Oft raten mir interessierte Freundinnen, die Biographien bekannter oder gar berühmter Frauen heranzuziehen, wenn ich über meine Vorfahrinnen schreiben will. Da finde man so vieles über den Alltag von Frauen der damaligen Zeit, z. B. über Frauen um 1800 gebe es eine Menge in Carola Sterns lesenswerten Lebensbildern der Dorothea Schlegel oder der Rahel von Varnhagen.

Aber meine Vorfahrin Anna Maria Ziemer ist 1773 nicht in Berlin oder Göttingen geboren, sondern in Kirchheimbolanden in der Pfalz, nicht als Tochter eines gebildeten Kaufmanns oder gar eines Professors, sondern als Tochter eines Beständers, das heißt, des Pächters eines städtischen Bauerngutes, und sie wurde nicht in der Welt des liberalen Judentums oder im Umkreis einer Universität erzogen, sondern in einer kleinen Residenzstadt. Wie weit können Zeitgenossen voneinander entfernt sein! Dass sie kein Genie war, bleibt da noch unberücksichtigt.

Zuerst veröffentlicht in: EKKEHARD, Familien- und regionalgeschichtl. Forschungen, Hallische Familienforscher, Neue Folge 6 (1999) Heft 4, S. 101ff

Das Geheimnis seiner Herkunft

Wahrscheinlich werde ich nie wissen, wer er wirklich war. Sein Name, Pierre Henry, der auf mich in der Heiratsurkunde seiner Tochter Catherine[1] so echt französisch wirkte, ist viel­leicht nur eine Anpassung an die Verhältnisse seiner Lebenszeit. Peter Henrich oder Henrici hat er viel­leicht geheißen - zumindest sein Vater oder Großvater könnten noch den Famili­ennamen Heinrich geführt haben. Andererseits können auch sie sich schon Henry genannt haben, denn sehr wahrscheinlich waren sie Lothringer. Der Vater soll Jean Henry geheißen und in "Kirche" gewohnt haben. Das gibt Pierre in seiner Heiratsurkunde[2] an.

Nach diesem Ort "Kirche", der im "Departement de la Moselle" liegen soll, habe ich schon sehr gesucht. Die Familien- und Heimatforscher von Saarlouis haben dies "Kirche" als "Kirsch-les-Sierck" verstanden[3] - und tatsächlich, das paßt gut. Es liegt im Moseltal,  nicht weit von Saarlouis, es ist ein Bauerndorf, wie noch heute sichtbar, so könnte  Pierre Henrys Bruder  Laurent dort 1802 "cultivateur" gewesen sein, womöglich auf dem Hof des schon verstorbenen Vaters Jean. Was nicht paßt, ist, daß ich im sehr sorgfältig und in lesbarem La­tein ge­führten Kirchenbuch des Dorfes[4] die Geburt von Pierre Henry nicht finden kann.

Jean Pierre Henry (19.10.1772 in Luttange/Lothringen geboren, verschollen in den Napoleonischen Kriegen)

„Wahrscheinlich werde ich nie wissen, wer er wirklich war,“ habe ich 1999 über meinen Vorfahren Pierre Henry geschrieben.
Damals hatte ich alle meine Möglichkeiten erschöpft, etwas über seinen Geburtsort zu erfahren. Im standesamtlichen Protokoll seiner Heirat von 1802 aus Saarlouis war als Geburtsort „Kirche“ angegeben im „Département de la Moselle“, als Wohnort seiner Mutter sogar „Commu­ne de Kirche“. Aber wo sollte ich diese „Gemeinde Kirche“ lokalisieren? Kirsch-les-Sierck, wie mir die Saarländer Genealogen rieten, war es nicht. In den Archives Départementales in Metz las ich das Kirchenbuch – aber dort fand sich in den entsprechenden Jahren keine Familie Henry und keine Dupont. Natürlich hatte ich den Verdacht, dass „Kirche“ der Ortsteil einer Gemeinde gewesen sein müsste – aber wie kann man nach einem Ortsteil suchen, der einen so häufig vorkommenden Namen hat?

Drei meiner Vorfahrinnen sind Saarlouiserinnen gewesen, Großmutter, Mutter und Tochter. Alle drei haben den bemerkenswerten, Franzosen und Deutsche gleichermaßen verwirrenden Saarlouiser Dialekt gesprochen. Zumindest die erste war Lothringerin. Was bedeutet: sie gehörte einem Volk an, das keinen eigenen Staat besaß.

Die jüngste dieser drei Frauen, die Tochter, ist die arme und brave Catherine Henry. Brav gebrauche ich hier, wie sie es gebraucht hätte: für "tapfer". Sie hat dem Franz Joseph Mering geholfen, ein solider Familienvater zu werden, dessen sich seine Nachkommen nicht zu schämen haben. Sonst, im Sinne von "angepaßt", galten die Saarlouiserinnen keineswegs als brav. Und da will ich mich auch bei Catherine Henry nicht verbürgen.

In Boppard wohnten Franz und ich 2008 in der Pension "Schinderhannes und Julchen". Dort lag eine Biografie von dem fast sagenhaften Räuber Schinderhannes aus: Manfred Franke, Schinderhannes, Claasen Lebensläufe, Hildesheim 1993. Zu meiner Überraschung fand ich darin eine interessante Parallele zum Leben unseres Vorfahren Jacque Norbert Blandin.

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