meine Predigt lobte, vor allem meinen Mut bewunderte. Ich musste ihm gestehen, dass ich garnicht mutig gewesen sei; Gott hatte mir gnädig durchgeholfen. Die Evangelisation war gut besucht; Pfr. Spehr von Gebhardshain war auch dort und ich konnte den Pfr. von Kroppach noch kennen lernen: ein junger, stattlicher Mensch, sehr streng und ernst, aber fein und vornehm, für mich fast ein Ideal. Wir begrüßten uns als 2 alte Bekannte, da wir uns schon oft „Arier“ zugesandt hatten. Otto, der auch dort war, lud mich ein, mit bei Bekannten in Kroppach Kaffee zu trinken, was ich hocherfreut annahm, da es in der Kirche recht kalt war. Nachdem wir eine Stunde uns aufgehalten hatten, zogen wir Arm in Arm nach Michelbach, eine Stunde zu Fuß. Mein Rad hatte ich Ernst Radermacher geliehen, der freudestrahlend darauf vorgefahren war. Wunderschön war der Weg zu zweit. Es gab ja so viel zu erzählen; Daniel Schäfer hatte über Joh. 6, 67 -69 gesprochen, sehr ernst. Um 7 Uhr waren wir daheim. Die Müllerinnen waren auch schon da. Schnell wurde das Abendbrot bereitet und dann ging's noch zur Stunde zu Müllers. Ich hatte leider meinem Chef gesagt, ich käme abends wieder heim; deswegen „leider“, weil Müllers noch mit einem gemütlichen Abend gerechnet hatten. Wir wollten beim Adventskranz Lieder singen und Äpfel essen.
.......als ich dann am Abend den Sonntag überschaute, da dachte ich dankbar: der Herr hat alles wohlgemacht, gebt unserm Gott die Ehre! - Nur ein Unglück war mir zugestoßen, und das bedeutete vielleicht sogar noch Glück. Ich hatte morgens Dein Bildchen im Silberrahmen umgeworfen und dabei war das Glas entzwei gesprungen. Nun muss mein Rütherchen in der Schublade liegen und ich hab nur noch das große Rütherchen über meinem Bett hängen, aber das ist ja auch Trosts genug. - Heute sagte mir Herr Pfarrer, der gestern nicht in der Kirche war, er hätte einen pensionierten Rektor aus Düsseldorf mal nach meiner Predigt gefragt (besagter Rektor ist nebenan bei Wirths zu Besuch und war jahrelang in D'dorf im Presbyterium, kennt alle Größen der B.K. Und ist wohl ein recht einflussreicher Mann); dieser Rektor Weidelich war von meiner Predigt sehr angetan und meinte: Wenn ich so weitermachte, könnte noch etwas aus mir werden. Ich sei nur etwas zu hitzig und scharf; ich hätte die Predigt nicht in D'dorf halten können; da wäre man mir gleich aufs Dach gestiegen. - Dies Urteil tat mir wohl, weil es frei von jeglicher Schmuserei war, sondern ganz sachlich und objektiv, was bei Herrn Flemmer nicht so der Fall ist, da er mich persönlich gut leiden mag und von da her auch meine Predigten beurteilt. So stehe ich mal wieder etwas fester auf der Erde. Aber ich weiss genau, dass es nur Gottes wundersame Hilfe ist, die mich durchgebracht hat. Er ist getreu und hat mich noch nie verlassen. - Nun noch eins: An Ulli schrieb ich heut morgen u.a., dass ich nach den Feiertagen doch nicht nach Mbg. kommen kann. Es tut mir sehr weh, Dir dies schreiben zu müssen, Liebes, und ich hab' lange gekämpft und überlegt, aber zuletzt doch die Pflicht der Neigung vorangehen lassen. Ich muss unbedingt mal nach Hause, um dort Klarheit zu schaffen. An Mutter schrieb ich Sonntag schon einen Brief, worin ich ihr schrieb, dass ich in meiner Karte, die ich auf die von Dir gelesene Karte schrieb, zu scharf geworden sei und hab sie um Verzeihung gebeten; aber ich muss doch mal heim, um zu zeigen, dass ich doch noch nach Hause gehöre. So will ich Montag fahren und bis Mittwoch bleiben. Du weisst, dass das für mich ein Opfer bedeutet, aber ich tu's, weil's Weihnachten ist und da fühle ich immer am meisten meine Schuld, die ich den Eltern gegenüber habe. Ich sagte es gestern auch Frau Schneider und sie hielt es auch für richtig. Dass ich Dir viel von Deiner Weihnachtsfreude nehme, obwohl unser Zusammensein auch nur kurz gewesen wäre, weiss ich recht wohl. Aber. Liebes, Du kommst in ein Elternhaus, wo Du mit Sonne und Freude empfangen und verstanden und geliebt wirst. Ich will Sonne und Freude erst nach Hause bringen und weiss nicht, wie es geschehen soll. Und doch freue ich mich, dass ich mich überwunden habe und nun will ich mich auch freuen, Weihnachten daheim feiern zu können. - Morgen muss ich bei einer Kindtaufe die Ansprache halten. Do. bin ich zu Flemmers zum Schlachtfest eingeladen. Sa. habe ich die Probe zum K.G. (Das Programm dieser Weihnachtsfeier befindet sich im Fotalbum zur Vikarszeit hinten eingeklebt.) Das ist mein Wochenprogramm. Ich lese gerade Asmussens „Galaterbrief“. Sollte das Christkind für mich etwas haben, so lass es, bitte, nach Michelbach gehen. Dort bin ich am 2. Feiertag, Sonst muss ich die Sachen von Rodenkirchen wieder mitnehmen. Behüt Dich Gott, mein Liebes.
Hilgenroth, den 20.12.1935: Ihr lieben Eltern, liebe Ulli! Es ist wie ein großes Glück und wie ein stiller Frieden in meinem Herzen, seitdem ich Euren lieben Brief gelesen habe. Wie ein Wunder kommt es mir beinahe vor, dass Ihr die Lage der Kirche, der B.K., so vollkommen versteht und darin meine Ansichten bestärkt und festigt. Seht, ich bin im Grunde nicht so schwankend und unsicher, sondern habe auch schon an Rütherchen geschrieben, dass ich meinen Weg geradeaus weitergehe, solange ich weiss, dass der Weg, den ich gehe, der Weg des Gehorsams gegenüber Gott und somit der Weg der Wahrheit ist. Was mich nur immer wieder zermürbt sind die Klagen und Vorwürfe von daheim und vom Zugweg; und dies auch nicht deswegen, weil ich dadurch in meiner Überzeugung schwankend werde, sondern weil ich spüre, wie man mich da einfach nicht versteht, verstehen kann, denn ich will nicht hoffen, dass sie mich nicht verstehen wollen. Wie froh und dankbar ich bin, dass Ihr die B.K. wollt und für sie eintretet, kann ich gar nicht sagen, und ich weiss, dass es nicht recht ist, aber ich muss bekennen, dass ich viel, viel lieber nach Marburg gekommen wäre als dass ich nun nach Rodenkirchen fahre. Aber ich tu's doch und tu's deshalb, weil ich mich selbst überwinden will, weil ich den Eltern und Klara eine kleine Freude machen möchte. Vielleicht wird es eine recht verkrampfte und unglückliche Angelegenheit, aber ich hoffe, dass Gott auch in unser Haus die rechte Weihnachtsfreude schicken wird. Man soll ja nicht meinen, dass es in der eigenen Kraft stünde, Weihnachten in der rechten Weise zu feiern und zu erleben und ich bin letzten Endes doch froh, dass ich mein eigenes Wünschen zurückgestellt habe und meinem Mütterchen eine kleine Freude bereite. Habt tausend Dank, Ihr Lieben, dass Ihr mir auch in diesem Entschluss zur Seite steht; es wäre noch schwerer geworden, hätte ich jetzt von Euch auch noch Bitten und Einladungen erhalten......
Mein Chef ist ein lieber, manchmal auch recht gemütlicher Mann, aber – er hat keinen Glauben, er hat keinen Halt; da wird es mir oft schwer, der ich selbst Halt an anderen suche, meine Bekenntnistreue durchzuhalten. Er neigt langsam, da die Lage immer unsicherer wird, zu Kompromissen; er fragt auch schon: Warum tut die B.K. das nicht, und das nicht? Er meint auch, meine Predigten seien zu kühn und ich sollte lieber nicht so deutlich die Wahrheit sagen. Noch gehorche ich nicht! Und gerade die letzte Predigt, vor der ich selbst etwas gebangt hatte, soll eine der eindrucksvollsten gewesen sein. Es war herrlich, wie Gott mir auf der Kanzel auf einmal den Mund auftat und wie ich in aller Freudigkeit predigen konnte. - Ich will mich nicht loben damit, ich will nur sagen, dass ich nicht anders kann und Martin Luthers Haltung in Worms wird mir immer verständlicher. Es ist etwas ganz Großes und Herrliches, jetzt auf der Kanzel stehen zu dürfen; gerade in dieser glaubensarmen Zeit hat Gott in manche Herzen einen Hunger nach seinem Wort hineingelegt, dass man förmlich spürt, wie die Gemeinde einem das Wort von den Lippen nimmt. Mag sein, dass diejenigen Recht haben, die da sagen, es stünde der B.K. noch allerlei Schweres bevor. Die Hauptsache ist, dass wir fest zusammen stehen, dann mag kommen, was will. Ja, Muttchen, es ist wahr: Und wenn die Welt voll Teufel wär! … Es gibt in der B.K. so glaubensstarke Männer, da müssen wir schon deretwegen mutig und unverzagt sein. Etwas erschüttert hat mich der Brief von Frau Winterberg, der gestern kam: „Wir haben die Beobachtung gemacht, dass viele Ihrer Gruppe (d.i. die B.K.) einfach nicht mehr fähig sind, objektiv zu hören und zu sehen. Innerhalb der Gruppe selbst gibt es eine solche Verwirrung unter denen, die sonst Brüder waren, dass man traurig sein kann und sagen muss, dass der Geist, der sich da offenbart, nicht der Geist Jesu Christi ist,“......
Margret Winterberg (Tochter) schrieb mir, dass fast alle Geschwister zur B.K. stünden und dass sie ihren Vater darin nicht verstehen könnten. - Sonntag um 3 Uhr habe ich meine Kindergottesdienstweihnachtsfeier und Montag geht es dann heim bis Mittwochmorgen. Wenn der Brief in Euren Händen ist, habt Ihr euer Rütherchen auch daheim. Viel, viel Glück und Freude wünsche ich Euch Lieben allen; und Ulli bitte ich um einen herzlichen Gruß an Heinrich; ob sich Oldenburg tapfer hält oder sich auch dem Kirchenausschuss unterstellt (?), wie es Mahrahrens getan hat? Mein Chef fürchtet immer, Rheinland und Westfalen stünde zuletzt ganz allein da. Aber das glaube ich nicht. -
Weihnachten '35: Mein Liebstes! Zugleich mit dem Brief an die Eltern soll dies Kärtchen an Dich gehen. Mit großem Schmerz hab ich Dein Mittwochkärtchen gelesen, wo Du schriebst, dass Du vor Angst u. Sorge um mich ganz kaputt seiest. Verzeih, Liebstes, dass ich Dich so erschrocken hatte. Ich hatte selbst aus innerer Not heraus geschrieben, will aber von nun an vorsichtiger und vor allem selbst mutiger sein. Nun weiss ich ja, dass Ihr alle mich versteht und mein Tun für richtig haltet. Jetzt bist Du daheim bei Deinen Lieben und bist froh und glücklich und ich hoffe, Du verstehst, dass ich diesmal lieber nach Hause fahren möchte, um dort etwas Weihnachtsfreude hinzubringen. Wie schwer es mir wird, Dich nicht zu sehen und vielleicht kein schönes Fest zu haben, weisst Du wohl selbst; aber ich bin doch auch froh, dass ich mich selbst überwunden und diesen Schritt getan habe – um der Eltern willen. .....
Noch eine Neuigkeit hörte ich heute morgen durch Otto, der mich anrief: Herr Müller hat mit einem Pastor Kuhlmann von Barmen gesprochen und hat veranlasst, dass ich evtl. nach meinem Examen als Hilfsprediger dorthin komme. Ich war sehr erfreut, dies zu hören; doch wenigstens ein kleiner Lichtblick in dieser dunklen Zeit. Montag früh fahre ich mit dem Eilzug ½ 11 Uhr (?) nach Köln. - Heute nachmittag muss ich durch den hohen Schnee nach Eichelhardt, wo ein alter Mann 85 Jahre wird und dann will ich dort mit einigen Kindern auch noch die Weihnachtsaufführung für morgen einüben. Meine Ansprache für morgen ist ganz kurz über Micha 5,1. Hoffentlich bleibt es von oben her trocken, dann sind viele Besucher zu erwarten. -
.....ich Dir nicht deutlich genug zeigen kann, wie meine ganze Liebe Dir gehört.
Rodenkirchen, den 23.12.1935: Mein liebstes, einziges Sonnenkind!
Nun sitz ich daheim im roten Zimmerchen vorm Schreibtisch und lasse meine Gedanken zu Dir eilen; beide daheim und doch mein ich, es fehlte mir noch viel, um so recht froh Weihnachten feiern zu können. Ach, die Freude des Wiedersehens war groß. Als ich schellte, kam Mütterlein schnell die Treppe heruntergesprungen; sie hatte doch etwas geahnt, das haben Mütter so in sich. Klara begrüßte mich in ihrer Art auch verhältnismäßig herzlich und Vater kam erst um 2 Uhr heim. Zuerst habe ich mal alle Sorgen wegen der Kirche beseitigt; das konnte ich ja auch; nach den neuesten Nachrichten ist der Bruderrat der B.K. im Rheinland anerkannt. Zudem konnte ich die Aussichten mit Pfr. Kuhlmann-Barmen noch schildern, so dass alle erleichtert aufatmeten. Nachmittags musste ich mit Klara noch in die Stadt, Besorgungen machen. Ich machte gleich einen Abstecher an den Zugweg, wo ich eigentlich nur 1 Stunde bleiben wollte, aber vor 9 Uhr kam ich nicht mehr fort. Ich hatte mit Großmama eine lange Unterhaltung über Glauben, Kirche, Christus etc. Es war sehr anregend und wir schieden nachher in bestem Einvernehmen. Ich bin wirklich froh, dass ich nach hier gefahren bin, es ist so vieles durch eine Aussprache geheilt worden, dass ich wenigstens wieder ein freies, gutes Gewissen vor den Menschen habe. Dass ich allerdings Dir und mir dadurch viel genommen habe, weiß ich auch. Weihnachten hat ja für uns jetzt noch eine besondere Bedeutung bekommen, weil es der Tag unserer Verlobung ist;
....... dass ich mir ganz bewusst bin, dass ich eigentlich jetzt irgendwo anders sein müsste. Aber, Liebstes, vielleicht dient auch dieser Verzicht wieder zu unserem Besten und wenn wir dies kleine Opfer um meiner Eltern willen gern bringen, dann dürfen wir ganz gewiss einen Segen von Gott dafür erwarten. Ich will auch ganz getrost sein und will hier im Hause helfen, Weihnachten als das Fest der Freude und Liebe zu feiern. Aber ich möchte auch so gern Dich ganz froh und glücklich wissen, mein Rütherchen. Meine kleinen Gaben sind ja nur ein ganz unscheinbarer Erweis meiner großen Liebe zu Dir und immer wieder bedrückt es mich so, dass ich Dir nicht deutlich genug zeigen kann, wie meine ganze Liebe Dir gehört. .....alles tu' ich eigentlich mit dem Gedanken: Fürs Rütherchen; und dann bilde ich mir ein, Du wärst bei mir und wir würden alles zusammen tun .....
Hilgenroth, den 28.12.1935: 11 Uhr morgens
Mein Herzlieb! Nun sind wieder einige Tage verstrichen, seitdem ich daheim war und ich bin jetzt wieder so ganz im alten Gleise, da kann ich objektiver und besser die Zeit schildern, die hinter mir liegt. Jetzt ist's mir beinahe wie ein Traum, dass ich zu Haus war, ein Traum, von dem ich nicht sagen kann, ob er schön oder häßlich war oder ob ich ihn noch einmal träumen möchte. Es kam mir vor, als sei ich ein paar Tage im Ausland gewesen, wo ich die Sprache der Menschen nicht recht verstehen konnte und wo man sich unendlich viel Mühe gab, eine sprachliche Verständigung herbeizuführen, aber – es war eben Ausland und nun bin ich wieder in der Heimat. Das klingt hart, aber ist nicht hart gemeint; denn man kann ja auch Ausländer lieb haben, unendlich lieb haben, nur die Sprache verhindert jegliches Verstehen. - Ich habe noch nie so gelitten, seelisch gelitten wie diesmal. Mag sein, dass die ganze kirchl. Lage, dass der vorangegangene Briefwechsel mit daheim mit dazu beigetragen haben, was mir aber am schwersten auf der Seele lastete, war die große Liebe, mit der man mich umgab, mit der man um mich warb, mit der man mich zurückrufen wollte von dem Weg, den ich eingeschlagen habe. Das drückte mich so sehr, dass es mir oft im Halse würgte, dass ich in keinem Zimmer Ruhe hatte und am liebsten fortgelaufen wäre, um nicht den Kampf der beiden Seelen in mir so stark zu verspüren. Mein Mund war mir wie verschlossen; es lag wie Zentnerlast auf meinem Herzen und ich musste manchmal tief atmen, weil es mir vorkam, als wollte mir die Luft ausgehen. Ich wollte mir aber nichts anmerken lassen; ich wollte ja Weihnachtsfreude bringen, ich wollte fröhlich und entgegenkommend sein; und doch kam mir alles so steif und eckig, so garnicht „ich-selbst“ vor, ich war mir selbst fremd und suchte mich als den, der ich sonst bin. Und vor und hinter all dem Fremden stand das Gefühl: daheim, bei der unendlich geliebten Mutter, bei dem Vater, der keinmal böse wurde, der viel mit mir sprach, dem ich es anmerkte, wie lieb er mich hat, bei der Schwester, die trotz aller Härte so stolz auf ihren Bruder ist, die sich freute, als ich mit ihr am Montag in die Stadt ging, die froh mit mir in die Kirche ging. Ach, diese Liebe, die ich selbst zu ihnen habe und die doch zerstört wird, weil die Liebe Gottes nicht dabei ist. Ich habe oft ganz still dagesessen und die drei angesehen mit großen fragenden Augen, und dann hatte ich Mitleid mit ihnen, so großes Mitleid, dass ich hätte weinen mögen. Als ich am 1. Weihnachtstag am Fenster stand und hinausstarrte, weil ich so hilflos und klein und dumm war, da kam die Mutter leise von hinten, legte ihren Arm um meinen Hals und ihren Kopf an meine Schulter und sagte nur: Mein Jung. Da war es mit meiner Fassung vorbei und zum ersten Mal kamen bei mir die erlösenden Tränen; ich nahm mein Mütterchen und konnte nur noch flüstern: Ach, Mammilein. Da war ich wieder Kind und war daheim bei meiner Mutter und ohne Worte tröstete sie mich wie einen eben nur eine Mutter tröstet kann. Danach war ich freier; es war mir als sei in mir ein Knoten geplatzt, der bis zum Zerspringen angezogen war. Nur als ich dann um 5 Uhr fort musste – Omi und Tante Else waren gerade gekommen – da lief mir noch einmal das Herz über, besonders als Omi sagte: Eberhard, wir haben Dich alle so lieb. Da kamen mir die Tränen, obwohl Hilde Gilles da war, die sich gewiss über mich wunderte, dass man mit 26 Jahren noch weint, wenn man von zu Hause fort muss. -
Schön war der Abend; nur dass sie am Zugweg und vorher daheim über mein schlechtes Aussehen erschrocken waren. Das hat aber mit Krankheit nichts zu tun, meine Nerven sind wahrscheinlich zu sehr angegriffen; ich mache mir zuviel dumme Gedanken; und ich glaube, seitdem ich wieder hier bin, sehe ich auch wieder besser aus. Ich bin auch in meinem Aussehen von der Umgebung abhängig.
Am Dienstag lernte ich etwas meine Predigt, schrieb Deinen Weihnachtsbrief und einige Karten, schmückte den Baum nachmittags. Um 6 Uhr gingen Vater, Mutter und ich in den liturg. Gottesdienst in Rodenkirchen. Pfr. Kühler sprach sehr fein. Als wir hinaus gingen, kam er auf einmal hinter uns her, weil er mich gesehen hatte (es kam mir vor, als hätte Vater dies Zusammentreffen mit ihm ausgemacht; aber ich kann mich auch irren). Er bat mich, einen Augenblick mit ihm zu gehen, damit wir uns über die Kirche unterhielten. Die Unterhaltung war sehr friedlich und ruhig; er verteidigte seinen D.C.- u. ich meinen B.K.-Standpunkt. Dann kam er auf Vater zu sprechen und meinte, ich sollte doch versuchen, auszugleichen usw., er sagte es so voller Liebe, dass ich ihn unbedingt als meinen Seelsorger ansah, obwohl er nicht viel älter ist als ich. Ich sagte, dass ich um des Verstehens willen nach Hause gekommen sei, dass ich aber bei aller Liebe von meinem Glaubensstandpunkt, auch von der B.K. nicht weichen würde. Als ich heimkam, aßen wir zu Abend (Heringssalat), dann war die Bescherung (davon gleich) und danach saßen wir bis 12 Uhr und unterhielten uns über Kirche und Glauben, Da wurde mir wieder klar, dass Vater gar nicht verstehen kann, was Glaube ist und welche Macht er hat, weil er auf dem Standpunkt steht, dass der Pfarrer nur Erzieher ist und weiter nichts; dass Religion und Ethik dasselbe bedeuten und die ganze Bibel lehnt er ab, weil er nicht glauben kann, dass das, was da von einigen Männern geschrieben ist, Gottes Wort sein soll. Es würde zu weit führen, wollte ich alles erwähnen, was wir besprachen, nur das eine war wichtig: Vater wurde nicht ausfallend; ich merkte, wie alles, was er sagte, dazu gesagt wurde, um mich zurückzugewinnen. Darum konnte ich überhaupt noch mitreden........
Hilgenroth, den 29.12.1935: abds 7 Uhr Mein Liebstes! Nun kann ich Dir zum Neuen Jahr nur mit diesem kleinen Gruß kommen. Karl Karges aus Köln war den ganzen Nachmittag bei mir, so dass ich zu keiner Arbeit gekommen bin, wo ich doch morgen den Sylvestergottesdienst habe. Und gestern war ich zur Gemeinschaftskonferenz auf Hohegrete, wo ein Pastor Achenbach aus Gevelsberg das Referat über 1. Sam. 2,1-10 hatte. Ich hatte zum Eingang das Gebet zu sprechen und beteiligte mich nachher bei der Besprechung. Als ich abds. mit Pastor A nach Au zum Zug ging, sagte er zu (mir), wir sollten zueinander „Du“ sagen: so habe ich nun wieder einen Ersatz für Hans N.. Er ist, glaub ich, noch größer als Hans, aber kräftig und dazu von einer großen Liebe. Ich bin von Herzen froh, dass ich ihn Freund nennen darf; 35 oder 36 Jahre ist er alt. Leider wird unsere Freundschaft vorläufig nur brieflich gepflegt werden können und das gewiss auch nicht allzu viel. Heute morgen machte ich im Krankenhaus Besuche und war um 11 Uhr wieder hier. - Wie mag es Dir gehen, Liebstes. Dein lieber langer Brief hat mir doch ein bissel Sorge gemacht. Du ruhst Dich doch hoffentlich gründlich aus? Nutze die Ruhe, die Dir daheim geboten wird. Ach, könnt ich Dich mal sehen! Nun werde ich Sylvester hier bleiben und bin gar nicht froh darüber. Ich bin es so leid, immer nur Vikar zu sein und möchte so gern frei schalten und walten können. ......
Könnt' ich Dich sehen, dann würdest Du wieder wissen, wie lieb ich Dich hab', so musst Du's glauben, Rütherchen.
Hilgenroth, den 3.1.1935: Mein Liebstes, Du wirst inzwischen wohl auch erfahren haben, dass Väterchen mich bat, vom 1.1. bis 3.1. zu Dir zu kommen. Leider kam der Brief zu einer Zeit, wo mein Chef wieder seine bösen Tage hatte. Er ist letzter Zeit sehr oft gereizt und durch die geringste Kleinigkeit gekränkt. Mit seiner Frau hatte er wieder eine Auseinandersetzung gehabt und er kam unglücklicherweise in dem Augenblick ins Zimmer, als ich ihr von Väterchens Brief sagte. Sofort war der Krach da wegen Geheimnisse hinter seinem Rücken etc. Als ich ihm sagte, dass ich gar kein Geheimnis hätte, wollte er's nicht glauben und kam sogar zuletzt so weit, dass er sagte, er wollte Schlingensiepen schreiben, dass er mich bis zum Examen beurlauben sollte, da ich ja doch nur noch vier Predigten hätte und die könnte er auch gut allein halten. - .....
Dass ich Dir so viel Sorge mache, tut mir so weh. Aber es kommt wohl auch daher, dass geschriebenes Wort oft so unglücklich falsch wirkt.
Von allen Seiten kommen auf einmal Karten, dass man sich um mich sorgte, sogar Tante Hanna bot sich an, mir Butter zu schicken.
........jetzt, wo ich nicht mehr so unter dem Mißverstandenwerden seitens der Eltern leide, gar nicht wohler fühlen. Dass ich ab u. zu etwas unglücklich und traurig bin, hängt viel mehr an meiner Umgebung als von meinem körperlichen Befinden ab. Denn dass ich zu Pfr. Korst kein Verhältnis finden kann und doch immer freundlich und entgegenkommend sein muss, das fällt meinem stolzen Herzen, das gern anerkannt sein möchte, sehr schwer .....Für Sonntag ist meine Predigt fertig; ich habe als Text 1. Mos. 1, 1-3 und Jes. 60, 1-3.
Sag dem Väterchen noch mal vielen, vielen Dank für seine liebe Einladung. Ich wäre gern gekommen, das wisst Ihr alle und Du besonders, gelt. Denn ein Tag mit lieben Menschen stärkt für viele böse Tage. ....
Hilgenroth, den 6.1.1936: Mein liebes Rütherchen! Was mich da gestern aus Deinem Brief angeschaut hat, das war garnicht mehr mein frohes, glaubensvolles, lebensbejahendes Rütherchen, sondern ein mir bis dahin noch ganz fremdes armes kleines Mädchen; und je weiter ich im Brief las, desto mehr erschrak ich über all das, was da auf Deiner Seele gelegen hat, von dem ich nichts gewusst hatte und da wollte es trotz des Schmerzes, der sich krampfhaft um mein Herz legte, zuerst wie Ärger in mir aufsteigen, weil Du das alles so lange aufbewahrt hattest, um mich nun mit einer ganzen Zentnerlast, die auf Dir gelegen hat, zu überhäufen; aber dann erkannte ich, dass ich selbst die Schuld hatte, weil ich immer nur mit Sorgen und Nöten zu Dir gekommen war ..... Nun bist Du Armes ganz zusammengebrochen und zwar so verzweifelt zusammengebrochen, dass Du an allem zweifelnd geworden bist: an Dir, an mir, an meinen Verwandten und letzlich auch an Gott, denn wenn Du im Augenblick des Briefschreibens Glauben an Gott gehabt hättest, dann hättest du – verzeih, wenn ich das schreibe, aber es liegt darin kein Vorwurf, sondern nur eine objektive Feststellung – nicht so unchristlich schreiben können....... "unchristlich", weil diesmal wie noch nie das "Ich" im Mittelpunkt des Briefes stand, weil Du sogar von Verdienst sprachst und glaubtest, fordern zu können, wo wir Menschen nichts zu fordern haben. ....
Mein Liebstes, ich mache Dir keinen Vorwurf, denn ich weiß, dass wir auch im Glauben Stunden haben, wo wir wieder arg menschlich reden müssen, ich will Dich nur wieder auf die Höhe bringen, von der aus wir alles Leid und alle Seelenqual überschauen und überwinden können.....
Freilich ist junge Liebe drängender und und fordernder, aber ist damit gesagt, dass wir dieser drängenden und fordernden Liebe Sklaven sein sollen? Mein Mütterlein ist krank und schwach, wer weiss, wie lange sie sich noch an uns freuen kann und hat sie noch etwas anderes auf der Welt als ihre Familie, für die sie lebt und betet und arbeitet? Nein, Rütherchen, ich musste heim, ich machte mir heute unsägliche Vorwürfe, wenn ich nach Marburg gekommen wäre, wo es bestimmt unendlich schön gewesen wäre, und ich bin doch immer noch froh, dass ich mich selbst überwunden habe.....
......dass ich in dem stolzen Bewusstsein, das herrlichste Mädel auf der Welt mein Eigen zu nennen, doch nach Köln gefahren bin.
......ich möchte Dich wieder aufrichten und kann es doch nicht anders tun als dadurch, dass ich Dir zeige, wie falsch Du alles gesehen hast. Und wenn Du jetzt bei mir wärst, dann müsstest Du Dich auf meinen Schoß setzen und ich würde Dir Deine Tränen wegküssen, Du mein Glück. Weisst Du denn nicht, dass ich Dich unsäglich lieb habe und dass mein ganzes Leben auf die Zeit gerichtet ist, wo ich mit Dir immer vereint bin.
......Ich hab viel verkehrt gemacht im alten Jahr, ich hab vielleicht unbewusst oft auch so geschrieben wie es in unsrer Familie liegt, dass Du glaubtest, ich hätte Dich nicht lieb.
Hilgenroth,11.1.1936: Mein Rütherchen! Ob du nun wieder in U. Dich gut eingelebt hast und wieder mein frohes, tapferes Rütherchen geworden bist? ...Hoffentlich hat Dich mein Brief nicht traurig, sondern mutiger gemacht......
Überall stösst man in sich auf menschliche Schwächen und Fehler. Das Wachsen im Geist und in der Erkenntnis geht gar langsam vorwärts und man möchte oft ein paar Luftsprünge machen, um schneller vorwärts zu kommen, wenn man nicht so sehr an das Warten gebunden wäre. -
Diese Woche habe ich schon eine ganze Menge fürs Examen tun können, vor allem K.G[32]. Dienstag und Freitag bin ich vom Morgen bis zum Abend zu Hausbesuchen fort gewesen. Das ist immer eine Erholung, wenn man sieht, mit wieviel Liebe man überall aufgenommen wird,.....
Heute bleibe ich daheim und will wieder etwas KG etc. arbeiten. Morgen habe ich nur Kindergottesdienst und hoffe nachmittags nach Michelbach zu kommen. Montag haben wir Pfarrerkonferenz auf der Freusburg. - Es geht mir sehr gut; bin frisch und munter u. soll nach Aussage meines Chéfs wieder dicker geworden sein. Du siehst, alle Sorge um mich ist überflüssig, weil Unkraut nicht vergeht. - Über die Lage der Kirche habe ich nichts Neues gehört. Bei uns im Rheinland ist die Lage ja ganz anders als in den anderen Provinzen. Die B.K. ist hier angeblich anerkannt. Wie es aber mit dem Examen wird, weiss ich noch nicht. Wahrscheinlich mache ich es doch in Barmen. Ich wünschte, wir wären schon 1/4 Jahr weiter! -
Hilgenroth, den 14.1.1936: Mein Liebstes! Es scheint mir so als sollten wir beide durch eine ernste Krise hindurch, dass wir uns in unsern Briefen garnicht mehr recht verstehen können. Ich hab wahrlich gezittert und gebebt vor Deinem Sonntagsbrief, Rütherchen, nicht, weil ich glaubte, falsch gehandelt zu haben – ach, das sieht der Mann ja so schwer ein – sondern weil ich glaubte, Du würdest das, was ich Dir schrieb, auch so verstehen wie ich's verstanden wissen wollte, und nun scheint's wirklich nicht der Fall gewesen zu sein. Du hast in meinen Zeilen nur den Vorwurf und die Anklage gelesen, du fühlst Dich jetzt von mir nur mißverstanden, denn nach Deinem Brief zu urteilen war ja alles falsch, was ich geschrieben hatte und vor allem – und das ist mir das Traurigste – wird es Dir schwer, noch an meine Liebe zu glauben; denn da weiss ich am allerwenigsten, was ich tun soll, um Dir die alte, freudige Gewissheit wiederzuschenken, die sich im bräutlichen Glück erfreut.
.........auch wenn mein letzter Brief ganz offen und sehr deutlich war, er war aus großer Liebe geschrieben, auch wenn ich schrieb, dass ich mich geärgert hatte, mindert das nicht die echte Liebe.
......ich glaubte auch, ganz klar und objektiv – soweit das überhaupt möglich war – zu Deinem Brief Stellung genommen zu haben und nun war's doch nicht so;
Und mir ist's , als wanke der Boden unter unseren Füßen, ich möchte laut um Hilfe schreien und doch weiß ich nicht, wer helfen soll, wenn es Gott nicht tut.
Kann es denn nicht einmal sein, dass man auch zum liebsten Menschen "hart und kalt" schreiben muss, um ihn dadurch von Meinungen frei zu machen, die er sich fälschlich in den Kopf gesetzt hat.
Das Unglück liegt allein darin, dass wir uns nicht sehen und sprechen können; ich weiß, dann wäre sofort alles wieder gut.
Je mehr ich mich zu verteidigen suche, desto schlimmer wird es und ich glaube, es kommt jetzt allein darauf an, dass ich Dich bitte – und das tu ich ohne große Selbstüberwindung in wahrer Demut und aufrichtiger Liebe zu Dir – glaube wieder an meine Liebe......denn sie ist bei mir so echt und rein, wie sie nur sein kann. Sie ist's immer gewesen, auch wenn ich's nicht immer so sagte, wie Du es gebrauchen konntest, und wenn Du sie nicht fühlst, vielleicht kommt's daher, dass ein Mann – oder ich besonders – die Liebe anders zeigt als eine Frau – oder als Du gerade erwartest.
.....dass der Konflikt, der zwischen uns entstanden ist, nur durch unser bis zum Letzten Ehrlich-sein -wollen entstand, dass es jetzt nur darauf ankommt, dass wir uns über all das Missverstehen hinüber die Hand reichen vor Gottes Angesicht und uns sagen, wie dumm wir wieder einmal gewesen sind, dass wir uns gegenseitig die Herzen schwer machten .... Aber ich muss jetzt unbedingt noch etwas erzählen. Als Wichtigstes, dass ich gestern vom Väterchen aus Mbg. einen 4 Seiten langen Brief, ganz eng geschrieben, erhielt, der mir unendlich lieb ist. Dass Väterchen mit solch einer Liebe schreiben konnte, hätte ich niemals gedacht; ich habe ihn – sofern das möglich war – noch viel fester in mein Herz geschlossen. Er suchte mich in jeder Weise zu ermuntern und stark zu machen, schrieb viel von Deiner Sorge um mich und dass ich wieder in der alten, bekannten, frohen Weise schreiben sollte. Und das tu ich nun auch, denn ich bin wirklich wie durch ein Wunder ganz von Herzen froh und übermütig. Sonntag war ich in Michelbach u. bei Müllers abds; gestern hatten wir Pfarrkonferenz in Freusburg bei Pfr. Groß, dem besten und mir liebsten Pfarrer, den wir haben, ganz radikal Bekenntnismann, ehrlich, ernst und tief. Wir fühlen uns besonders verbunden, weil die andern alle, außer einem, immer vermitteln und ängstlich sind und in der Diskussion stehen wir fest zusammen. Nach dem Essen gingen wir beide allein mit dem 3. Gesinnungsfreund, Pastor Schmidt von Friedewald (Hilfsprediger) spazieren und Pfr. Groß klagte sehr über die theol. Unbildung unserer Pfarrer, am unsympathischsten ist ihm mein Chef. Er wollte mich gern noch mal zur Vertretung nach Freusburg haben, weil die Leute dort oft noch von mir sprächen, aber er hat jetzt einen eigenen Vikar, der zwar vollständig versagt, aber ich kann ihn doch nicht verdrängen. Der arme Vikar arbeitet drei Wochen an einer Predigt, nachdem er sie mit seinem Chef besprochen hat, memoriert eine Woche von früh bis spät und bleibt nachher immer noch stecken. Pfr. Groß tut mir leid. Er nimmt es mit seinem Amt so ernst und ist solch feiner, vornehmer Mensch. ....
Wir hatten als Referat: Die natürliche Theologie, von Groß gehalten, sehr fein und klar lehnte er jede Gottesoffenbarung außer Christus ab. Dabei stieß er auf heftigen Widerstand bei allen anderen "im Dienst ergrauten" Pfarrern. Es war traurig anzuhören, wie schwach und untheologisch sie alle ihre Position halten wollten. Es gelang ihnen nicht trotz aller Erregung. - Sonntag predige ich über Joh. 1, 43 – 44. Und nun, mein Liebstes, lass Dich innigst küssen von Deinem Dich sehr, sehr lieb habenden, immer getreuen Eberhard.
18.1.1936: Mein liebstes Rütherchen, das freut mich aber von Herzen, dass Du wieder munter und glücklich in Deiner Arbeit bist und darin soviel Liebe und Anerkennung findest. Das gibt dann immer wieder neuen Mut und Ansporn; ich hab das an mir selbst erfahren; bei meinen Hausbesuchen bekomme ich soviel Lob zu hören;, dass es mich ordentlich stärkt, wenn ich auch nicht alles für bare Münze nehme. Aber das weiß ich doch, dass die Leute mich hier sehr gern haben und mich wohl auch am liebsten hier behalten möchten. - Um mein körperliches Wohlbefinden brauchst Du Dir jetzt keine Sorge zu machen, Liebstes. Ich werde so gut gepflegt, dass ich in der letzten Zeit richtig dick geworden bin. Du würdest mich gewiss garnicht mehr wiedererkennen! Von daheim bekam ich gestern im Wäschepaket ein Stück selbstgebackenen Honigkuchen, 1 Pfd. Rhein. Schwarzbrot, Butter und Käse; sie meinen dort anscheinend, ich würde hier verhungern. Frau Pfr. hat sich besonders über die Butter geärgert. Aber ich konnt ja nichts dazu, dass Mamilein so besorgt ist. Zum 14. schickte mir Tante Hanna 10 Berliner Ballen, und Großmama schickte 10 Mk., damit ich etwas dicker würde! Nun, wenn's jetzt nicht klappt, dann weiß ich's nicht! Morgen hab ich 1/2 11 Uhr Gottesdienst über Joh.1, 43-44. Ich spreche über die "zeitgemäßen" Worte: Gefolgschaft und Gefolgschaftstreue, Führer und Jesus, und will zeigen, dass Jesus zwar ganz anders ist als eine menschliche Führerschaft und doch den größten Einfluss auf die Menschen hat, vgl. Phil. u. Math.. - Morgen mittag gehe ich zu einem Bibeltreffen auf Hohengrete, komme also diesmal nicht nach Michelbach. Montag muss ich nach Herchen und Dienstag vielleicht nach Siegen, wo Brunner über natürliche Offenbarung spricht. Pfr. Groß von der Freusburg lud mich ein, mit ihm zu fahren. - Vom Examen habe ich nichts gehört bisher. Vielleicht erfahre ich Montag in Herchen etwas darüber. -
Hilgenroth, den 21.1.1936: (auf Briefpapier mit Namensaufdruck) Mein süßes Rütherchen!
Von wegen des Sattwerdens, Schmeckens und Schlafens kann ich Dir ganz fest und ehrlich versichern, dass da alles in bester, wirklich in bester Ordnung ist......
Also schick mir kein "Fresspaketchen". Mutter tat das jetzt mal, darüber hat sich Frau Pfarrer sehr aufgeregt und es sieht ja auch wirklich etwas eigenartig aus, wenn ich noch Butter u. Brot etc. geschickt bekomme, wo ich doch hier in Kost und Logis bin. -
Dass Du in Nordhausen so nette Bekannte gefunden hast, ist schön; so kannst Du schließlich mal dort übernachten und Du fühlst Dich durch die Freundin Deiner Tante Liesel gleich schon etwas heimischer....
Du meintest ja mal, Du brauchtest weiter keinen Menschen, wenn Du nur Deinen festen Wirkungskreis hättest! Oder war dazu Vorbedingung, dass ich in diesen Wirkungskreis miteingeschlossen bin? -
Sonntagmorgen hatte ich Gottesdienst, der wieder sehr gut besucht war. 105 Leute, ohne die Kinder, wurden gezählt. Das ist bei uns viel, wo wir nur 1500 Seelen und dann die weiten Wege haben. Nach dem Essen um 1 Uhr ging ich sofort zur Hohengrete zum Kreistreffen des C.V.J. M.[33] Altenkirchen, wo ich die Schlussandacht halten musste. (Viele Bekannte waren da von Betzdorf und Altenkirchen und Rossbach). Um 4 war das Treffen zu Ende; ich wollte gerade gehen, da kam unser Bote der Evgl. Gesellschaft, Herr Köth, zu mir und bat mich, die Bibelstunde zu halten, die von 4 -5 Uhr auf Hohengrete stattfindet; er sei so erkältet, dass er kaum sprechen könne. Nun, ich liess mich dazu überreden und hielt meine Predigt vom Morgen in weiterer Ausführung noch einmal vor etwa 40 Leuten. Es war eine gute Zuhörerschaft, ich konnte ganz frei und unbefangen reden. Um 5 ging ich mit einigen aus unserer Gemeinde, die auch hingekommen waren, wieder nach Hause.....
Montag, fuhr ich um 1/2 9 Uhr nach Herchen zum Bezirksseminar. Da ich in Au eine Stunde Aufenthalt hatte, schrieb ich von dort schnell ein Kärtchen an Otto. Das Seminar war wieder sehr ordentlich. Ein Vikar hielt ein Referat über Gesetz und Evangelium im Hebräerbrief. Nachmittags war eine Katechese über den "Zwölfjährigen Jesus im Tempel". Und dann waren praktische und zeitgemäße Aussprachen. - Vorigen Freitag bekamen wir einen Brief der B.K., in dem eine Kanzelabkündigung angeordnet war, die die Ablehnung der Kirchenausschüsse[34] in den Gemeinden kund tun sollte. Ich hatte fest vor, die Abkündigung vorzulesen. Da rief am Samstag Pfr. Brinken-Hamm an: Cras ecclesia vigilabitur[35]! Wir sollten uns in acht nehmen und sofort verbot mir mein Chef die Abkündigung. Ich erzählte dies gestern auf der Konferenz und erfuhr, dass alle anderen die Abkündigung verlesen hatten. Nur die Altenkirchener Synode hat wieder versagt. Ich schämte mich für die anderen mit. Auch in meinem Gottesdienst war wieder ein Schutzmann, aber ich habe so positiv vom 3. Reich geredet, dass er sehr zufrieden sein konnte. -
Das Examen ist bald vor der Tür und so will ich mich heute, wenn der Brief geschrieben ist, den "litteris"[36] hingeben. - Nun habe ich genug erzählt, ich will noch etwas auf Deinen lieben Brief eingehen, der mich wieder ganz froh und glücklich gemacht hat, weil ich spürte, dass alles, was sich zwischen uns gelegt hatte an Angst und Fremdem, nun wieder ganz fortgeweht war. Eins ist mir jetzt erst so ganz zum Bewusstein gekommen, und hat mich besonders froh gemacht, dass unsere Seelen so offen voreinander liegen wie ein aufgeschlagenes Buch, und dass bei allem Bösen, was einmal kommen kann, doch die eine Gewissheit gegeben ist, wir sind ehrlich zueinander, ehrlich, auch wenn das Ehrlich-sein weh tut; und es wird, so Gott will, nie die Möglichkeit einer inneren Entfremdung gegeben sein, ja, ich stelle mir unsere Ehe einmal fast paradiesisch vor....
Du bist und bleibst für mich so einzigartig, so groß, so liebens- und begehrenswert wie es sonst kein Mensch für mich sein kann. Das bleibst Du auch trotz deiner Fehler, die Du mir jetzt gewiss vorhalten möchtest; denn unsere Fehler sind keine Fehler mehr, wenn unsere Liebe nicht nur menschlich, sondern von Gott her gesehen wird. Und das ist ja das Wichtigste, Liebstes, dass wir unsere Zukunft auf Glauben bauen, nicht auf Glauben an unser Gutes, sondern auf Glauben an den Herrn Jesus Christus,
........ich glaube, wir können wohl miteinander beten, wenn wir uns wirklich vor Gott gestellt wissen. Das Gebet ist ja keine Gefühlssache, sondern es ist das klare und nüchterne Gespräch des Herzens mit Gott. Wer um Gott weiß, der kann mit ihm reden wie das Kind zu seinem Vater redet.
25.1.1936: ......Morgen hat Pfr. Winterberg Geburtstag. Ich will ihm noch schreiben; er hat mich wieder zu einer Bibelfreizeit in seiner Wohnung eingeladen; da muss ich ihm leider wieder abschreiben, weil bloss DC-Leute hinkommen. - Geht's Dir gut, mein Liebstes? Mir ausgezeichnet.....
29.1.1936 .......ich habe unerwartet viel Arbeit bekommen. Morgen Nachmittag habe ich um 3 Uhr eine Beerdigung einer 71jährigen Frau in Eichelhardt. Am Donnerstag muss ich auch den Gottesdienst halten wegen der Machtergreifung. Das ist nicht so einfach. Man will nichts Allgemeines dahinquasseln und vor allem Gottes Wort reden lassen. Als Text habe ich 1. Kön. 8, 55-58. Außerdem habe ich auch noch am Sonntag den Gottesdienst. Mein Chef fährt zum Geburtstag seiner Schwiegermutter nach Gevelsberg und bleibt bis Montag fort. Da bleibt alles auf mir liegen.- Hab nun Dank für Deinen lieben Brief, den ich mit herzlicher Freude schon 3x gelesen habe. Auf Deine Frage wegen der Ausschüsse will ich Dir hier nur das eine sagen, dass es nicht darauf ankommt, ob sie das Rechte tun oder wollen, sondern dass sie auf unrechtmäßige, weil unkirchliche Weise eingesetzt sind und darum hier bei uns restlos und strikte abgelehnt wurden. Ich verstehe die Haltung Eurer BK-Pfarrer nicht u. muss sie inkonsequent nennen, weil sie so nicht mehr auf Dahlem, Barmen und Augsburg stehen. Aber das ist ja das Traurige in unserer BK., dass die meisten nicht wissen, was letztlich BK. ist und will und dass immer wieder Verbeugungen gemacht werden, wo keine zu machen sind. Man ist kampfesmüde, ohne gekämpft zu haben. Hier sind ja leider die gleichen Erscheinungen, besonders in unserer Synode; das ist schmerzlich genug. - Sonntag hatte ich Gelegenheit, bei Otto den Altenkirchener Vikar kennen zu lernen, der abgesehen von seiner kirchenpolit. Haltung einen sehr netten und lieben Eindruck machte. Er hatte mit mir eine persönliche Aussprache über seinen Chef, weil er glaubte, nicht mehr länger bleiben zu können, schilderte mir das unglaubliche Betragen Dorles u. die Härte H.s und fragte mich, was er machen sollte. Ich riet ihm, zu bleiben und das Kreuz zu tragen, schon allein um der Gemeinde willen, die ihn sehr lieb hätte und unbedingt einen Seelsorger brauchte. Was er alles klagte, kann ich Dir garnicht aufzählen, aber es war furchtbar. Er tat mir sehr leid, zumal er seine Laufbahn als Theologe erst spät angefangen hat (er ist jetzt 34 Jahre) und nun sogleich solche Erfahrungen machen muss.
1.2.1936 Zwei Aufgaben sind schon gelöst. Beerdigung und 30. Januar sind überstanden, und ich hoffe, gut überstanden. Die Kirche war nicht gut besucht; ohne die Kinder waren 60 Erwachsene in der Kirche; aber ich hatte noch nicht einmal so viel erwartet. Im vorigen Jahr hatten wir am 30. keinen Gottesdienst gehalten, weil wir es zu spät erfuhren; auch diesmal war es nicht offiziell, aber mein Chef hatte es bestimmt, so machte ich es denn. Frl. Marianne war mit der Predigt einverstanden. Nun kommt der Sonntag noch; und da graut mir wieder etwas; denn die Predigt gefällt mir noch gar nicht. Als Text habe ich Matth. 8, 23 und als Thema: Was in den Augen der Weltmenschen höchste Torheit ist, ist in den Augen Gottes höchste Klugheit. Die Torheit der Jünger besteht in 3erlei: 1. sie verlassen das sichere Land, 2. sie besteigen das kleine schwankende Boot, 3. sie wissen kein Ziel; die Klugheit der Jünger: 1. sie folgen Jesus nach, 2. sie haben Gemeinschaft mit ihm, 3. sie werfen die Verantwortung auf ihn. - Ich habe das bisher nicht ganz klar dargestellt und stoße überall auf Mängel, die mir nicht behagen; und doch kann ich mich von dem einmal Geschriebenen so schlecht trennen. Das Schlimmste ist, dass bei gutem Wetter am Sonntag Otto mit Frau, die beiden Müllerinnen und wahrscheinlich Herr Radermacher hierher kommen. Da will man besonders glänzen und wird wahrscheinlich ganz zuschanden. Du musst für mich beten, Liebstes, dass es gut geht. - Heute abend muss ich i.V. für meinen Chef hier in der Schule an einem Luftschutzkursus teilnehmen. Erscheinen ist Pflicht! - Sonntag habe ich noch K.G.- nachmittags kann ich nicht fort; mein Chef bat mich, das Haus zu bewachen. Montag ist wieder Pfarrkränzchen in Wissen bei Pfr. Schumacher. Und langsam rückt das Examen näher und näher. Ein ganzer Stoss Bücher liegt vor mir und keins ist angefangen. Wie soll das werden! Bald wird's mir doch ein bisschen ängstlich zumute. Dein Mumsilein schrieb mir solch langen lieben Brief. Beim Arzt war ich noch nicht, muss ich schüchtern lächelnd gestehen, aber ich weiß wirklich nicht: wann? Arier über Arier fliegen wieder ins Haus, der Chef tut nichts, alles liegt auf dem Vikar. Das Vertrauen ehrt ja, aber es wie schaffen. Sonst bin ich aber sehr fröhlich. Hast Du mich eigentlich noch arg lieb?
Hilgenroth, den 4.2.1936
Mein liebstes bestes Rütherchen!
Nun will ich Dir heute morgen endlich wieder ein Brieflein schreiben, Du armes Zurückgesetztes! Denn ich habe richtig Zeit dazu. Mein Chef ist gestern wieder zurück gekommen und hat für heut morgen das Studierzimmer in Beschlag gelegt; ich kann also keine Arier ausschreiben. Predigt, bzw. Ansprache brauche ich auch keine zu machen, nun, und das Examen – da will ich großzügig drüber wegsehen. Ich hörte nämlich gestern auf der Pfarrkonferenz, auf der zufällig auch Pfr. Hartig von Herchen war, dass meine Katechese einen sehr guten Eindruck gemacht habe. Damit fiel mir ein Stein vom Herzen; denn gerade an der Katechese war ich sehr zweifelnd geworden. .....
Ich kann mir unser Zusammenleben so genau vorstellen, als hätte ich es schon erlebt und je mehr ich es mir vorstelle, desto größer wird das Verlangen nach Erfüllung, weil es so ganz anders sein wird als hier im Pfarrhaus.
Nächsten Sonntag werde ich auch nicht hinkönnen, da mich Pfr. Groß gebeten hat, in Freusburg und Niederfischbach Gottesdienst zu halten. Ich fahre dann Samstag schon hin und wäre Dir dankbar, Liebstes, wenn ich meinen Brief bis Samstag schon haben könnte. Bis Sonntagabend zu warten, ist mir doch arg lang. - Diese Woche will ich wieder neben meiner Examensarbeit etwas Hausbesuche machen. Es ist so schön, eine freie Woche vor sich zu haben; das wird ja – so Gott will – nicht mehr lange sein. Ach, wenn es doch nur gut klappte, das Examen. Gestern sagte mir noch ein junger Pfarrer, das 2. Examen machte gar keine Schwierigkeiten und doch bin ich darin immer so schwarz sehend. Du kennst mich ja! Wenn ich dann an die feierliche Ordination denke, wo Du doch hoffentlich dabei sein kannst, dann wird mir ganz schwach zumute. ....
Sag Deinem Chef nur, er sollte dich gründlich in Etat- und Kassenarbeiten einweihen, da hätte Dein zukünftiger Mann keine Ahnung von; denn ich habe doch tatsächlich kaum etwas davon zu sehen gekriegt. Ja, ich bin ein arg dummes Schweinchen! Hast Du mich denn trotzdem noch lieb?
8.2.1936: ....Gestern kam die entscheidende Nachricht! Also am 12. u. 13. März ist das Examen fällig in Barmen. Kommenden Donnerstag soll ich die Katechese mit meinen Katechumenen halten über ein selbstgewähltes Thema unter Aufsicht von Pfr. Brinken-Hamm, dem Vertrauensmann der Synode und am 23.2. die Predigt auch unter dessen Leitung in unserem Kirchlein. Nun beginnt für mich wieder eine Zeit des Zitterns und Zagens. Den ganzen Tag fliegen einem die Gedanken des Examens durch den Kopf. Ich bin froh, dass ich die Katechese und die Predigt hier bei uns halten kann und nicht vor fremde Kinder und eine fremde Gemeinde zu treten brauche. ....
Heute nachmitag fahre ich nach Freusburg. Vielleicht mache ich noch einen kurzen Abstecher in Betzdorf, wenn es die Zeit erlaubt. Ich möchte Alfred gern mal sprechen. Jetzt muss ich noch eine ganze Reihe Arier erledigen. Wir erleben gerade wieder eine neue Flut dieser unangenehmen Sorte! - ....
11.2.1936: Mein Chef nimmt gar keine Rücksicht auf meine Examensarbeiten und -nöte. Gestern abend erklärt er mir einfach, ich hätte nächsten Sonntag auch wieder zu predigen; nachdem wir uns ausgemacht hatten, dass ich am Donnerstag meine Examenskatechese halten sollte und dann genug Zeit hätte, um zum 23. 2. die Examenspredigt auszuarbeiten. Gestern tat er so, als wüsste er nichts davon, und das nur daher, weil Pfr. Brinken gestern anrief u. sagte, er könne am 23.2. nicht herkommen, da er nicht frei wäre. Ich müsste in Hamm predigen. Da hätte Pfr. K. aber 3 Sonntage hintereinander und das ist ihm zu anstrengend. Er vergisst natürlich, dass ich am 30. u. 2. zwei Gottesdienste hintereinander gehalten habe, als er zu Vergnügungen nach Gevelsberg war. ....
Dazu ist Montag noch Bezirksseminar, wo ich ein Referat halten soll, von dem ich bisher noch nichts gemacht habe. Es ist trostlos. Wie habe ich aufgeatmet, als ich jetzt mal 2 Tage bei Pfr. Groß auf der Freusburg war. Das ist ja ein Pfarrhaus so ganz nach meinem Geschmack, da spürt man wirklich etwas von dem Wehen des Geistes Gottes. Und wie sehr empfindet man dann den Gegensatz zwischen diesem u. jenem Pfarrhaus. Hier Radio, Billard, Witze, Zank und alles, was nicht ins Pfarrhaus hineingehört, dort Bibellesen, Gebet, theologische Gespräche. Mich hat es mal wieder ordentlich gepackt, ich bin geladen bis obenhin. Und dabei will ich dann Predigt und Katechese arbeiten. So fehlt mir innerlich alles, was an Voraussetzungen dazu erforderlich ist. Dazu habe ich als Predigttext: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Am liebsten legte ich jetzt alles beiseite und ginge fort, fort zu Dir, um wieder Ruhe zu haben; denn ich hab das Empfinden, als ob diese ganze innere Erregtheit und Spannung auch noch mit dem Examen zusammenhängt. Es wird aber wohl noch vier Wochen so weiter gehen müssen. Wollte Gott, es wäre alles überstanden!
14.2.1936: Mein Liebstes! Der 1. Akt ist gut überstanden. Ich hielt gestern von 1/2 3 – 1/4 4 meine Katechese über Mtth. 7, 24 – 27, dieselbe, die ich auch schon mal in Hohengrete gehalten hatte. Pfr. Brinken schien recht zufrieden zu sein. Er sagte leider nichts Positives, hatte aber auch nichts Wesentliches auszusetzen. Man merkte es nur seiner zuvorkommenden Freundlichkeit und seiner guten Stimmung an, dass er recht vergnügt war. Nun habe ich diesen Sonntag hier Predigt und in 8 Tagen die Examenspredigt in Hamm. Dann geht es immer schneller und schneller dem Mündlichen entgegen. Ich bin augenblicklich ganz fröhlich. So ein kleiner Erfolg tröstet wieder für einige Zeit;
Väterchen von Mbg. schrieb mir vorgestern ein Kärtchen (alle hatten ein liebes Wort der Ermutigung) ich sollte mir Nerventabletten besorgen und zwar dieselben, die Du gebraucht hast. Wenn ich heute nach Altenkirchen komme, will ich sie besorgen.
.....wenn ich denn wirklich (nach dem Examen) ein paar Tage frei habe, dann will ich auch mal heim, und dann nach Marburg zu Dir. Das ist mir das Wichtigste....
Mein Chef rechnet auch damit, dass ich bis Ostern noch hier bleibe, weil dann wieder Hauptarbeitszeit ist. Er will dann einen neuen Vikar beantragen. Ich bin gespannt, ob er einen kriegt.
Sonntag predige ich über 2. Kor. 12, 7-10. Hoffentlich gerät's. Es gefällt mir noch nicht so recht, was ich da erarbeitet habe.
Hilgenroth, den 15.2.1936: ......Der Ausdruck "ein Mann werden" hat mir schon viel zu denken gegeben; denn das, was ich mir immer darunter vorgestellt habe, werde ich wohl nie so ganz erreichen. Das Sieghafte, alles Bezwingende, Triumphierende, Heldische, ja, wo ist das eigentlich, wenn man sich da ernstlich prüft. Geht es den andern so wie mir, dann gäbe es wohl nur Schwache, Demütige – oder sind die Menschen nicht ehrlich genug, sich das eingestehen zu können, wie erbärmlich sie in Wahrheit sind?
Das Examen steht dicht bevor. Die Katechese ist schon glücklich überwunden, bald kommt die Predigt und dann das Schwerste in Barmen am 12. u. 13. März.
......jetzt im Kirchenkampf, wo so viel verschiedene Meinungen über Glaubensfragen vorhanden sind. Ja, wer geht denn da eigentlich den richtigen Weg. Heute hörten wir, dass auch Rheinland einen Ausschuss hat, zwei DC. und zwei BK. Darunter auch Beckmann-Düsseldorf, einer der eifrigsten Kämpfer. Ich verstehe ihn noch nicht. Wie kann er jetzt wieder mit den DC. zs. arbeiten! Ob da nicht der gerade Weg von Dahlem-Barmen-Augsburg verlassen wird? Es ist so schwer, da zu urteilen, obwohl ich instinktiv beinahe fühle, dass es da nicht so ganz sauber ist. Ich bin gespannt, was ich Montag in Herchen höre. Meiner Meinung nach will man selbst ein Ziel und Ende des Kampfes herbeiführen, obwohl die Zeit noch gar nicht reif ist. Was wird jetzt aus den reinen BK-Gemeinden, was wird mit den Examina? Es ist ein tolles Tohuwabohu! Wie fein ist da Irwands Schriftchen, so klar und gerade. Schließt das nicht jede Arbeit mit den DC. aus? HH.'s Brief schicke ich Dir demnächst zurück. (Unten im Radio höre ich Karnevalsklänge am Samstagabend; das ist die Vorbereitung auf den Sonntag. Betet und wachet! Ach, unsere Pfarrhäuser sind die reinsten Kinos!) - Die ganze Woche hat mein Chef keinen Strich getan außer dem Unterricht am Mittwoch von 2-4, kein Hausbesuch, kein Brief, kein Buch gelesen......
Hilgenroth, den 22.2.1936:...... Mir stehen mal wieder schwere Tage bevor. Heute habe ich in Ölsen eine Beerdigung, morgen in Hamm Haupt- und Kindergottesdienst, Montag in Eichelhardt wieder eine Beerdigung. Zwei alte Frauen über 80 Jahre sind so dicht hintereinander gestorben. Mein Chef reist nach Essen zur theologischen Woche und kommt erst Mittwoch zurück. Sonntag in 8 Tagen habe ich vor dem Examen die letzte Predigt; .....
.....Aber ich will hoffen und vertrauen und "ein Mann" sein, der alles vermag durch seinen Herrn Jesus Christus. Heute spreche ich über 1. Kor. 15, 57, morgen nochmal über Mtth. 8,23. Denk an mich, mein Rütherchen. Ich hab's arg nötig. ....
Altenkirchen, im Zug nach Obererbach, den 24.2.1936: ......Es hat alles wunderschön geklappt. Die Kirche in Hamm war brechend voll (2 Emporen!) Viele aus unserer Gemeinde und sogar aus Altenkirchen und Michelbach waren im Gottesdienst. Ich hatte eine ganz besondere Freudigkeit und die Gemeinde war aufmerksam bis zuletzt. Von Herzen dankbar war ich, dass Gott mir so gnädig durchhalf. Samstagabend rief mich noch ein Bekannter aus Hamm an, ich sollte ohne Sorge sein; es stünden viele im Gebet hinter mir. Ja, diesmal habe ich es wieder besonders empfunden. - Auch der Kindergottesdienst war sehr schön und machte mir viel Freude. Kurz, ich war mal wieder überglücklich und dankbar. Als ich aus der Kirche heim kam zu Brinkens, beglückwünschte mich Frau Pfr. gleich. Sie war auch mitgewesen. Er selbst lässt sich ja nichts anmerken, obwohl ich spüren konnte, dass er auch zufrieden war. Frau Pfr. drückte mir dann auch Dein liebes Kärtchen in die Hand.......
Ich habe augenblicklich das feste Vertrauen, dass es auch am 12. u. 13. III. gut geht, weil so viele treue Menschen für mich beten. - Heute habe ich noch eine Beerdigung; morgen muss ich zu einem Geburtstag nach Friedenthal (1 Std. per Rad) u. dann gibt es wieder Vorbereitung für nächsten Sonntag.
Hilgenroth, den 28.2.1936: Zu meiner Predigt kann ich Dir noch die erfreuliche Mitteilung machen, dass Brinken sie mit "Gut" beurteilt hat. Pfr. Korst hatte ihn angerufen und gefragt, wie es gegangen hätte, da hat er denn gesagt, er sei sehr zufrieden gewesen......
Es ist doch ein unbehagliches Gefühl so um die Magengegend, wenn man an den 12. u. 13. denkt. In 14 Tagen ist alles vorbei; in was für einer Stimmung mag ich dann sein. Ich bin nur froh, dass ich ab morgen von aller Gemeindearbeit befreit bin und dann nur ans Examen denken kann.
Bisher habe ich noch keinerlei Erleichterung gehabt. Morgen wieder Predigt u. K.G., daneben eine Hochflut von Ariern; es ist ganz toll. Nur so ganz nebenbei kann ich Kirchengeschichte, Kirchenverfassung, Seelsorge etc. arbeiten. Es ist eigenartig, dass mein Chef so gar kein Empfinden dafür hat, dass ich eigentlich fürs Examen arbeiten müsste. Dass ich morgen über Isaaks Opferung predige, schrieb ich wohl schon. Es ist so wunderschönes Wetter, da werden morgen hoffentlich viele Leute kommen. - Von Rodenkirchen bekam ich gestern ein Kärtchen, sie rechnen damit, dass ich vor dem Examen ein paar Tage heim komme. Ich hab's auch ernstlich vor; vielleicht nächsten Sonntag schon.
Hilgenroth, den 3.3.1936 - Mein Liebstes, nachdem ich mal wieder den ganzen Morgen Arier gesucht habe und dadurch langsam der Verblödung entgegengehe (!!) kommt nun doch Dein Briefchen an die Reihe. Es wird nicht viel, denn es ist schon 12 Uhr und die Post kann jeden Augenblick kommen.
Die Adresse meiner Wohnung in Barmen ist: W-Barmen, Neues Missionshaus: Auf der Hardt. Was nach dem Examen wird, weiß ich immer noch nicht. Aber das ist mir auch noch gleich, wenn es nur erst gut bestanden wäre. Vom bestandenen Examen werden entweder Freitagabend oder Samstag mittag Telegramme geschickt.....
Sonntag war die Kirche noch mal schön voll. 150 Leute waren da. Nachmittags war ich beim Elslein. Sie ist aber auch ganz geduldig und lieb. Sonntag hat sie 14. Geburtstag..... Gestern hatten wir Pfarrkonferenz in Mehren; die aber recht kläglich war. ...
Hilgenroth, den 3.3.1936 (an seine Schwägerin Ursula Liebert)
Lieber Ull!
Du siehst, Deine gute Schwester musste wieder dafür sorgen, dass der Brief von Heinrich wieder in Deine Hände kommt. Ich gedenke seiner in dieser Woche jeden Morgen und Abend. Möge uns der Herr ein frohes, gesegnetes Osterfest erleben lassen. Heinrich hat ja auch noch gerade vor dem Mündlichen so viel zu tun bekommen. Aber das wird dann auch berücksichtigt beim Examen. Wenn er nur nicht mit den langweiligen Ariern zu tun hat, dann wird’s noch gehen. Den ganzen Morgen habe ich schon wieder daran gesessen und bin so langsam schon am verblöden bei all den Groß- u. Urgroßmüttern. - Dass meine Predigt mit „Gut“ beurteilt wurde, wird Ruth wohl schon geschrieben haben. Wenn nur das andere auch gut vorübergeht. Jetzt sind es noch 8 Tage, dann geht’s nach Barmen. Montag fahre ich nach Hause bis Mittwoch. Ich hoffe, in den Osterferien ein paar Tage nach Marburg zu können. Mit meinem Chef habe ich schon gesprochen; der ist vorläufig noch nicht dafür zu haben. Ich sei angestellt jetzt – meint er – und könnte nicht immer frei haben. Er kann manchmal sehr eklig sein. Aber man muss dann nur eine bessere Stunde abwarten. Ich bin froh, wenn ich hier fort kann. -
Nun will ich noch an Rira schreiben. Ich bekam von ihr einen süßen langen Brief und kann ihr nur ganz kurz antworten. Die Examenspredigt wollte sie noch mal haben. Hoffentlich findet sie sich durch. - Geht es Euch allen gut, Ihr Lieben? Dir herzlichen Gruß, schöne Schwägerin, denk weiter in Treue an mich. Den lieben Eltern auch einen herzlichen Gruß von Eurem Langen.
Im Verlauf der Monate des Jahres 1935 haben auch in Hilgenroth Eberhards Konflikte wieder über Hand genommen. Pfarrer Korst ist ihm nicht mutig, nicht fleißig und nicht entschieden genug. Der Druck des Staates auf die Kirche nimmt zu und man sieht an den geschilderten Menschen, wie dieser Druck die privaten Beziehungen belastet. Die Pfarrerehen geraten in die Krise, das Verhältnis zwischen den Generationen wird gestört, zuletzt leidet sogar der so lange treu bewahrte Brautstand. Ruth bricht unter den Klagen von Eberhard fast zusammen. Aber gerade daran lernt Eberhard sich zu fassen. Wir können unsern Eltern zusehen beim Erwachsenwerden.
Eberhard besteht das Examen und wird, nicht zu seiner Freude, als Hilfsprediger nach Saarbrücken versetzt. Vorher hat er Ruth kurz sehen können und sie haben sich ihrer Liebe neu versichert. Wir als Kinder dieses Liebespaares wissen, dass er endlich 1937 - allerdings illegal - die Pfarrstelle in Heusweiler bekommt, dass Ruth und Eberhard heiraten und gemeinsame Jahre erleben. Der Kirchenkampf aber geht weiter, der Weltkrieg bricht aus und beendet schon nach 7 Jahren das hart errungene Glück.
[1] Titel eines Pfarrers der Rheinprovinz, der dem Vorstand des Kirchenkreises angehört.
[2] Die Deutschen Christen (D.C.) strebten eine Staatskirche an. Sie dachten antisemitisch, wollten das Alte Testament aus der Kirche verdrängen, glaubten sogar, dass Jesus „Arier“ sei. Die Kirchenleitung der Rheinprovinz war auf ihrer Seite.
[3] Die Bekennende Kirche (B.K.) widersprach den Deutschen Christen. Sie bestand auf der Trennung von Staat und Kirche. Sie rückte das Bekenntnis zu Christus in den Mittelpunkt des Glaubens und lehnte die Verherrlichung Hitlers ab. Die konstituierende Synode fand im Mai 1934 in Barmen statt.
[4] Dies war ein Gottesdienst mit einem auswärtigen Prediger, der die Gemeinde zu mehr religiösem Bekenntnis ermuntern sollte. Eberhard hatte das mit vorbereitet.
[5] Kirchenleitung der evangelischen Rheinprovinz, ab Oktober 1934 in Düsseldorf.
[6] Otto Schneider, Bauer und Gemeinschaftschrist in Michelbach, einem Dorf bei Altenkirchen. Sein Haus und seine Familie sind ein Mittelpunkt der Gemeinschaft.
[7] Die „Stunde“ war eine regelmäßig stattfindende Andacht reihum in den Wohnzimmern der Gemeinschaftschristen.
[8] Ernst Stoltenhoff (1879 – 1953),Generalsuperintendent der Rheinprovinz.
[9] Ein Vikar erhielt damals kein Gehalt. Er hatte Kost und Logis bei seinem Lehrherrn. 25,00 Reichsmark waren ein Taschengeld für persönliche Wünsche. Mit Kleidung und Büchern mussten ihn weiterhin seine Eltern versorgen.
[10] Die Beszirksseminare fanden an wechselnden Orten statt und dienten der theoretischen Ausbildung der Vikare eines Bezirks.
[11] Eberhard meint das Pfarrerehepaar Borchert in Uthleben bei Nordhausen, die der Bekennenden Kirche angehören. Die Familie sucht für ihre 4 Söhne eine Hauslehrerin, da das Gymnasium in Nordhausen vom Dorf aus unerreichbar ist, sie die Jungen aber auch nicht in das von der NSDAP geleitete Internat geben wollen. Ruth ihrerseits will den Eid auf Hitler nicht leisten, den sie als Lehrerin an einer staatlichen Schule leisten müsste. So bereitet sie sich darauf vor, ins Pfarrhaus Uthleben einzuziehen.
[12] 12jährige Tochter der Familie Korst
[13] Hund der Familie Korst
[14] Die gewählte Leitung einer Kirchengemeinde.
[15] Bei Pfarrer Winterberg in Betzdorf war Eberhards erste Vikariatsstelle. Er hatte sich dort sehr wohl gefühlt und die Familie sehr geschätzt.
[16] Alfred Zemke, Studienfreund und jetzt Vikar in Betzdorf, wo Eberhard war, bevor er nach Altenkirchen kam.
[17] Mitglied der Brüderbewegung, einer freikirchlichen Vereinigung. Sie selbst nennt sich nicht Darbisten, es ist eine Bezeichnung von außen nach John Nelson Darby, einem ihrer Gründerväter.
[18] Sohn der Familie Korst
[19] Ortspfarrer – also als wäre er schon fertiger Pastor!
[20] Spottname für den Reichsbischof, der das Oberhaupt der von Hitler geplanten deutschen Staatskirche sein sollte.
[21] Kindergottesdienst
[22] Pfarrer Theodor Maas, geboren 1882 in Breslau. Sein Vater war zur evangelischen Konfession konvertierter jüdischer Deutscher. Pfarrer Maas war deswegen seit 1933 vielen Anfeindungen ausgesetzt, er zählte zur Bekennenden Kirche. Pfarrer Heckenroth blieb, wie Eberhard im Verlauf des Briefes schildern, der Konferenz fern – als Antisemit und deutscher Christ. Der Tod von Pfarrer Maas im März 1943 kann die Folge eines antisemitischen Anschlags gewesen sein.
[23] Ruths Arbeitgeber, das Pfarrerehepaar in Uthleben. Eberhard besucht sie, um sie kennenzulernen. Ruth ist noch in Schlesien.
[24] 3.Oktober 1935: „Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche“ erlassen von Reiuchskirchenminister Hanns Kerrl)
[26] Der „Reichsausschuss zum Schutze des deutschen Blutes“ beschäftigte sich seit 1935 mit den Ehegenehmigungsanträgen von heiratswilligen sogenannten „jüdischen Mischlingen“. Er sollte die Ehen von Menschen, die jüdische Vorfahren hatten, verhindern. Die Kirche war mit ihren Traugewohnheiten unmittelbar betroffen.
[27] N.S.V. „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ war die Wohlfahrtspflege der NSDAP, durchaus in Konkurrenz zu Caritas und Diakonie. Eberhards Vater Carl von Mering arbeitete zunächst ehrenamtlich in diesem Verein, da er als Parteimitglied sich engagieren musste. Da er sehr wenig Geld als Bildhauer verdiente, war es für ihn gut, wenn er nun für diese wachsende Arbeit bezahlt werden sollte.
[28] Schriftliche Anfragen nach den Taufurkunden von Vorfahren. Durch die Urkunden können die Menschen beweisen, dass sie „deutsches Blut“ haben.
[29] Manche der Anfragenden kommen wohl auch persönlich.
[30] Probe für das Krippenspiel mit dem Kindergottesdienst.
[31] Kirchengeschichte III – anscheinend ein Standardbuch zum Examen.
[32] Hier: Kirchengeschichte.
[33] Christlicher Verein junger Männer.
[34] Die NSDAP plante eine Unterwanderung der Gemeinden, indem sie statt des herkömmlichen Presbyteriums Kirchenausschüsse setzen wollte, in denen Parteimitglieder die Mehrheit bilden sollten.
[35] Lateinisch: „Morgen wird die Kirche überwacht“, d.h. im Gottesdienst werden Parteispitzel sitzen.
[36] Literatur – Lernen für das Examen.